Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
In einer randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studie reduzierten sich unter Lecanemab die Amyloid-Marker im PET bei mild cognitive impairment (MCI) und früher Alzheimer-Krankheit. Der Antikörper bindet an Amyloid-beta-lösliche Protofibrillen. Die kognitiven Fähigkeiten und Funktionen verschlechterten sich nach 18 Monaten unter Lecanemab weniger als unter Placebo. Die Therapie geht allerdings mit Nebenwirkungen einher, die sich meist im MRT zeigen. Jetzt müssen Studien mit längerer Behandlungszeit als 18 Monate zeigen, wie die Wirksamkeit und Sicherheit von Lecanemab bei der frühen Alzheimer-Krankheit ist.
Es wird vermutet, dass die Ansammlung von löslichem und unlöslichem aggregiertem Amyloid-beta (Aβ) die Alzheimer-Krankheit auslösen oder verstärken kann. Lecanemab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der mit hoher Affinität an lösliche Aβ-Protofibrillen bindet, die nachweislich für Neurone toxischer sind als Monomere oder unlösliche Fibrillen. Eine Phase-IIb-Dosisfindungsstudie mit 854 Teilnehmern mit früher Alzheimer-Krankheit zeigte nach 12 Monaten allerdings keinen signifikanten Unterschied zwischen Lecanemab und Placebo in Änderungen eines zusammengesetzten Demenz-Scores [2]. Weitere Analysen nach 18 Monaten ergaben jedoch eine dosis- und zeitabhängige Clearance von Amyloid unter Lecanemab im PET-CT, und das Arzneimittel war mit einer geringeren klinischen Verschlechterung einiger Demenzmesswerte verbunden als Placebo.
Studiendesign
Es handelte sich um eine 18-monatige, multizentrische, doppelblinde Phase-III-Studie mit Personen im Alter von 50 bis 90 Jahren mit früher Alzheimer-Krankheit (leichte kognitive Beeinträchtigung oder leichte Demenz aufgrund der Alzheimer-Krankheit) mit Nachweis von Amyloid in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder durch Nachweis von Biomarkern im Liquor (Tab. 1). Die Studienteilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip im Verhältnis 1 : 1 einer intravenösen Lecanemab-Behandlung (10 mg/kg Körpergewicht [KG] alle 2 Wochen) oder Placebo zugeteilt. Der primäre Endpunkt war die Veränderung im Score der Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes (CDR-SB, Kasten) gegenüber dem Ausgangswert nach 18 Monaten. Sekundäre Endpunkte waren die Veränderung der Amyloid-Belastung im PET und die Punktzahl bei weiteren Skalen (Kasten).
Tab. 1. Studiendesign Clarity AD
Erkrankung |
Morbus Alzheimer im Frühstadium |
Studienziel |
Sicherheit und Wirksamkeit von Lecanemab |
Studientyp/Design |
Interventionell, multizentrisch, doppelblind, Placebo-kontrolliert, Phase III |
Patienten |
1795 Patienten |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Veränderung gegenüber Baseline im Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes nach 18 Monaten |
Sponsor |
Eisai |
Studienregister-Nr. |
NCT03887455 (ClinicalTrials.gov) |
Infokasten: Skalen bei M. Alzheimer
CDR-SB: Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes; Bereich 0–18, höhere Punktzahlen zeigen stärkere Beeinträchtigung an
ADAS-cog14 : 14-teilige kognitive Unterskala der Alzheimer’s Disease Assessment Scale; Bereich 0 – 90; höhere Punktzahlen weisen auf eine stärkere Beeinträchtigung hin
ADCOMS: Alzheimer’s Disease Composite Score; Bereich 0–1,97; höhere Werte weisen auf eine stärkere Beeinträchtigung hin
ADCSMCI-ADL: Alzheimer’s Disease Cooperative Study-Activities of Daily Living Scale for Mild Cognitive Impairment; Bereich 0–53; niedrigere Punktzahlen weisen auf eine stärkere Beeinträchtigung hin
Ergebnisse
Insgesamt wurden 1795 Teilnehmer in die Studie aufgenommen, von denen 898 Lecanemab und 897 Placebo erhielten. Der mittlere CDR-SB-Wert bei Studienbeginn lag in beiden Gruppen bei etwa 3,2. Die Patienten waren im Mittel 71 Jahre und der Beginn der ersten Symptome lag im Schnitt vier Jahre zurück. Der mittlere Score auf der Mini Mental Status Examination (MMSE) betrug 25,5. Die kleinste quadratische mittlere Veränderung gegenüber dem Ausgangswert nach 18 Monaten betrug 1,21 unter Lecanemab und 1,66 unter Placebo (Differenz –0,45; 95%-Konfidenzintervall [KI] –0,67 bis –0,23; p < 0,001). In einer Unterstudie mit 698 Teilnehmern war die Verringerung der Amyloidbelastung des Gehirns unter Lecanemab größer als unter Placebo (Unterschied –59,1 Zentiloide; 95%-KI –62,6 bis –55,6). Weitere mittlere Unterschiede zwischen den beiden Gruppen bei der Veränderung gegenüber dem Ausgangswert zugunsten von Lecanemab waren folgende:
- ADAS-cog14-Score: –1,44 (95%-KI –2,27 bis –0,61; p < 0,001)
- ADCOMS: –0,050 (95%-KI –0,074 bis –0,027; p < 0,001)
- ADCSMCI-ADL: 2,0 (95%-KI 1,2 bis 2,8; p < 0,001).
Lecanemab führte bei 26,4 % der Teilnehmer zu infusionsbedingten Reaktionen und bei 12,6 % zu amyloidbedingten Bildgebungsanomalien im MRT mit Ödemen oder Mikroblutungen.
Kommentar
Die Studie mit Lecanemab hat erwartungsgemäß großes Aufsehen erregt. Es ist die erste große positive Studie, in der ein Antikörper, der sich gegen Amyloid-Beta im Gehirn richtet, zu einer Reduktion der Amyloid-Konzentration im PET führt und zu einem geringeren Fortschreiten der kognitiven Einschränkungen bei beginnendem Morbus Alzheimer. Für die Wirksamkeit spricht, dass sich positive Effekte nicht nur für den primären Endpunkt, sondern bei fast allen sekundären Endpunkten fanden. Numerisch wurde die Erkrankungsprogression um 27 % im Vergleich zu Placebo verlangsamt. Die Wirksamkeit wurde allerdings nur bei Patienten mit Mild Cognitive Impairment und beginnender Alzheimererkrankung gezeigt. Außerdem ist eine Behandlungsdauer von 18 Monaten relativ kurz. Wie bei allen Antikörpern gegen Amyloid zeigten sich zentrale Nebenwirkungen in der Kernspintomografie des Gehirns, wie das Auftreten von Ödemen und Mikrohämorrhagien. Die meisten dieser zerebralen Mikroblutungen waren allerdings asymptomatisch. Hier ist ebenso wenig bekannt, ob bei einer längeren Behandlungsdauer das Risiko für zerebrale Blutungen erhöht ist und ob die Anwendung von Lecanemab bei antikoagulierten Patienten mit einem erhöhten zerebralen Blutungsrisiko einhergeht. Für eine endgültige Einschätzung des therapeutischen Nutzens sind weitere Langzeitstudien notwendig. Die wichtigste Einschränkung der Therapie ist allerdings, dass die Krankheit nicht kausal behandelt, sondern nur die Krankheitsprogression verlangsamt wird. Dies ist dennoch ein therapeutischer Durchbruch, da alle bisherigen Studien mit Antikörpern gegen Amyloid-Beta negativ waren [1].
Quelle
van Dyck CH, et al. Lecanemab in early Alzheimer‘s disease. N Engl J Med 2022, November 29; online vor Print. DOI: 10.1056/NEJMoa2 212 948.
Literatur
- Avgerinos KI, et al. Effects of monoclonal antibodies against amyloid-β on clinical and biomarker outcomes and adverse event risks: A systematic review and meta-analysis of phase III RCTs in Alzheimer‘s disease. Ageing Res Rev 2021;68:101339.
- Swanson CJ, et al. A randomized, double-blind, phase 2b proof-of-concept clinical trial in early Alzheimer‘s disease with lecanemab, an anti-Aβ protofibril antibody. Alzheimers Res Ther 2021;13:80.
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