Hypercholesterinämie

Alirocumab als Alternative zur Zielwerterreichung?


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. Maja M. Christ, Stuttgart

HMG-CoA-Reduktasehemmer (Statine) sind das Mittel der ersten Wahl, wenn ein Hypercholesterinämie-Patient seinen Zielwert nicht allein mit Diät und körperlicher Aktivität erreicht. Lässt sich ein Hochrisikopatient mit Statinen nicht einstellen, kann die Anwendung des Inhibitors der Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) Alirocumab eine Alternative darstellen. Für welche Patientengruppen Alirocumab infrage kommt, diskutierten Experten im März 2016 auf einer von Sanofi veranstalteten Pressekonferenz in München.

Erhöhte Serum-Konzentrationen des Low-Density-Lipoprotein-Cholesterols (LDL-C) sind ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Eine Senkung des LDL-C-Spiegels um 40 mg/dl bewirkt eine Senkung der kardiovaskulär bedingten Sterblichkeit und der kardiovaskulären Morbidität um 22% [1].

Inzwischen sind einige genetische Mutationen bekannt, die den LDL-C-Spiegel erhöhen oder erniedrigen [3]. Menschen mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie weisen von Beginn ihres Lebens an ein erhöhtes LDL-C auf. Sie sind prädisponiert, frühzeitig kardiovaskuläre Erkrankungen zu entwickeln.

Hochrisikopatienten: Nur jeder fünfte auf Zielwert <70 mg/dl

Laut den europäischen Leitlinien [1] beträgt der Zielwert für Hochrisikopatienten <70 mg/dl LDL-C (Kasten). Im Alltag erreichen jedoch nur wenige Hochrisikopatienten tatsächlich diesen Zielwert, wie eine Auswertung von Gitt et al. ergab [5]: Bei 80% der untersuchten Patienten war der LDL-C-Wert oberhalb von 70 mg/dl. Ein Großteil der Patienten lag zwar immerhin in einem Bereich von 70 bis 80 mg/dl, mehr als jeder zehnte Patient wies jedoch Serumkonzentrationen von >100 mg/dl LDL-C auf [5].

LDL-Cholesterol: Zielwerte der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) [1]

  • Ohne hohes Risiko: <115 mg/dl
  • Hohes Risiko: <100 mg/dl
  • Hochrisikopatienten: <70 mg/dl

Oft lässt sich der LDL-C-Spiegel mit höheren Dosen potenter Statine wie Atorvastatin oder Rosuvastatin (Crestor®) oder mit einer Kombination von einem Statin mit Ezetimib (Ezetrol®) senken. Dennoch gibt es Patienten, die ihren Zielwert unter Standardtherapie nicht erreichen werden.

Mit PCSK9-Inhibitoren lässt sich LDL-C weiter senken

Das Enzym PCSK9 reguliert die Anzahl der LDL-Rezeptoren auf der Leberzelloberfläche. Wird PCSK9 gehemmt, erhöht sich die Verfügbarkeit der LDL-Rezeptoren. Als Folge sinkt der LDL-C-Spiegel. 2015 wurden die ersten beiden monoklonalen Anti-PCSK9-Antikörper zugelassen, darunter Alirocumab (Praluent®).

Alirocumab ist begleitend zu einer Diät zur Behandlung von Erwachsenen angezeigt [2]:

  • Bei primärer Hypercholesterinämie (heterozygot familiär oder nicht familiär)
  • Bei gemischter Dyslipidämie in Kombination mit einem Statin oder mit einem Statin und anderen lipidsenkenden Therapieprinzipien, wenn sich mit maximal verträglicher Statindosis die LDL-C-Zielwerte nicht erreichen lassen
  • Bei gemischter Dyslipidämie als Monotherapie oder in Kombination mit anderen lipidsenkenden Therapieprinzipien, wenn ein Patient Statine nicht verträgt

Basis für die Zulassung waren zehn Phase-III-Studien des ODYSSEY-Studienprogramms, in denen Alirocumab mit Placebo oder Ezetimib getestet wurde – jeweils zusammen mit der maximalverträglichen Statindosis. Unter Alirocumab konnte die LDL-C-Serum-Konzentration im Durchschnitt auf die Hälfte des Ausgangswerts gesenkt werden.

Auch für Diabetiker ist Alirocumab geeignet, wie Subgruppenanalysen ergaben: Der Antikörper wirkte bei Patienten mit Diabetes mellitus genauso wie bei Patienten ohne Diabetes. Der HbA1c-Wert wurde nicht beeinflusst [4].

Statinunverträglichkeit wird überschätzt

In der Studie ODYSSEY ALTERNATIVE wurde der Effekt von Alirocumab bei Patienten mit Statinunverträglichkeit untersucht. Die US-amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA hatte gefordert, einen Studienarm mit 20 mg Atavorstatin aufzunehmen. Interessanterweise zeigte sich, dass drei Viertel der Patienten, die angeblich eine Statinunverträglichkeit hatten, Atavorstatin gut vertrugen [6]. Klagt ein Patient über Beschwerden, sollten daher immer auch weitere Arzneimittel oder Erkrankungen mitberücksichtigt werden.

Derzeit laufen weitere Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit von Alirocumab, insbesondere im Hinblick auf die Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse.

Fazit

Bevor ein Hypercholesterinämie-Patient auf Alirocumab umgestellt wird, sollte versucht werden, den LDL-C-Zielwert mit der Standardtherapie zu erreichen. Erst wenn sich der Zielwert mit Statinen in der maximal verträglichen Dosis nicht erreichen lässt, ist die Gabe eines Antikörpers wie Alirocumab angezeigt. Für diese Patienten kann er jedoch eine sinnvolle Alternative darstellen. Ob sich unter Alirocumab die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse reduzieren lässt, muss sich anhand der laufenden Studien zeigen.

Frühe Nutzenbewertung

Im Februar 2016 hatte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mitgeteilt, dass für Alirocumab kein Zusatznutzen gegenüber den zweckmäßigen Vergleichstherapien belegt werden konnte. Grund für diese Entscheidung waren laut IQWiG falsche Patientenpopulationen und Vergleichstherapien sowie zu kurze Studien, um den Zusatznutzen bewerten zu können. Die Beschlussfassung des Gemeinsamen Bundesausschusses wird für Mai 2016 erwartet. Es bleibt abzuwarten, ob Daten aus den noch laufenden Studien diese Entscheidung ändern werden.

Derzeit belaufen sich die Jahrestherapiekosten pro Patient auf ca. 8900 EUR (Dosierung: 75 mg bzw. 150 mg Alirocumab alle zwei Wochen).

Quelle

Dr. med. Anselm Gitt, Ludwigshafen, Prof. Dr. med. Klaus Parhofer, München, Dr. med. Anja Vogt, München; Pressekonferenz „Campus Odyssey: Meet the unmet need – Alirocumab als Therapieoption für kardiovaskuläre Hochrisikopatienten mit unkontrollierbarem LDL-Cholesterin“, München, 15. März 2016, veranstaltet von Sanofi.

Literatur

1. European association for cardiovascular prevention & rehabilitation, Reiner Z, et al. ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: the task force for the management of dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and the European Atherosclerosis Society (EAS). Eur Heart J 2011;32:1769–818.

2. Fachinformation Praluent®, Stand Sept. 2015.

3. Ference BA, et al. Effect of long-term exposure to lower low-density lipoprotein cholesterol beginning early in life on the risk of coronary heart disease: a Mendelian randomization analysis. J Am Coll Cardiol 2012;60:2631–9.

4. Ginsberg HN, et al. Efficacy and safety of alirocumab: Pooled Analyses of 1051 individuals with diabetes mellitus from five placebo-controlled phase 3 studies of at least 52 weeks duration. AHA 2015. Vortrag. Abstract 534.

5. Gitt AK, et al. Statin treated patients at very high cardiovascular risk: Are the majority close to LDL-C <70 mg/dl? Eur Heart J 2014;35:suppl 1; Abstract 3819.

6. Moriarty PM, et al. Efficacy and safety of alirocumab, a monoclonal antibody to PCSK9, in statin-intolerant patients: Design and rationale of ODYSSEY ALTERNATIVE, a randomized phase 3 trial. J Clin Lipidol. 2014;8:554–61.

Es stand in der AMT

Inhibitoren der Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) Arzneimitteltherapie 2015;33:371–8.

Arzneimitteltherapie 2016; 34(05)