Schlaganfall

Therapie Antikoagulanzien-induzierter intrakranieller Blutung


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Bei Patienten mit intrakraniellen Blutungen im Rahmen einer Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten scheint Prothrombinkomplexkonzentrat (PCC) wirksamer zu sein als gefrorenes Frischplasma (FFP), so das Ergebnis der INCH-Studie. Dies bezieht sich auf die Normalisierung des International Normalized Ratio (INR) sowie auf die Größenzunahme des initialen Hämatoms.
Mit einem Kommentar von Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Die Vitamin-K-Antagonisten-induzierte intrakranielle Blutung ist die am meisten gefürchtete Komplikation einer oralen Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern, tiefen Beinvenenthrombosen oder Lungenembolien. Die Inzidenz Vitamin-K-Antagonisten-induzierter intrakranieller Blutungen liegt zwischen 0,3 und 1% pro Jahr. Die Sterblichkeit beträgt 30 bis 50%, wobei der wichtigste Prädiktor für eine erhöhte Sterblichkeit die Größenzunahme der initialen Blutung ist. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, eine solche Blutung zu behandeln, nämlich PCC oder FFP. Eine Operation verbietet sich in den meisten Fällen, da eine signifikante Störung der Gerinnung vorliegt. Retrospektive Registerdaten hatten in der Vergangenheit nahegelegt, dass es bezüglich des Outcomes keinen Unterschied macht, ob Patienten mit PCC oder FFP behandelt werden. Die INCH-Studie ist die erste Studie, die die Frage der besseren Wirksamkeit der beiden Therapieansätze in einem prospektiven randomisierten Design untersuchte.

Es handelte sich um eine Investigator-initiierte (IIT), multizentrische, prospektive, randomisierte, offene Studie mit verblindeter Adjudizierung der Endpunkte (Tab. 1). Eingeschlossen wurden Patienten mit intrakraniellen Blutungen unter Vitamin-K-Antagonisten-Therapie, die sich innerhalb von zwölf Stunden nach Symptombeginn in der Klinik vorstellten und bei denen die INR 2,0 oder größer war. Die Patienten erhielten entweder 20 ml/kg FFP oder 30 IE/kg i.v. PCC innerhalb einer Stunde nach dem initialen CT. Der primäre Endpunkt war die Zahl der Patienten mit einer INR von 1,2 oder niedriger innerhalb von drei Stunden nach Beginn der Therapie.

Tab. 1. Studiendesign (INCH, International normalized ratio [INR] normalization in coumadin associated intracerebral haemorrhage) [Steiner et al. 2016]

Erkrankung

Schlaganfall/
intrakranielle Blutungen

Studienziel

PCC und FFP für Patienten mit intrakraniellen Blutungen unter Vitamin-K-Antagonisten

Studientyp/Phase

Intervention/Phase IV

Studiendesign

Multizentrisch, prospektiv, randomisiert, offen, verblindete Adjudizierung der Endpunkte

Eingeschlossene Patienten

50

Intervention

  • PCC; 30 I.E./kg i.v. (n=23)
  • FFP; 20 ml/kg i.v. (n=27)

Primäre Endpunkte

INR ≤1,2 innerhalb von 3 Stunden nach Beginn der Infusion

Sponsor

Universität Heidelberg

Studienregisternummer

2008–005653–37 (EudraCT)

FFP: gefrorenes Frischplasma; INR: International Normalized Ratio; i.v.: intravenös; PCC: Prothrombinkomplexkonzentrat

Zwischen August 2009 und Januar 2015 wurden 54 Patienten in die Studie eingeschlossen, 50 erhielten die Studienmedikation, davon 23 FFP und 27 PCC. Zwei von 23 Patienten, entsprechend 9% in der FFP-Gruppe, erreichten den primären Endpunkt, verglichen mit 18 von 27 (67%) in der PCC-Gruppe. Dieser Unterschied war mit einer Odds-Ratio von 30,6 statistisch signifikant. 13 Patienten starben, davon acht in der FFP-Gruppe und fünf in der PCC-Gruppe. Innerhalb der ersten drei Tage traten drei thromboembolische Komplikationen auf und innerhalb von zwölf Tagen sechs. Die Zahl unerwünschter Ereignisse war in beiden Gruppen gleich häufig. Das CT nach drei Stunden zeigte eine Zunahme des Hämatoms um 24 ml in der FFP-Gruppe und um 9,7 ml in der PCC-Gruppe. Nach 24 Stunden waren die entsprechenden Zahlen 22 ml und 8 ml. Eine Größenzunahme von über 33% oder Tod wurde bei 60% in der FFP-Gruppe beobachtet und bei 30% in der PCC-Gruppe. Dieser Unterschied war statistisch signifikant.

Kommentar

Die Studie, die in Deutschland durchgeführt wurde, ist die erste randomisierte, prospektive Studie, die die beiden Therapieansätze FFP und PCC bei Patienten mit intrakraniellen Blutungen unter Vitamin-K-Antagonisten in einem randomisierten Design untersuchte. Die Rekrutierung in die Studie war außerordentlich schwierig, was erklärt, warum letztendlich in sechs Jahren nur 50 Patienten tatsächlich behandelt wurden. Die Zahl der behandelten Patienten war viel zu gering, um Aussagen darüber zu machen, ob die beiden Therapien sich in ihrer Wirksamkeit bezüglich klinischer Endpunkte unterscheiden. Bezogen auf die Surrogatparameter Normalisierung der INR, Zeit bis zur Normalisierung der INR und Größenzunahme des initialen Hämatoms war aber PCC gegenüber FFP eindeutig überlegen. FFP hat darüber hinaus das Problem, dass es bei Patienten mit Herzinsuffizienz nicht eingesetzt werden kann. Im Gegensatz zu dem neuen spezifischen Gegenmittel gegen Thrombinantagonisten und Faktor-Xa-Antagonisten haben PCC und FFP auch prothrombotische Eigenschaften, die in ischämischen Insulten und Lungenembolien resultieren können. Bezogen auf den derzeitigen Therapiestandard sollte PCC als Therapie der ersten Wahl bei Phenprocoumon-induzierten intrakraniellen Blutungen eingesetzt werden. Für die neuen Antikoagulanzien kommt schon jetzt Idarucizumab für Dabigatran zum Einsatz, während die Zulassung von Andexanet alfa für die Faktor-Xa-Hemmer noch aussteht.

Quelle

Steiner T, et al. Fresh frozen versus prothrombin complex concentrate in patients with intracranial haemorrhage related to vitamin K antagonists (INCH): a randomised trial. Lancet Neurol 2016;15:566–573.

Arzneimitteltherapie 2016; 34(07)