Prof. Dr. med. H. C. Diener, Essen
Epidemiologischen Studien legen nahe, dass eine Hormonsubstitution nach der Menopause das Auftreten oder Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung
reduzieren könnte. Bisherige Studien waren aber an inhomogenen Gruppen durchgeführt worden, sodass methodische Probleme bestanden. Plazebo-
kontrollierte randomisierte Studien bei Frauen mit manifester Alzheimer-Erkrankung zeigten keinen Nutzen einer Hormonersatztherapie.
In einer Studie wurde daher untersucht, ob ältere Frauen, die nicht dement sind, mit Hormonersatztherapie bessere kognitive Funktionen aufweisen und ob eine Verschlechterung kognitiver Funktionen verhindert werden kann. An der Studie nahmen Frauen über 65 Jahre teil, die in Cache County leben, einem Landkreis, in dem 90 % der Einwohner einer Sekte angehören, die den Genuss von Alkohol und Nicotin verbietet. In diesem Landkreis besteht eine hohe Lebenserwartung und eine relativ geringe Inzidenz schwerwiegender Krankheiten. 1995 und 1996 wurden mit 2 928 über 65-jährigen Frauen Interviews geführt, der Mini-Mental-Test durchgeführt sowie verschiedene Depressionsskalen erhoben. Darüber hinaus wurde eine medizinische Anamnese erhoben, Gedächtnis-bezogene Variablen in Fragebögen erfasst und die Einnahme von Medikamenten registriert. Bei den meisten untersuchten Frauen konnten 3 Jahre später alle Untersuchungen wiederholt werden. Fragebögen von Frauen, die bei Studienbeginn dement waren, die einen Schlaganfall erlitten hatten oder die chronisch krank waren, wurden nicht ausgewertet. So standen für die erste Erhebung 2 073 Frauen zur Verfügung und für die Folgebefragung nach 3 Jahren 1 800.
Das mittlere Alter der Befragten lag zwischen 72 und 77 Jahren. 839 Frauen hatten nie Hormone eingenommen, 390 hatten in der Vergangenheit Hormone genutzt und 763 nutzten zum Zeitpunkt der Befragung eine postmenopausale Hormonersatztherapie. Bei der statistischen Auswertung wurden Alter, Bildungsstand, Vorhandensein einer Depression, chronische Erkrankungen und der selbst eingeschätzte Gesundheitsstatus erfasst. Niedrige Werte im Mini-Mental-Score (schlechte kognitive Funktionen) korrelierten mit Alter, geringerem Bildungsstand, Depressionen und dem APOE4-Allel. Wurden diese Kovariablen in der multivariaten Analyse berücksichtigt, führte eine postmenopausale Hormonsubstitution zu besseren Mini-Mental-Ergebnissen zu Beginn der Untersuchung und zu einer geringeren Verschlechterung nach 3 Jahren. Auch wenn alle Frauen aus der Studie herausgerechnet wurden, die im Lauf der 3 Jahre eine Demenz entwickelt hatten, waren die Ergebnisse signifikant. Am ausgeprägtesten waren die Effekte auf kognitive Funktionen bei Frauen über 85 Jahren.
Nutzen und Risiko einer postmenopausalen Hormonersatztherapie bleiben umstritten. Zweifelsfrei ist, dass sie in den ersten Jahren nach der Menopause die Symptome des Hormonausfalls lindert. Prospektive doppelblinde randomisierte Studien haben gezeigt, dass eine Hormonersatztherapie weder Myokardinfarkte noch Schlaganfälle verhindert. Das Ausmaß einer Osteoporose kann reduziert werden. Es besteht aber ein erhöhtes Risiko maligner Erkrankungen, insbesondere von Mammakarzinomen.
Die Studien zur Verhinderung einer Demenz oder des Abbaus kognitiver Funktionen sind widersprüchlich. Bei etablierter Alzheimer-Erkrankung hat sich kein Nutzen einer
Estrogen-Ersatztherapie gezeigt. Dies mag daran liegen, dass bei fortgeschrittener Erkrankung der Löwenanteil der Neuronen, die
Estrogen-Rezeptoren tragen, nicht mehr funktionsfähig ist. Diese epidemiologische Studie legt nahe, dass vor allem bei Frauen über 85 Jahren Hormonersatztherapie zu einer besseren kognitiven Funktion und zur Verlangsamung des Abbaus kognitiver Funktionen führt. In der Studie wurden sorgfältig mögliche Kovariablen kontrolliert. Zu bedenken ist, dass sie in einer Bevölkerung mit sehr geringem Risiko für vaskuläre Erkrankungen und Tumoren durchgeführt wurde. Vaskuläre Erkrankungen sind häufig mit kognitiven Funktionseinbußen verknüpft, bei 30 % Demenz-Patienten besteht eine Überlappung zwischen einer Alzheimer-Erkrankung und einer vaskulären Demenz.
Quelle
Carlson MC, et al. for the Cache County Study Group. Hormone replacement therapy and reduced cognitive decline in older women. The Cache County Study. Neurology 2001;57:2210-6.
Klinische Studien
Arzneimitteltherapie 2003; 21(02)