Susanne Wasielewski, Münster
In der DIG(Digitalis investigation group)-Studie wurde erstmals in einer größeren Patientengruppe der Einfluss einer Digoxin-Therapie auf die Gesamtsterblichkeit bei Patienten mit Herzinsuffizienz untersucht. An der randomisierten Doppelblindstudie nahmen 6 800 Patienten mit Herzinsuffizienz und linksventrikulärer systolischer Dysfunktion (linksventrikuläre Auswurffraktion ≤ 45 %) bei normalem Sinusrhythmus teil. Die meisten Patienten wurden mit Diuretika und ACE-Hemmern behandelt, rund die Hälfte nahm bereits Digoxin ein. Während der Studie bekamen die Patienten Digoxin in einer durchschnittlichen Tagesdosis von etwa 0,25 mg oder ein Plazebo.
Nach einer mittleren Behandlungsdauer von 37 Monaten lag die Gesamtsterblichkeit bei rund 35 % ohne Unterschied zwischen Digoxin- und Plazebo-Gruppe. Digoxin war Plazebo nur in zwei von fünf sekundären Endpunkten überlegen: Es senkte die Gesamtrate der Krankenhausaufnahmen und die Rate der Hospitalisierungen aufgrund einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz.
Obwohl Männer und Frauen sich bei Risiken, Ursachen und Prognose einer Herzinsuffizienz unterscheiden, waren geschlechtsspezifische Unterschiede in der DIG-Studie zunächst nicht untersucht worden. In einer nachträglichen Subgruppenanalyse wurden geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Digoxin-Therapie analysiert. Nach einem Zusammenhang zwischen Geschlecht und Digoxin-Behandlung wurde vor allem bei der Gesamtsterblichkeit (= primärer Endpunkt) gesucht.
An der Studie hatten sich fast viermal so viele Männer wie Frauen beteiligt. Die Frauen waren im Mittel zwei Jahre älter als die Männer. Sie unterschieden sich in einigen klinischen Eigenschaften von den Männern. Beispielsweise litt ein höherer Prozentsatz in der Vorgeschichte an Diabetes mellitus, Bluthochdruck oder Angina pectoris. Mehr Frauen als Männer hatten bereits Digoxin eingenommen und befanden sich im NYHA-Stadium III oder IV. Bei Frauen war die Anfangsdosis der Studienmedikation niedriger als bei Männern.
755 Frauen hatten Digoxin und 764 ein Plazebo eingenommen. Frauen der Digoxin-Gruppe hatten mit 33,1 % eine signifikant höhere Sterblichkeit als Frauen der Plazebo-Gruppe mit 28,9 %. Die Sterblichkeit der Frauen war unter Digoxin um 4,2 % erhöht.
2 642 Männer hatten Digoxin und 2 639 Männer hatten Plazebo eingenommen. Die Sterblichkeit unterschied sich nicht signifikant zwischen Männern der Digoxin-Gruppe (35,2 %) und Männern der Plazebo-Gruppe (36,9 %). Die Sterblichkeit der Männer war unter Digoxin um 1,6 % verringert. Die Wirkung auf die Sterblichkeit unterschied sich zwischen Männern und Frauen absolut um 5,8 %.
Im multivariaten Cox-Proportional-Hazard-Modell erwies sich der zusammenhang zwischen Geschlecht und Digoxin-Therapie als unabhängig von anderen klinischen Faktoren (zum Beispiel Digoxin-Vorbehandlung, Komedikation): Bei Frauen betrug das Risiko zu sterben unter Digoxin im Vergleich zu Plazebo 1,23 (signifikant erhöht). Bei Männern lag das Risiko zu sterben unter Digoxin im Vergleich zu Plazebo bei 0,93 (nicht signifikant verringert).
Eine geschlechtsspezifische Wirkung von Digoxin zeigte sich auch für einige sekundäre Endpunkte der DIG-Studie:
Nur Frauen hatten unter Digoxin ein erhöhtes Risiko für einen kardiovaskulär bedingten Tod (relatives Risiko bei Frauen 1,24, bei Männern 0,96).
Nur Männer hatten unter Digoxin ein verringertes Risiko, aufgrund einer sich verschlechternden Herzinsuffizienz zu sterben (relatives Risiko bei Männern 0,79, bei Frauen 1,17).
Männer profitierten von Digoxin, indem sie seltener wegen einer Verschlechterung ihrer Herzinsuffizienz ins Krankenhaus mussten (relatives Risiko 0,66). Dieser Nutzen der Digoxin-Behandlung war bei Frauen geringer (relatives Risiko 0,87).
Die nachträgliche Subgruppenanalyse der DIG-Studie weist darauf hin, dass sich die Wirkung einer ambulanten Digoxin-Behandlung bei Patienten mit stabiler Herzinsuffizienz erheblich zwischen den Geschlechtern unterscheidet. Da Männer, bezogen auf den Körpermassenindex, die höheren Dosen einnahmen, handelt es sich bei dem Wirkungsunterschied wohl nicht um einen Dosis-Effekt.
Möglicherweise gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik von Digoxin. Bei knapp einem Drittel der Patienten wurde die Digoxin-Serumkonzentration einen Monat nach der Randomisierung bestimmt. Sie war bei Frauen im Mittel etwas höher als bei Männern (0,9 ng/ml gegenüber 0,8 ng/ml). In einer etwas größeren Stichprobe nach einem Jahr hatte sich die Digoxin-Serumkonzentration angeglichen (im Mittel 0,6 ng/ml).
Eine weitere mögliche Erklärung für die erhöhte Sterblichkeit von Frauen unter Digoxin-Behandlung könnte eine Wechselwirkung zwischen postmenopausaler Hormoneinnahme und Digoxin sein. Über die postmenopausale Hormonsubstitution wurden allerdings keine Daten gesammelt. Aufgrund der Ergebnisse der Analyse muss die Anwendung von Digoxin bei Frauen mit Herzinsuffizienz dringend weiter untersucht werden.
Quellen
Rathore SS, et al. Sex-base differences in the effect of digoxin for the treatment of heart failure. N Engl J Med 2002;347:1403-11.
Eichhorn EJ, Gheorghiade M. Digoxin – new perspective of an old drug. N Engl J Med 2002;347:1394-5.
Arzneimitteltherapie 2003; 21(04)