Onkologie

Erforschung von Substanzen aus dem Meer


Bettina Polk, Susanne Heinzl

Vor 16 Jahren hat die Firma PharmaMar ihre Forschungsarbeit begonnen, mit dem Ziel, neue Wirkstoffe gegen Krebs aus dem Meer zu entdecken und zu erforschen. ET-743 (Trabectedin: geplanter Handelsname YondelisTM) wird vor allem bei Weichteilsarkomen geprüft. Drei weitere Substanzen sind ebenfalls in der klinischen Entwicklung.

Das Meer bietet eine schier endlose Artenvielfalt, die nur teilweise erforscht ist, obwohl „das Leben“ einst im Meer begann. Dies sind Gründe für das Unternehmen PharmaMar, im Meer nach neuen therapeutisch wirksamen Substanzen zu suchen. Mittlerweile existiert bei der spanischen Zeltia-Tochter eine große Substanz-Datenbank, wobei vier Stoffe bereits in klinischer Prüfung sind (Tab. 1), 60 weitere derzeit präklinische Untersuchungen durchlaufen und 150 momentan medizinisch-pharmazeutisches Potenzial zeigen.

Trabectedin (YondelisTM)

Der Wirkungsmechanismus von ET-743 ist mehrschichtig, es bindet an die DNS und hemmt so die Aktivierung der Synthese von Genen mit Schlüsselfunktion, außerdem werden Reparatursysteme gehemmt, die das angebundene Molekül wieder entfernen könnten. Am besten untersucht ist die Substanz bisher bei Weichteilsarkom, einer seltenen Krebserkrankung mit einer Inzidenz von 2 pro 100 000 Personen. Nach Versagen einer Standardtherapie mit Anthracyclinen und Ifosfamid gibt es bei Weichteilsarkom bislang keine Therapiemöglichkeit.

189 Patienten mit Weichteilsarkom wurden in klinischen Studien mit ET-743 (YondelisTM) behandelt. Die Ansprechrate betrug 7,4 % – in absoluten Zahlen sind das 14 von 189 Patienten. Positiv ist, dass die Ansprechrate unabhängig von Art und Dauer möglicher Vortherapien ist und dass auch Doxorubicin-resistente Tumoren ansprechen können. Auffallend ist auch, dass die Dauer des Ansprechens im Median 17 Monate betrug. Ein Nutzen für die Patienten kann auch sein, dass der Tumor nicht weiter wächst, denn Patienten mit Weichteilsarkom können symptomfrei leben. Erst wenn der Tumor beispielsweise auf einen Nerv drückt, treten Schmerzen auf, somit ist auch die Verzögerung des Wachstums ein Erfolg, der die Lebensqualität verbessert. Fasst man Ansprechrate und Anteil der Patienten mit nicht weiter gewachsenem Tumor zusammen, beträgt die Erfolgsrate 52,9 %.

Erste Studienergebnisse von Trabectedin in der First-Line-Therapie zeigen eine mit den bisherigen Standardsubstanzen vergleichbare Ansprechrate von 18 %.

Die Verträglichkeit der neuen Substanz ist gut, hämatotoxische Wirkungen stehen eher im Hintergrund, febrile Neutropenien sind bei 8 % der Patienten aufgetreten. Von Bedeutung scheint die Lebertoxizität zu sein. Transaminasen und alkalische Phosphatase können ansteigen, was voll reversibel ist. Kommt es aber zwischen den Zyklen zu einem Anstieg von Bilirubin und alkalischer Phosphatase, muss die Dosis reduziert werden. Unter Trabectedin treten im Gegensatz zu Anthracyclinen und Alkylanzien keine Alopezien auf.

Die empfohlene Dosis beträgt 1,5 mg/m2 als 24-Stunden-Infusion, alle drei Wochen, die Zahl der Zyklen ist nicht begrenzt. Die Elimination verläuft biphasisch, die Halbwertszeit beträgt initial 30 Minuten und terminal 69 bis 109 Stunden. Das Verteilungsvolumen von > 1000 l/m2 deutet auf eine ausgeprägte Plasma- und Gewebebindung hin.

ET-743 wird außer Weichteilsarkomen bei einer Reihe weiterer Tumoren wie Brustkrebs und Ovarialkarzinom untersucht.

Aplidin

Aplidin hemmt den Wachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor), der für den Anschluss des Tumors ans Gefäßsystem von Bedeutung ist. Dieser Wirkstoff scheint Erfolg versprechend bei Nieren-, Darm-, Schilddrüsen, Pankreas- und Lungenkarzinom. Bislang wurden 230 Patienten in sieben Kliniken behandelt, die Substanz befindet sich momentan in der Phase II der klinischen Prüfung.

Kahalalide F

Kahalalide F hat die klinische Phase I durchlaufen und befindet sich momentan am Beginn von Phase II. Die Substanz destabilisiert lyosomale Membranen und hemmt die Expression von TGF-alpha (transforming growth factor-alpha). Wirksam ist Kahalalide F nach bisheriger Erkenntnis bei soliden Tumoren. Die Toxizitätsdaten lassen hoffen, dass keine Knochenmarkstoxizität auftritt.

ES-285

ES-285 stammt aus der essbaren Arktismuschel Mactromeris polynyma. Derzeit wird in der klinischen Phase I die Eignung von verschiedenen Dosis-Regimen und Zeitplänen bei Patienten mit fortgeschrittenen, malignen soliden Tumoren untersucht.

Quellen

Dr. Peter Reichardt, Berlin, Isabel Lozano, Madrid, Dr. Rubén Henríquez, Madrid, Dr. Pablo Bernabé, Madrid. „PharmaMar – Marine Substanzen bereichern die Onkologie“, Pressekonferenz, veranstaltet von der Firma PharmaMar, Colmenar Viejo, Spanien, 12. Juni 2003.

Dr. Hans-Peter Lipp, Tübingen, Prof. Dr. Joachim H. Hartlapp, Osnabrück. Satellitensymposium „Mehr als nur innovative Wirkmechanismen – Krebstherapie marinen Ursprungs“, veranstaltet von PharmaMar im Rahmen der ADKA-Tagung, Mannheim, 14. Juni 2003.

Tab. 1. Antitumoröse Wirkstoffe marinen Ursprungs in der klinischen Prüfung

Organismus (Gattung)

Wirkstoff

Vorkommen

Ecteinascidia turbinata (Seescheide)

Ecteinascidin-743 (ET-743, INN: Trabectedin)

Karibisches Meer

Aplidium albicans (Manteltierchen)

Aplidin (APL)

Mittelmeer

Elysia rufescens (Weichtier)

Kahalalide F (KF)

Hawaii

Mactromeris polynyma (Weichtier)

ES-285

Japan

Arzneimitteltherapie 2003; 21(09)