HIV-Therapie

Atazanavir so wirksam wie Lopinavir


Andrea Warpakowski, Itzstedt

Der neue, einmal täglich einzunehmende Proteasehemmer Atazanavir (in den USA seit Juni 2003 als Reyataz im Handel) ist „geboostert“ mit Ritonavir (NorvirTM) bei intensiv vorbehandelten Patienten so wirksam wie der geboosterte Proteasehemmer Lopinavir/Ritonavir (Kaletra®).

Eine geringe Dosis Ritonavir, die selbst nicht antiviral wirksam ist, verbessert die Pharmakokinetik von Proteasehemmern, indem die Substanz den Abbau der Proteasehemmer blockiert. Diese „Boosterung“ führt zu höheren Talspiegeln und somit zu einer zuverlässigeren antiviralen Wirkung.

Ungeboostert ist Atazanavir bei bisher nicht vorbehandelten HIV-Patienten so wirksam wie der nicht-nucleosidische Reverse-Transcriptase-Hemmer Efavirenz (Sustiva®) und wie der Proteasehemmer Nelfinavir (Viracept®). Im Vergleich zu Nelfinavir stiegen in einer Phase-III-Vergleichsstudie Gesamtcholesterol und Nüchtern-Triglyceride nach 108 Wochen Behandlung mit Atazanavir kaum an. Nach Umstellung von Nelfinavir auf Atazanavir nahmen die Blutfettwerte sogar wieder signifikant ab.

Atazanavir beeinflusst auch mit Ritonavir-Boosterung den Fettstoffwechsel praktisch nicht. Dies ergab die Zwischenauswertung einer randomisierten Phase-III-Studie mit insgesamt 358 intensiv vorbehandelten Patienten. An der Studie nahmen Patienten teil, bei denen schon mindestens zwei Therapieregime versagt und die schon mindestens ein Arzneimittel aus jeder Substanzklasse erhalten hatten. Im Median waren die Studienteilnehmer 40 Jahre alt und bei fast einem Viertel wurde bereits AIDS diagnostiziert. Die mediane Viruskonzentration betrug zu Beginn der Studie 4,44 log-Stufen und die CD4-Helferzellen lagen zwischen 283 und 318 Zellen/µl Blut. Im Durchschnitt waren die Patienten schon mehr als 2,5 Jahre mit Proteasehemmern, 5 Jahre mit nucloeosidischen Reverse-Transciptase-Hemmern (NRTIs) und mehr als 1 Jahr mit nicht nucleosidischen Reverse-Transcriptase-Hemmern (NNRTIs) vorbehandelt. Die Patienten wurden auf drei Behandlungsarme verteilt:

  • Einmal täglich 300 mg Atazanavir und 100 mg Ritonavir
  • Einmal täglich 400 mg Atazanavir und 1 200 mg Saquinavir
  • Zweimal täglich 400 mg Lopinavir und 100 mg Ritonavir

Zusätzlich erhielten sie ein Nucleosidanalogon und das Nucleotidanalogon Tenofovir (Viread®).

Nach 24 Wochen war die virologische Wirksamkeit von Atazanavir/Ritonavir und Lopinavir/Ritonavir vergleichbar, die Kombination Atazanavir/Saquinavir den anderen Behandlungen jedoch unterlegen. Die Viruskonzentration sank mit Atazanavir/Ritonavir durchschnittlich um 1,86 log-Stufen, mit Lopinavir/Ritonavir um 1,89 log-Stufen und mit Atazanavir/Saquinavir um 1,52 log-Stufen. In der Intention-to-treat-Analyse erreichten 64 % der mit Atazanavir/Ritonavir behandelten Patienten die Nachweisgrenze < 400 HIV-RNS-Kopien/ml und 39 % < 50 Kopien/ml, mit Lopinavir/Ritonavir waren es 62 und 42 %. Die CD4-Zellzahl stieg in der Atazanavir/Ritonavir-Gruppe durchschnittlich um 83/µl und in der Lopinavir/Ritonavir-Gruppe um 90/µl.

Beim Fettstoffwechsel gab es signifikante Unterschiede zwischen Atazanavir und Lopinavir (Abb. 1).

  • Mit Atazanavir/Ritonavir sanken das Gesamtcholesterol durchschnittlich um 8 und die Triglyceride um 2 %.
  • Mit Lopinavir/Ritonavir hingegen stiegen diese Werte um 3 und 31 %.

Lipidsenkende Medikamente benötigten während der Studie 3 % der mit Atazanavir im Vergleich zu 8 % der mit Lopinavir behandelten Patienten. Die häufigste Nebenwirkung von Atazanavir war eine reversible Hyperbilirubinämie, die jedoch nicht mit einer Leberfunktionsstörung einherging. Diarrhö trat bei 3 % der mit Atazanavir behandelten Patienten auf im Vergleich zu 11 % in der Lopinavir-Gruppe.

Quelle

Prof. Dr. Bonaventura Clotet, Barcelona, Spanien, Symposium „HAART in the new century: the changing face of cornerstone agents“, veranstaltet von Bristol-Myers Squibb im Rahmen der 2nd IAS Conference on HIV Pathogenesis and Treatment, Paris, Frankreich, 12. bis 16. Juli 2003.

Badero et al., Abstract Nr. 118, 2nd IAS Conference on HIV Pathogenesis and Treatment, Paris, Frankreich, 12. bis 16. Juli 2003.

Abb. 1. Mittlere prozentuale Veränderung der Lipidwerte bei HIV-Therapie gegenüber den Ausgangswerten bis Woche 24. Patienten, die lipidsenkende Arzneimittel einnahmen, waren ausgeschlossen, LDL-C und HDL-C = LDL- und HDL-Cholesterol, TG = Triglyceride, * p < 0,0001 für Atazanavir-Regime vs. Lopinavir-Regime)

Arzneimitteltherapie 2003; 21(12)