Dr. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Primäres Ziel bei der Therapie des frischen Myokardinfarkts ist die möglichst rasche Wiedereröffnung des verschlossenen Koronargefäßes. Die sollte immer dann interventionell erfolgen, wenn zwischen der Aufnahme in der Klinik und der Durchführung der PTCA nicht mehr als 90 bis 120 Minuten verstreichen. Für die interventionelle Reperfusion spricht insbesondere die Tatsache, dass keine Kontraindikationen beachtet werden müssen und keine systemischen Blutungskomplikationen zu befürchten sind. Die technischen Voraussetzungen für eine Koronarintervention sind allerdings nicht in jedem Krankenhaus gegeben.
Es gilt heute als Standard, die Koronarintervention beim akuten ST-Hebungsinfarkt unter dem Schutz eines Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitors wie Abciximab (ReoPro®) durchzuführen. Im Rahmen der BRAVE-Studie (Bavarian reperfusion alternatives evaluation) wurde jetzt untersucht, ob die zusätzliche Gabe des Fibrinolytikums Reteplase (Rapilysin®) in halber Dosierung das Ergebnis der Koronarintervention verbessert. In die offene, randomisierte Studie wurden 253 Infarkt-Patienten aufgenommen.
Als primärer Endpunkt wurde 5 bis 10 Tage nach der Randomisierung die Infarktgröße szintigraphisch bestimmt. Sie machte in der Kombinationsgruppe 13 % des linken Ventrikels aus, in der Abciximab-Gruppe 11,5 %. Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. In jeder Behandlungsgruppe verstarben zwei Patienten innerhalb von 30 Tagen. Der kombinierte Endpunkt nach 30 Tagen (Tod, Reinfarkt und Schlaganfall) wurde in der kombiniert behandelten Gruppe von 3,2 % der Patienten, in der nur mit Abciximab behandelten Gruppe von 1,6% der Patienten erreicht (p = 0,66). Größere Blutungskomplikationen traten in der kombiniert behandelten Gruppe bei 5,6 %, in der Abciximab-Gruppe dagegen bei 1,6 % der Patienten auf. Alle diese Unterschiede waren nicht signifikant. Subgruppenanalysen ergaben ebenfalls keine signifikanten Unterschiede, weder bei Patienten, die innerhalb von 2 Stunden nach Beginn der Symptomatik primär behandelt wurden, noch bei Patienten, bei denen die PTCA erst mehr als 90 Minuten nach Aufnahme im kardiologischen Zentrum durchgeführt wurde (drei Viertel der Patienten waren zunächst anderweitig stationär aufgenommen und dann in ein kardiologisches Zentrum überstellt worden).
Nach den Ergebnissen dieser Studie ist die kombinierte Therapie mit Abciximab plus Reteplase bei Patienten mit einem frischen Myokardinfarkt, die interventionell behandelt werden, einer alleinigen Therapie mit dem Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitor nicht überlegen.
Quelle
Kastrati A. Bavarian Reperfusion Alternatives Evaluation – Reteplase plus abciximab or abciximab alone prior to PCI in AMT patients. Jahrestagung der American Heart Association, Orlando (USA), 10. November 2003.
Studienmedikation
Gruppe 1: 2 x 5 E. Reteplase im Abstand von einer Stunde plus Abciximab (Bolus 0,25 mg/kg plus 12 h Infusion mit 0,125 mg/kg pro min)
Gruppe 2: Abciximab wie Gruppe 1
Arzneimitteltherapie 2004; 22(03)