Alexandra Hennemann, Stuttgart
Bei Krebspatienten wurde in Studien je nach Tumorart zu 59 % bis 96 % ein Fatigue-Syndrom festgestellt, bis zu 40 % sind nach Therapieende längerfristig betroffen. Eine Anämie findet sich bei Krebs-bedingten Erschöpfungszuständen zu mindestens 50 %, sie kann durch die Therapie oder den Tumor selbst entstehen. Die Häufigkeit der Anämie schwankt je nach Krebsart und Therapie. Anämie ist ein wichtiger unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung von Fatigue, nicht alle anämischen
Patienten entwickeln jedoch ein Fatigue-Syndrom. Weitere Risikofaktoren sind Mangelernährung, Medikationen wie Benzodiazepine oder Opiate, Depressionen (Komorbidität 15–25 %) und die Fähigkeit zur Krankheitsbewältigung sowie Schmerzen und Schlafstörungen.
Mit der Erhöhung des HämoglobinWerts durch die Gabe von rekombinantem Erythropoetin bessert sich die Fatigue-Symptomatik. In einer Studie wurden 343 Transfusions-abhängige Chemotherapie-Patienten mit Non-
Hodgkin-Lymphom, chronisch-lymphatischer Leukämie (CLL) oder Myelom über 16 Wochen mit Epoetin beta (Neo
Recormon®) oder Plazebo behandelt. In der Verum-Gruppe war der primäre Endpunkt Transfusions- und Anämie-freies Überleben signifikant verlängert (relatives Risiko –51 %). Der Anteil der Patienten mit Hämoglobin-Erhöhung um mehr als 2 g/dl und ohne Transfusionen war mit 67 % (vs. 27 %) größer. Außerdem verbesserte sich die Lebensqualität, besonders bei Hämoglobin-Erhöhung um mehr als 2 g/dl. In einer weiteren Studie bei 262 anämischen Patienten mit soliden oder lymphatischen Tumoren wurde die Gabe von Epoetin beta über 12 Wochen mit einer Standardversorgung verglichen. Epoetin beta verbesserte hier den primären Endpunkt Lebensqualität deutlich. Außerdem reduzierte es die notwendigen Transfusionen (–43 %) und erhöhte häufiger die Hämoglobin-Werte (47 % vs. 13 %). Die Gesundheits-bezogene Lebensqualität verbesserte sich auch bei etwa 400 anämischen Krebspatienten mit oder ohne Chemotherapie vor allem bei einem Anstieg des Hämoglobin-Werts um 2 g/dl oder mehr.
Die maximale Wirkung von Epoetin beta wird nach 8 bis 12 Wochen sowie bei einem Hb-Wert von 11 bis 12 g/dl erreicht.
Zur Frage, wie sich die Gabe von Erythropoetin bei Krebspatienten auf das Überleben auswirkt, liegen allerdings immer noch keine klaren Ergebnisse vor. Eine vor kurzem publizierte Studie [2] bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren ergab, dass eine Epoetin-Behandlung die Überlebenschance eher verschlechterte.
Quellen
1. Dr. med. Ulrich Rüffer, Köln, Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer, Tübingen. Pressekonferenz „Fatigue – Eine unterschätzte Erkrankung“, veranstaltet von Hoffmann-La Roche im Rahmen der Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie, Basel, 7. Oktober 2003.
2. Henke M, et al. Erythropoietin to treat head and neck cancer patients with anaemia undergoing radiotherapy: randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2003;362:1255-60.
Arzneimitteltherapie 2004; 22(04)