Individualisierte Therapie durch Pharmakogenetik


Fakt oder Fiktion?

Dr. med. Peter Stiefelhagen

Die tägliche Erfahrung zeigt: Verträglichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln sind individuell sehr unterschiedlich. Verantwortlich für diese interindividuelle Variabilität sind neben Alter, Geschlecht, Grunderkrankungen sowie Nieren- und Leberfunktion genetische Varianten der Metabolisierung, die sowohl die Pharmakokinetik als auch die Pharmakodynamik und somit die klinische Gesamtwirkung eines Medikaments wesentlich beeinflussen können. Diese pharmakogenetischen Unterschiede sind Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen mit dem Ziel, die Therapie für den einzelnen Patienten individualisieren zu können.

Wichtig für den Arzneimittelmetabolismus sind beim Menschen die Cytochrom-P450-Isoenzyme (CYP) der Leber. Ihre Aktivität zeigt erhebliche individuelle Unterschiede, die genetisch determiniert sind. Von klinischer Relevanz dürfte insbesondere der Genpolymorphismus beim CYP2D6 sein, da dieses Enzym bei der Metabolisierung vieler Medikamente eine große Rolle spielt. Bisher wurden 44 Genvarianten für dieses Enzym beschrieben, die sich unterschiedlich auf die Aktivität auswirken. So sind etwa 5 bis 10 % der europäischen Bevölkerung schlechte Metabolisierer, schon eine Standarddosierung kann zu erhöhten Plasmakonzentrationen und somit zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder aber auch zu einer besseren Wirksamkeit einer Standarddosis führen. Dazu sind 65 bis 80 % der europäischen Bevölkerung starke Metabolisierer und 5 bis 10 % sogar ultraschnelle Metabolisierer. Bei letzteren besteht die Gefahr einer erniedrigten Plasmakonzentration und somit einer zu geringen oder sogar fehlenden therapeutischen Wirkung bei Verabreichung einer Standarddosis. Doch die klinischen Auswirkungen bestimmter Genvarianten sind sehr komplex, da die Metabolisierung auch zu aktiven Metaboliten führen kann.

Für Betablocker könnten sich daraus Konsequenzen für die praktische Therapie ergeben: Metoprolol wird vorwiegend durch CYP2D6 inaktiviert. Bei Patienten mit einer geringen Enzym-Aktivität können deshalb deutlich höhere Metoprolol-Plasmakonzentrationen und somit eine länger anhaltende Beta-Rezeptorenblockade auftreten. Auch die Verstoffwechslung von Carvedilol läuft über CYP2D6, allerdings in geringerem Umfang als bei Metoprolol. Bei der Metabolisierung von Nebivolol durch CYP2D6 entstehen Metaboliten, die wesentlich zur betablockierenden Wirkung beitragen. Bei Bisoprolol spielen solche Genpolymorphismen allenfalls eine untergeordnete, bei Atenolol keine Rolle. Ob diese Unterschiede klinisch relevant sind, muss erst in prospektiven klinischen Studien an großen Patientengruppen überprüft werden.

Bei anderen Substanzen ist die klinische Relevanz von Genpolymorphismen belegt. So konnte eine eindeutige Korrelation zwischen Dosis, Genotyp und Wirkung oder unerwünschter Wirkung für das Immunsuppressivum Azathioprin nachgewiesen werden. Alle Patienten, die eine Defizienz der Thiopurin-S-Methyltransferase aufweisen, erleiden bereits bei einer Standarddosierung eine Leukopenie. Ultraschnelle Metabolisierer profitieren in geringerem Maß von Serotonin-Antagonisten wie Ondansetron. Andererseits zeigen schlechte Metabolisierer ein höheres Blutungsrisiko unter Warfarin-Therapie.

Die hohen Erwartungen, die in die individualisierte Therapie bei Betrachtung nur eines einzelnen genetischen Merkmals gelegt wurden, konnten mit Ausnahme der oben dargestellten Beispiele bisher allerdings meist nicht erfüllt werden, da die Arzneimittelwirkung letztendlich das Ergebnis eines komplexen Zusammenwirkens verschiedener genetisch determinierter Faktoren darstellt. So ist die mit der Gen-Phänotypisierung individualisierte Therapie weiterhin ein Vision. Aber der Blick in die Vergangenheit zeigt: Visionen von heute sind die Realitäten von morgen.

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