Dr. Barbara Kreutzkamp, München
Warfarin (Coumadin®) ist ein häufig eingesetztes orales Antikoagulans zur Thromboembolie-Prophylaxe beispielsweise bei Patienten mit Vorhofflimmern oder mechanischem Herzklappenersatz. Als Ziel-INR (international normalized ratio) wird ein Bereich zwischen 2,0 und 3,0 angestrebt, bei mechanischem Herzklappenersatz sollte der INR bei 2,5 bis 3,5 liegen.
Bei Überschreiten dieser Prothrombinzeit in Bereiche über 4,0 bis 5,0 oder vor Operationen kann durch Absetzen von Warfarin der INR-Wert nach unten korrigiert und damit die Blutungsgefahr verringert werden, was in der Regel aber drei bis vier Tage dauert. In der Praxis wird daher häufig Vitamin K gegeben.
Die Richtlinien des American College of Chest Physicians (ACCP) sehen eine orale Vitamin-K-Substitution vor, unter der die INR-Werte meist innerhalb von 24 Stunden sinken. Die Dosierung richtet sich nach dem INR-Ausgangswert, bereits aufgetretenen Blutungen und dem Ziel-INR mit Berücksichtigung der Schwere des operativen Eingriffs. Liegt der INR über 20 soll Vitamin K intravenös infundiert werden. Eine subkutane oder intramuskuläre Gabe wird nicht empfohlen, da zwar die Nebenwirkungsgefahr im Vergleich zur i. v. Gabe geringer, der Effekt aber nicht gut kalkulierbar ist.
In einer retrospektiven Untersuchung wurde die Befolgung dieser Richtlinien durch Ärzte an einem US-amerikanischen Universitätskrankenhaus anhand der Krankenakten von 55 stationären Patienten untersucht. Die INR-Werte vor der Vitamin-K-Gabe lagen zwischen 1,25 und 40,34, der am häufigsten angestrebte Zielbereich betrug 2,0 bis 3,0. 26 (47,3 %) Patienten erhielten neben Vitamin K noch Blutplasma.
Insgesamt wurden 87 Einzeldosen Vitamin K appliziert, davon 40,2 % subkutan, 35,6 % intravenös, 13,8% oral und 10,3 % intramuskulär. Am häufigsten wurde die 10-mg-Dosierung gewählt (32,2 %), gefolgt von 2 mg (21,8 %) und 5 mg (18,4 %). Die Complianceraten, orientiert an den Vorgaben der ACCP-Richtlinien in den einzelnen INR-Bereichen, betrugen 12,2 % bei einem INR unter 5, 27,8 % bei einem INR zwischen 5 bis 9, 26,7 % bei einem INR zwischen 9 und 20 und 0 % bei einem INR über 20. Die Gesamtcompliance mit den offiziellen amerikanischen Richtlinien betrug damit bei Dosierung und Applikationsroute lediglich 17,2 %.
Kontrollierte Studien fehlen
Als besonders kritisch beurteilen die Autoren das Vorgehen bei Patienten mit einem INR über 20. Hier schreiben die Richtlinien die intravenöse Gabe von 10 mg Vitamin K vor. Tatsächlich gaben die Ärzte das Warfarin-Antidot bei diesen Werten am häufigsten subkutan, was als weniger wirksam eingestuft wird. Und in 10,1 % wurde hier Vitamin K sogar intramuskulär gegeben, ein Vorgehen, unter dem es häufiger zu Blutungen kommt. Insgesamt war die Dosierung von 10 mg Vitamin K1 für die meisten Patienten zu hoch.
Die schlechte Compliance mit den Richtlinien deckt sich mit den Ergebnissen anderer Studien und wurde auch nach einer Schulung von Ärzten und Apothekern nicht wesentlich besser. Möglicherweise liegt das an dem Evidenzgrad 2C der Empfehlungen, das heißt, als Basis dienten lediglich Beobachtungsstudien. Eine größere randomisierte und prospektiv angelegte Studie könnte mehr Klarheit schaffen.
Quelle
Fan J, et al. A retrospective evaluation of vitamin K1 therapy to reverse the anticoagulant effect of warfarin. Pharmacotherapy 2003;23:1245–50.
Arzneimitteltherapie 2004; 22(07)