Klaus Mann, Essen
Die Klassifikationen von Schilddrüsenerkrankungen mit Hypothyreose berücksichtigen die Neugeborenen-Hypothyreose, postnatal erworbene Erkrankungen (entzündlich, postoperativ, nach Strahlenbehandlung, durch strumigene Substanzen, bei extremem Iodmangel anderer Art, sekundäre Formen [hypophysär oder hypothalamisch]) sowie die sehr seltene periphere Hormonresistenz. Leitlinien zur Schilddrüsendiagnostik sind unter htpp://www.uni-duesseldorf.de abrufbar [1].
Patienten mit klinisch schweren Krankheitsbildern, bis hin zum hypothyreoten Koma, sind selten. In der Praxis steht der Patient mit einer leichten Hypothyreose im Vordergrund, und es dominieren unspezifische klinische Symptome, eine Hypercholesterolämie oder auch zufällig entdeckte erhöhte Spiegel von Thyrotropin (TSH). Die klinische Relevanz solch diskreter Veränderungen ist umstritten. Wenig berücksichtigt ist bisher, dass auch Schilddrüsenhormon-Parameter im grenzwertig hypothyreoten Bereich für den individuellen Patienten bedeutsam sein können und dabei Veränderungen an peripheren Organsystemen resultieren können. Neuere epidemiologische Daten sprechen für einen regelhaften Übergang einer subklinischen in eine manifeste Hypothyreose bei Immunthyreoiditiden, was direkte therapeutische Konsequenzen nach sich zieht.
Definition, Prävalenz und Ursachen der Hypothyreose
Die Hypothyreose ist definiert durch ein über die Norm erhöhtes TSH (> 3 mU/l) und erniedrigtes freies Levothyroxin (fT4). Bei der subklinischen Hypothyreose liegen die peripheren Schilddrüsenhormon-Parameter im Referenzbereich und lediglich TSH ist erhöht. Duntas hat eine Einteilung nach der Höhe der TSH-Spiegel vorgeschlagen (TSH 2–4 mU/l minimal, 4–10 mU/l leicht, >10 mU/l manifest) [3]. Der Vorschlag gründet sich auf die Beobachtungen der Wickham-Studie, dass das Risiko einer manifesten Hypothyreose bereits bei TSH-Spiegeln > 2 mU/l steigt [10].
Klassische Symptome der Hypothyreose sind definitionsgemäß bei der subklinischen Hypothyreose nicht zu erwarten. Anamnese und klinische Untersuchung müssen nach möglichst spezifischen Symptomen, zum Beispiel entsprechend dem Score nach Zulewski [11], fahnden. Hierzu gehören eine allgemeine Verlangsamung, Müdigkeit, depressive Verstimmungen und Leistungsrückgang, trockenes Haar und bei Frauen Zyklusstörungen und Menorrhagien [12]. Die häufigste, nicht iatrogene Ursache der Hypothyreose ist die Immunthyreoiditis und postpartale Thyreoiditis. Die Immunthyreoiditis manifestiert sich in Deutschland meist als atrophische Thyreoiditis mit kleinem Schilddrüsenvolumen und seltener als klassische Hashimoto-Thyreoiditis mit kleinknotiger Struma. Mit sensitiven quantitativen Bestimmungsmethoden finden sich bei diesen Krankheitsbildern in etwa 90 % Schilddrüsenperoxidase-Antikörper (TPO-Antikörper). Ein punktionszytologischer Beleg der Immunthyreopathie mit Nachweis lymphozytärer Infiltrationen muss nur noch in Ausnahmefällen geführt werden.
Für die manifeste Hypothyreose liegt die Prävalenz bei 0,1 bis 1,5 %, für die subklinische Hypothyreose zwischen 1 und 10 %. Die höchsten alters- und geschlechtsspezifischen Raten werden bei älteren Frauen (Alter > 60 Jahre) mit bis zu 20 % angegeben. In der Colorado-Studie lag die Prävalenz der subklinischen Hypothyreose bei Männern über 74 Jahre, allerdings mit 16 % vergleichbar mit der bei gleichaltrigen Frauen (21 %). Arzneimittel-induzierte Hypothyreosen entstehen durch
- antithyreoidale Medikamente,
- Iod in hoher Dosierung (Amiodaron, chronischer Iod-Exzess),
- Lithiumsalze und verschiedene
- Zytokine (Interferon alfa, Interleukin beta).
Leitlinien zur Therapie der subklinischen Hypothyreose
Das Amerikanische College of Physicians findet zwar keine ausreichende Evidenz für die Behandlung, die American Association of Clinical Endocrinologists, ein britisches Consensus-Statement und eine amerikanische Leitlinie empfehlen jedoch die Substitution der subklinischen Hypothyreose, insbesondere wenn Anti-TPO-Antikörper vorliegen. Mögliche Ausnahmen sind ältere Patienten mit koronarer Herzerkrankung und minimal erhöhtem TSH und Patienten mit TSH 4–10 mU/l und negativem Antikörpertest. Einen Algorithmus zur Therapie zeigt Abbildung 1.
Der von Cooper vorgeschlagene Algorithmus geht noch von einer Entscheidungsgrenze des TSH von 10 mU/l aus. Es mehren sich jedoch die Daten, dass eine leichte Hypothyreose schon bei TSH-Spiegeln über 3 mU/l beginnt und beim Nachweis von TPO-Antikörpern das Risiko einer sich entwickelnden manifesten Hypothyreose steigt. Da viele Patienten über unspezifische Symptome klagen, scheint uns beim Nachweis von Schilddrüsenantikörpern eine Substitution auch schon bei TSH-Spiegeln über 4 mU/l gerechtfertigt. Unterstützt wird diese Empfehlung durch Untersuchungensergebnisse, dass durch eine TSH-suppressive Therapie die Infiltration der Schilddrüse mit T-Lymphozyten und die Antikörper-Titer im Serum abnahmen [4]. Die Ruhigstellung des Organs führt möglicherweise zu einer Beruhigung des Immunprozesses. Eine kurzfristige probatorische Gabe von Levothyroxin ist auf Grund der Studienlage gerechtfertigt. Grundsätzlich behandelt werden soll, unabhängig vom Nachweis von Schilddrüsenantikörpern, die subklinische Hypothyreose in der Schwangerschaft und bei Frauen mit anovulatorischen Zyklen und Infertilität. Besonders wichtig ist das Erkennen der auch subklinischen Hypothyreose in der Schwangerschaft, da eine nicht erkannte Hypothyreose zur neurologischen Fehlentwicklung bei Neugeborenen führen kann [5, 6]. Ob ein generelles TSH-Screening für Frauen über 35 Jahre realistisch ist, müssen prospektive Studien zeigen. Dies gilt auch für Männer über 65 Jahre [2].
Empfehlungen zur Therapie der subklinischen Hypothyreose
Die Empfehlungen der Sektion Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie sind wie folgt:
Obligatorische Therapie
- Nach Schilddrüsenoperation (zu berücksichtigen sind hier passagere Hypothyreosen in den ersten Monaten nach Operation – in diesen Fällen ist die Substitutionsbehandlung ggf. nur vorübergehend erforderlich)
- Nach Radio-Iod-Therapie (auch hier sind in den ersten Monaten nach Therapie passagere Hypothyreosen zu beobachten)
- Nach externer Strahlentherapie der Halsregion
- Bei erhöhtem TSH > 4 mU/l und Nachweis von Schilddrüsenantikörpern
- In der Schwangerschaft und Neugeborenenzeit
Probatorische Therapie
- Bei TSH-Spiegeln von 4–10 mU/l und Hypercholesterolämie oder erhöhtem LDL-Cholesterol-Spiegel
- Bei Zyklusstörungen und Infertilität
- Bei psychiatrischen Erkrankungen, insbesondere bei Vorliegen depressiver Symptome
- Bei Verdacht einer monosymptomatischen Verlaufsform einer Hypothyreose
Die initiale Dosierung von Levothyroxin beträgt 50 bis 75 µg täglich. Angestrebt wird eine Normalisierung des TSH-Spiegels. Bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung sollte man niedrig dosiert beginnen (12,5 bis 25 µg täglich). Bei der Immunthyreoiditis kann der Levothyroxin-Bedarf im Verlauf der Jahre zunehmen. Die Dosiserhöhung erfolgt TSH-adaptiert [7]. Durch die Schilddrüsenhormon-Substitution kann häufig eine Therapie mit CSE-Hemmern vermieden werden.
Postmenopausale Frauen, die einer Estrogenersatz-Therapie bedürfen, haben einen höheren Bedarf an Levothyroxin. Frauen ohne Schilddrüsenerkrankung adaptieren den erhöhten Schilddrüsenhormonbedarf rasch durch eine Zunahme von TBG. Frauen mit Hypothyreose zeigen einen Abfall von fT4, so dass TSH signifikant steigt. Es wird daher empfohlen, etwa 12 Wochen nach Beginn einer Estrogen-Therapie die Schilddrüsenhormon-Parameter zu überprüfen und die Levothyroxin-Dosierung anzuheben [8].
Selten findet sich eine Konversionsschwäche von Thyroxin zu Triiodthyronin durch einen Mangel an Typ-II-Deiodase. Diese Patienten zeigen persistierende Symptome einer Hypothyreose trotz Levothyroxin-Therapie. Hier besteht ausnahmsweise die Indikation für eine Kombinationstherapie aus T3 und T4. Am besten geeignet erscheint eine Therapie im Verhältnis 10 : 1 T4 zu T3 (z. B. Prothyrid-Tabletten) [9].
Therapie der manifesten Hypothyreose
Die belegte manifeste Hypothyreose stellt eine eindeutige Indikation zur Substitution mit Schilddrüsenhormonen dar. Ziel der Therapie ist die Normalisierung der Schilddrüsenfunktion mit einem Serum-TSH im Normbereich. Nach Einleitung der Substitutionstherapie mit Levothyroxin sollte erstmals nach 4 bis 6 Wochen das TSH kontrolliert und dann die Levothyroxin-Dosis angepasst werden. Verlaufskontrollen der Antikörperbestimmungen sind entbehrlich, Langzeitkontrollen von fT4, TSH und die Schilddrüsensonographie sind jährlich ausreichend.
Die Therapie des hypothyreoten Komas stellt unverändert eine hohe therapeutische Herausforderung an die Intensivmedizin dar, ist mit einer Letalität von immer noch etwa 30 % belastet und ist durch kardiale und pulmonale Komplikationen gekennzeichnet. Nur in dieser Situation hat sich eine hochdosierte intravenöse Gabe von Levothyroxin (500 μg) bewährt, ansonsten wird insbesondere bei koronarer Herzerkrankung eine einschleichende Dosierung empfohlen.
Von der Hypothyreose zu unterscheiden sind Veränderungen der Schilddrüsenhormonwerte bei schwerer Erkrankung oder längerem Fasten, im deutschen Sprachraum als „Nieder-T3-Syndrom“ bezeichnet, als Synonym gelten Euthyreot-sick-Syndrom“ (ESS) oder „Non-thyroidal illness“ (NTI). Jede schwere akute oder chronische Erkrankung, jeder operative Eingriff, aber auch nur Fasten führt regelhaft innerhalb weniger Stunden zunächst zu einer Erniedrigung der T3-Serumspiegel, in Abhängigkeit der Schwere der Erkrankung auch zu einer Erniedrigung des basalen TSH. Im weiteren Verlauf fällt dann auch das Serum-T4 ab. Stirbt der Patient an seiner Erkrankung, so sind alle Schilddrüsenfunktionsparameter niedrig bis nicht mehr messbar, erholt sich der Patient, so steigen die TSH-Spiegel als erstes wieder an und können sogar überschießend im supranormalen Bereich > 4 mU/l liegen. In der Folge normalisieren sich alle Werte. In dieser Situation ist eine Substitution mit Levothyroxin nicht erforderlich.
Literatur
1. Dietlein M, Dressler J, Joseph K, Leisner B, et al. Leitlinien zur Schilddrüsendiagnostik. Nuklearmedizin 1999;38:215-8.
2. Cooper DS. Subclinical hypothyroidism.
N Engl J Med 2001;345:260-5.
3. Duntas LH, Mantzou E, Koutras DA. Circulation levels of oxidized low-density lipoprotein in overt and mild hypothyroidism.Thyroid 2002;12:1003-7.
4. Padberg S, Heller K, Usadel KH, Schumm-Draeger PM. One-year prophylactic treatment of euthyroid Hashimoto’s thyroiditis patients with levothyroxine: Is there a benefit? Thyroid 2001;11:249-55.
5. Haddow JE, Palomaki GE, Allan WC, Williams JR, et al. Maternal thyroid deficiency during pregnancy and subsequent neurological development of the child. N Engl J Med 1999;341:549-55.
6. Utiger RD. Maternal hypothyroidism and fetal development. N Engl J Med 1999;341:601-2.
7. Schuppert F, Brabant G, Dralle H, Grüters A, et al. Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenkrankheiten. Empfehlung zur Qualitätssicherung. Teil II – Therapie von Schilddrüsenkrankheiten. Internist 1997;38:272-80.
8. Arafah BM. Increased need for thyroxine in women with hypothyroidism during estrogen therapy. N Engl J Med 2001;344:1743-49.
9. Bunevicius R, Kazanavicius G, Zalinkevicius R, Prange AJ. Effects of thyroxine as compared with thyroxine plus triiodothyronine in patients with hypothyroidism. N Engl J Med 1999;340:424-9.
10. van der Pump MP, Tunbridge WM, French JM, Appleton D, et al. The incidence of thyroid disorders in the community: A twenty-year follow-up of the Whickham survey. J Clin Endocrinol Metab 1995;43:55-68.
11. Zulewski H, Müller B, Exer P, Misarez AR, et al. Estimation of tissue hypothyroidism by a new clinical score evaluation of patients with various grades of hypothyroidism and controls. J Clin Endocrinol Metab 1977;82:771-6.
12. Mann K. Praxisbezogene Schilddrüsendiagnostik: Klinische Befunde. Med Welt 2001;
52:1-2:18-26.
Prof. Dr. med. Klaus Mann, European Endocrinologist U.E.M.S., Klinik für Endokrinologie, Universitätsklinikum Essen, Hufelandstraße 55, 45122 Essen, E-Mail: klaus.mann@uni-essen.de

Abb. 1 Algorithmus zur Therapie der subklinischen Hypothyreose
Arzneimitteltherapie 2004; 22(10)