Martin Vogel und Jürgen K. Rockstroh, Bonn

Abb. 1. Atazanavir (Reyataz®)
Wirkungsmechanismus
Atazanavir ist ein azopeptidischer HIV-1-Proteasehemmer (Abb. 1). Die virale Protease ist das vom humanen Immundefizienz-Virus (HIV) benötigte Enzym, um aus Vorläuferproteinen durch so genanntes Spalten funktionsfähige Endprodukte herzustellen. Durch Blockade der HIV-spezifischen Protease wird so die Vermehrung von HIV verhindert.
Wirkungsprofil
Die antiretrovirale Aktivität von Atazanavir konnte gegen eine Vielzahl von HIV-1-Isolaten in vitro gezeigt werden. Dabei lag die zu 50 % effektive Hemmkonzentration (Hemmung der Virusreplikation um 50 %, EC50) in Anwesenheit von 40 % Humanserum im Mittel bei 4,4 nmol/l [1]. Aufgrund des hohen inhibitorischen Quotienten aus minimaler Plasmakonzentration (Cmin) und EC50 zwischen 50 und 300 [2] war eine gute Potenz von Atazanavir zu erwarten. Kombinationsstudien mit Stavudin, Didanosin, Lamivudin, Zidovudin, Nelfinavir, Indinavir, Ritonavir, Saquinavir und Amprenavir konnten darüber hinaus eine additive antivirale Wirkung der Substanzen zeigen und belegen die Einsatzfähigkeit von Atazanavir als Bestandteil einer hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART).
Pharmakokinetik
Resorption
Atazanavir ist in Deutschland derzeit nur in der Dosierung von 300 mg einmal täglich zusammen mit Ritonavir 100 mg einmal täglich (Boosterung) zugelassen. Hierzu durchgeführte pharmakokinetische Untersuchungen ergaben eine mittlere maximale Plasmakonzentration (Cmax) von 5 233 ng/ml etwa 3 h nach oraler Applikation [2]. Die Talspiegel 24 h nach der letzten Dosis betrugen im Mittel 862 ng/ml, die mittlere Fläche unter der Serumkonzentrations-Zeit-Kurve (AUC) betrug 53 761 ng · h/ml. Dabei führte die Einnahme der Kapseln mit einer Mahlzeit zu einer Verbesserung der Bioverfügbarkeit und einer deutlichen Verringerung der inter- und intraindividuellen Schwankungen von AUC und Cmax, so dass eine Einnahme zu Mahlzeiten zu empfehlen ist.
Verteilung
Die Plasma-Eiweißbindung von Atazanavir betrug unabhängig von der jeweiligen Plasmakonzentration (Spiegel zwischen 100–10 000 ng/ml) etwa 86 % und lässt keine wesentlichen Arzneimittelinteraktionen aufgrund konkurrierender Plasma-Eiweißbindung erwarten [3]. Der Liquor/Plasma-Quotient lag zwischen 0,0021 und 0,0226 und ist damit vergleichbar mit Indinavir oder überlegen im Vergleich zu anderen Proteasehemmern [4].
Metabolismus
In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen zeigen, dass Atazanavir überwiegend hepatisch über das Cytochrom-P450-Enzymsystem (CYP3A4) abgebaut wird [3]. Atazanavir hemmt in klinisch bedeutsamem Umfang CYP3A4 und die UDP-Glucuronosyltransferase (UGT1A1), was Arzneimittelinteraktionen hervorrufen kann und zu einer häufig zu beobachtenden Erhöhung des indirekten Bilirubins führt.
Elimination
Atazanavir wird zum größten Teil direkt oder in glucuronidierter Form über die Galle ausgeschieden. Nach einer Einzeldosis von 14C-markiertem Atazanavir fanden sich 79 % der Substanz in den Fäzes und 13 % im Urin [3], so dass bei Niereninsuffizienz keine Dosisanpassungen notwendig sind. Die mittlere Eliminationshalbwertszeit nach oraler Einnahme von 300 mg Atazanavir zusammen mit 100 mg Ritonavir beträgt 8,6 h und ermöglicht so die einmal täglich Einnahme.
Klinische Studien
Mehrere multinationale Studien zur Untersuchung der Wirksamkeit und Sicherheit an antiretroviral naiven und vorbehandelten Patienten wurden durchgeführt. Im Folgenden soll über die maßgeblichen Studien zur Beurteilung der Wirksamkeit von Atazanavir berichtet werden. Als Wirksamkeitsparameter diente dabei die Abnahme der Viruskonzentration – bestimmt als Konzentration der HIV-RNS-Kopien und ausgedrückt als dekadischer Logarithmus (log10) – oder/und die Ansprechrate, ausgedrückt als Anteil der Patienten, bei denen die HIV-RNS unter 400 bzw. unter 50 Kopien/ml gesenkt wurde.
Antiretroviral naive Patienten
In den Studien 007 und 008 wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit von ungeboostertem Atazanavir und Nelfinavir bei 887 antiretroviral naiven Patienten verglichen [3, 5, 6]. Nach 48 Wochen zeigten sich keine Unterschiede in der Wirksamkeit mit vergleichbaren Anteilen bei Patienten mit einer supprimierten HIV-RNS < 50 oder < 400 Kopien/ml Plasma (Intention-to-treat-Analyse).
In der Studie 034 [7] wurden 810 antiretroviral naive Patienten mit Atazanavir 400 mg (ungeboostert) einmal täglich oder Efavirenz 600 mg einmal täglich behandelt. Als begleitende Nucleosid-Analoga-Therapie wurde in beiden Armen Combivir® (Lamivudin und Zidovudin) gegeben. Das mittlere Alter der überwiegend männlichen Patienten betrug 34 Jahre, die mediane CD4-Zellzahl 282 Zellen/µl und die HIV-RNS zu Studienbeginn 4,88 log10 Kopien/ml. 5 % aller Patienten hatten ein AIDS- definierendes Ereignis in ihrer Vorgeschichte. In der Intention-to-treat-Analyse (Abb. 2) fand sich nach 48 Wochen kein Unterschied im virologischen Ansprechen < 400 Kopien/ml (Atazanavir 70 %, Efavirenz 64 %) und < 50 Kopien/ml (Atazanavir 32 %, Efavirenz 37 %).
Die Studien an therapienaiven Patienten belegen die Wirksamkeit von ungeboostertem Atazanavir bei naiven Patienten. Dabei ist die Wirksamkeit von ungeboostertem Atazanavir vergleichbar mit Efavirenz und Nelfinavir.
Vorbehandelte Patienten
In der Studie 043 [3] wurden 300 antiretroviral vorbehandelte Patienten mit ungeboostertem Atazanavir oder geboostertem Lopinavir behandelt. Zusätzlich erhielten alle Patienten zwei Nucleosid-Analoga als Bestandteil ihrer HAART. Zum Einschluss in die Studie durften die Patienten nicht mehr als ein Proteasehemmer-haltiges Regime mit virologischem Versagen aufweisen. In dem ausgewerteten Kollektiv von 229 Patienten betrug die Vorbehandlungszeit für Proteasehemmer 140, für Nucleosid-Analoga 180 und für Nicht-Nucleosid-Analoga 85 Wochen. Das mittlere Alter der überwiegend männlichen Patienten betrug 38 Jahre, die mediane CD4-Zellzahl 264 Zellen/µl und die HIV-RNS zu Studienbeginn 4,22 log10 Kopien/ml. 28 % aller Patienten hatten ein AIDS-definierendes Ereignis in der Vorgeschichte. In der Intention-to-treat-Analyse fand sich in Woche 24 ein signifikant stärkerer Abfall der HIV-RNS im Lopinavir-Arm (Median –2,21 log10) im Vergleich zum Atazanavir-Arm (Median –1,76 log10). Entsprechend wiesen in Woche 24 weniger Patienten im Atazanavir-Arm eine HIV-RNS < 50 Kopien/ml auf als Patienten im Lopinavir-Arm (ungeboostertes Atazanavir 41 %, geboostertes Lopinavir 52 %).
In der Folgestudie 045 [3, 8] wurden 358 stark vorbehandelte Patienten randomisiert zu einer Behandlung mit geboostertem Atazanavir, geboostertem Lopinavir oder ungeboostertem Atazanavir 400 mg in Kombination mit Saquinavir 1 200 mg. Alle Patienten wurden zusätzlich mit Tenofovir und einem weiteren Nucleosid-Analogon behandelt. Zum Einschluss in die Studie mussten die Patienten mehr als zwei vorangegangene Therapieversagen aufweisen, dabei betrug die mittlere Vorbehandlungszeit für Proteasehemmer 138, für Nucleosid-Analoga 280 und für Nicht-Nucleosid-Analoga 85 Wochen. Das mittlere Alter der überwiegend männlichen Patienten betrug 40 Jahre, die mediane CD4-Zellzahl betrug zu Studienbeginn 297 Zellen/µl und die HIV-RNS 4,45 log10 Kopien/ml. 28 % der Patienten wiesen ein AIDS-definierendes Ereignis in der Anamnese auf. Beim primären Endpunkt (Abfall der HIV-RNS zu Woche 48) zeigte sich ein vergleichbares Ergebnis (Non-Inferiority-Design) des geboosterten Atazanavir-Arms (–1,93 log10) im Vergleich mit geboostertem Lopinavir (–1,87 log10). Die Anteile der Patienten mit < 50 Kopien/ml in den verschiedenen Behandlungsarmen sind in Abbildung 3 dargestellt.
Die Studien an vorbehandelten Patienten zeigen eine geringere Wirksamkeit von ungeboostertem Atazanavir bei vorbehandelten Patienten. Aufgrund der Wirksamkeit ist bei vorbehandelten Patienten daher dem mit Ritonavir geboostertem Atazanavir der Vorzug zu geben.
Virale Resistenz
Die In-vitro-Inkubation von HIV-infizierten Zellen mit Atazanavir führte zur Selektion von resistenten Virusmutanten. Dabei wurden die Aminosäurensubstitutionen L10Y/F, V32I, L33F, M46I, I50L, L63P, A71V und I84V, N88S und L89M beobachtet [9]. Während die Atazanavir-resistenten Isolate in unterschiedlichem Ausmaß kreuzresistent gegenüber Indinavir, Nelfinavir, Amprenavir und Ritonavir waren, blieb die Sensitivität gegenüber Saquinavir erhalten. Bei der weiteren Evaluation von 551 resistenten klinischen Virus-Isolaten zeigte sich in vitro in Abhängigkeit von der vorausgegangenen Proteasehemmer-Exposition einen Erhalt der antiviralen Wirksamkeit von Atazanavir (≤ 3faches der EC50) bei 88 % (Vorbehandlung mit 1 Proteasehemmer = PI), 81 % (2 PI), 34 % (3 PI), 16 % (4 PI) und 5 % (5 PI) der Patienten [10].
Isolate aus klinischen Studien an antiretroviral naiven Patienten mit versagender Atazanavir-haltiger HAART wiesen zu 100 % die Schlüsselmutation L50I auf, welche in 52 % der Fälle in Kombination mit der Mutation A71V auftrat. Untersuchungen an viralen Klonen mit diesen beiden Mutationen zeigten dabei einen Erhalt der Empfindlichkeit gegenüber anderen Proteasehemmern [11].
Die Entstehung einer Atazanavir-Resistenz bei antiretroviral vorbehandelten Patienten hingegen ist komplex, und beim überwiegenden Anteil der Patienten wurden unterschiedliche Mutationsmuster vorgefunden, welche mit Kreuzresistenzen gegenüber anderen Proteasehemmern verbunden waren [12].
Metabolisches Profil
Hyperlipidämie und Insulinresistenz galten bislang als klassenspezifische Nebenwirkungen der Proteasehemmer. Dabei treten diese Nebenwirkungen durch die Langzeittherapie der HIV-Infektion immer deutlicher in den Vordergrund. Mit Atazanavir ist der erste Proteasehemmer auf dem Markt, der in bisherigen Studien ein deutlich niedrigeres Potenzial für die Entwicklung von Dyslipidämien oder Insulinresistenzen aufweist als andere Proteasehemmer.
In-vitro-Ergebnisse zeigen, dass Atazanavir wesentlich geringer in den Fettstoffwechsel von Hepatozyten und Lipozyten eingreift als andere Proteasehemmer. Die Ergebnisse der klinischen Zulassungsstudien bestätigten diese Beobachtung sowohl bei antiretroviral naiven wie vorbehandelten Patienten [3] und zeigen signifikant niedrigere Cholesterol- und Triglyceridspiegel im Vergleich zu Nelfinavir, Efavirenz oder Lopinavir (Abb. 4). Die beobachteten Unterschiede erwiesen sich dabei als nachhaltig mit einer Gesamtbeobachtungszeit von bis zu 108 Wochen.
Im Gegensatz zu anderen untersuchten Proteasehemmern zeigte sich unter der Therapie mit Atazanavir in vitro eine allenfalls geringe Inhibition der für die Insulinresistenz mit angeschuldigten Transporter GLUT-1 und GLUT-4 [13]. In einer ersten klinischen Studie an gesunden Probanden konnte im Cross-over-Design an 30 Patienten (je 10 Patienten Atazanavir, geboostertes Lopinavir oder Plazebo) kein signifikanter Einfluss auf die Insulinsensitivität unter Atazanavir-Therapie gezeigt werden. Hingegen war in der Behandlungsgruppe des geboosterten Lopinavir eine signifikante Abnahme der Insulinsensitivität zu verzeichnen [14].
Inwieweit das Lipodystrophie-Syndrom wegen des günstigen metabolischen Profils von Atazanavir womöglich seltener als mit anderen Proteasehemmern auftritt, müssen zukünftige Studien zeigen [15]. Die bisherigen In-vitro- und In-vivo-Studienergebnisse belegen jedoch eindrücklich das günstige metabolische Profil von Atazanavir und unterstreichen angesichts der Langzeittoxizitäten der HAART die Bedeutung der Substanz.
Nebenwirkungen
Insgesamt wurden in Phase-II/III-Studien 1 596 Patienten mit Atazanavir behandelt [2]. Die Mehrheit (1 046) erhielt dabei Atazanavir in einer Dosierung von 400 mg. Das Nebenwirkungsprofil der 300-mg-Dosierung von Atazanavir in Kombination mit 100 mg Ritonavir unterschied sich dabei bis auf einen häufiger beobachteten Ikterus nicht wesentlich von der 400-mg-Dosierung ungeboosterten Atazanavirs.
Sehr häufige (≥ 10 %) Nebenwirkungen, über die im Zusammenhang mit einer Atazanavir-haltigen HAART berichtet wurde, waren Übelkeit (23 %), Kopfschmerzen (10 %) und Ikterus (10 %). Sehr häufig beobachtete Laborwertabnormalitäten waren Erhöhungen des Gesamtbilirubins (82 %), die in der Regel aber leicht und vorübergehend waren [2]. Dabei waren Bilirubin-Erhöhungen Grad 3 bei 26 % und Erhöhungen Grad 4 bei 5 % der Patienten zu beobachten. Ein hepatotoxisches Muster einer gleichzeitigen Grad-3/4-Bilirubin- und -AST/ALT-Erhöhung wurde lediglich bei 1 % aller Patienten beobachtet. Eine Übersicht ausgewählter Nebenwirkungen und Laborwerterhöhungen in den Studien 034 und 045 sind in Tabelle 1 gelistet.
In den klinischen Studien fanden sich zum Teil deutliche Unterschiede im Nebenwirkungsprofil der verwandten Substanzen, so dass sich hieraus für die individuelle Therapiegestaltung Möglichkeiten der Umstellung bei nicht tolerablen Nebenwirkungen ergeben können. Patienten, die eine Atazanavir-haltige HAART (geboostert und ungeboostert) erhielten, wiesen wesentlich häufiger einen Ikterus auf als Patienten, die Nelfinavir, Efavirenz oder geboostertes Lopinavir bekamen. Auf der anderen Seite berichteten Patienten, die Atazanavir (geboostert und ungeboostert) einnahmen, deutlich seltener über Durchfälle als Patienten, die geboostertes Lopinavir oder Nelfinavir einnahmen. Auch traten Schwindel und Exantheme mit Atazanavir wesentlich seltener auf als im Efavirenz-Vergleichsarm.
Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung
Generell sind bei hepatisch metabolisierten Substanzen Patienten mit vorbestehender Lebererkrankung und bestehender Leberzirrhose engmaschig zu überwachen. Eine Subanalyse Hepatitis-koinfizierter Patienten der Vergleichsstudie mit ungeboostertem Atazanavir oder Nelfinavir zeigte jedoch vergleichbare Raten an Patienten mit Transaminasen-Erhöhung und belegt somit die gute Verträglichkeit von Atazanavir auch innerhalb dieses speziellen Patientenkollektivs [16].
Dosisabhängige asymptomatische PQ-Verlängerungen wurden in klinischen Studien unter der Einnahme von Atazanavir beobachtet. Bei vorbestehenden kardialen Erregungsleitungsstörungen sowie bei gleichzeitiger Verabreichung von Medikamenten mit zusätzlichem Risiko einer PQ-Verlängerung ist Atazanavir nur unter Vorsicht einzusetzen [2].
Wechselwirkungen
In der hier in Deutschland zugelassenen Kombination von Atazanavir 300 mg mit Ritonavir 100 mg einmal täglich tritt die Ritonavir-assoziierte Cytochrom-P450-Hemmung (CYP3A > CYP2D6 >
CYP2C9) in den Vordergrund. Atazanavir selbst inhibiert CYP3A4, so dass insbesondere Medikamente, die über CYP3A4 verstoffwechselt werden, nur mit Vorsicht einzusetzen sind. Vor allem Substanzen mit geringer therapeutischer Breite sollten nicht verabreicht werden: Astemizol, Terfenadin, Cisaprid, Pimozid, Chinidin, Bepridil und Mutterkorn-Alkaloide (Ergotamin und Dihydroergotamin).
Antiretrovirale Medikamente
Nucleosid/Nucleotid-analoge Reverse-Transcriptase-Hemmer
Tenofovir DF führt bei gleichzeitiger Einnahme mit Atazanavir zu einer Abnahme der AUC um 25 % und der Cmin um 40 %. Daher sollte bei gleichzeitiger Verabreichung von Tenofovir DF Atazanavir geboostert in einer Dosis von 300 mg zusammen mit 100 mg Ritonavir verabreicht werden. Wird Didanosin als Bestandteil der HAART gegeben, so sollte wegen der verbesserten Resorption von Didanosin ohne gleichzeitige Nahrungseinnahme die Einnahme eine Stunde vor oder zwei Stunden nach der Einnahme von Atazanavir (zusammen mit einer Mahlzeit) erfolgen. Interaktionsstudien von ungeboostertem Atazanavir mit Zidovudin, Stavudin und Lamivudin zeigten keine Beeinträchtigung der Pharmakokinetik der jeweiligen Substanzen und lassen nach den bereits bekannten Interaktionsdaten von Ritonavir keine wesentlichen Interaktionen in der in Deutschland zugelassenen Kombination von Atazanavir mit Ritonavir erwarten [1].
Nicht Nucleosid-analoge Reverse-Transcriptase Hemmer
Bei gleichzeitiger Verabreichung von Efavirenz mit Atazanavir kommt es zu einem deutlichen Abfall der Atazanavir-Plasmaspiegel, und eine Dosisanpassung auf Atazanavir 400 mg zusammen mit Ritonavir 100 mg wird empfohlen [2, 17]. Zu den Interaktionen von Nevirapin und Atazanavir sind bislang nur unzureichende Daten vorhanden, weshalb vorerst nicht zu einer gleichzeitigen Gabe dieser Substanzen geraten werden kann.
Proteasehemmer
Es liegen derzeit erste Interaktionsdaten über Atazanavir mit Saquinavir und Lopinavir vor. Saquinavir zweimal täglich in einer Dosierung von 1 000 mg [18] wie auch einmal täglich in einer Dosis von 1 600 mg [19] jeweils in Kombination mit 300 mg Atazanavir und 100 mg Ritonavir ist untersucht worden. Erste Daten liegen auch zu Lopinavir 400 mg/100 mg Ritonavir zweimal täglich (als fixe Dosiskombination Kaletra®) zusammen mit Atazanavir 300 mg einmal täglich vor [18]. Bei der individuellen Einstellung auf eine dieser Kombinationstherapien sind in jedem Fall Talspiegelmessungen der jeweiligen Proteasehemmer angezeigt, um die Sicherheit des Regimes gewährleisten zu können.
Andere Medikamente
Aufgrund der Hemmung von CYP3A durch Ritonavir und Atazanavir sind vielfältige Interaktionen zu erwarten. Insbesondere bei Protonenpumpenhemmern, Antiarrhythmika, Irinotecan, Calciumantagonisten, CSE-Hemmern, Calcineurin-Inhibitoren, Makrolid-Antibiotika, Tuberkulostatika, Sildenafil, Antimykotika und Warfarin sowie Johanniskraut-Extrakten sind Interaktionen wahrscheinlich [20]. Die Effekte einer gleichzeitigen Verabreichung oraler Antikonzeptiva mit Atazanavir in Kombination mit Ritonavir sind bislang nicht untersucht worden.
Bei Antazida und gepufferten Arzneimitteln ist zu beachten, dass wegen des erhöhten pH-Werts im Magen mit einer verringerten Resorption von Atazanavir gerechnet werden muss. Daher ist die Einnahme von geboostertem Atazanavir zwei Stunden vor oder eine Stunde nach gepufferten Arzneimitteln zu empfehlen [2]. Bei der gleichzeitigen Einnahme von H2-Rezeptorantagonisten und Protonenpumpenhemmern empfiehlt sich eine Talspiegelkontrolle von Atazanavir, um eine relevante Spiegelminderung ausschließen zu können.
Atazanavir in der Schwangerschaft
Tierexperimentelle Daten zeigten bislang keinen embryotoxischen Effekt von Atazanavir. In Tierversuchen wurde ein Übertritt von Atazanavir in die Muttermilch belegt. Bislang liegen keine hinreichenden Daten an Menschen zur Sicherheit von Atazanavir in der Schwangerschaft vor. Wegen der fehlenden Daten sollte Atazanavir bis auf weiteres bei Schwangeren nur angewandt werden, wenn der mögliche Nutzen das mögliche Risiko für den Feten überwiegt.
Dosierung
Atazanavir wird zusammen mit Ritonavir einmal täglich in Form von 2 Kapseln à 150 mg plus 1 Kapsel à 100 mg eingenommen. Es liegen bislang keine Daten für Jugendliche und Kinder unter 18 Jahren vor. Daher sollte Atazanavir bis auf weiteres nicht bei Kindern und Jugendlichen zum Einsatz kommen.
Stellenwert von Atazanavir in der antiretroviralen Therapie
Mit Atazanavir steht ein weiterer potenter Proteasehemmer zur Behandlung der HIV-Infektion zur Verfügung. Die Substanz ist besonders einnahmefreundlich durch ihre einmal tägliche Dosierung und zeichnet sich durch potente Wirksamkeit und gute Verträglichkeit aus. Im Rahmen der zunehmenden Langzeittoxizitäten der HAART ist das günstige Lipidprofil hervorzuheben, welches Atazanavir bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren zu einem präferenziellen Kombinationspartner einer HAART macht. Neben den aufgezeigten Einsatzmöglichkeiten vorbehandelter Patienten sind in Zukunft effektive Atazanavir-haltige Doppel-Proteasehemmer-Strategien zu erwarten. Hierfür sprechen das zu anderen Proteasehemmern synergistische Resistenzmuster und die wegen der geringen Tablettenzahl von Atazanavir relativ einnahmefreundlichen Kombinationen. Bislang ist Atazanavir in Deutschland nur zur Behandlung vorbehandelter Patienten zugelassen. Dennoch zeigen die bisherigen Daten eine gute Wirksamkeit und Sicherheit bei therapienaiven Patienten, so dass nach Vorliegen von Daten zu geboostertem Atazanavir bei antiretroviral naiven Patienten eine Ausweitung der Indikation auf therapienaive Patienten vorstellbar ist.
Literatur
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20. Liverpool HIV Pharmacology Group. HIV drug interactions. 1999–2004: http://www.hiv-druginteractions.org.
Dr. med. Martin Vogel, Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Immunologische Ambulanz, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum Bonn, Sigmund-Freud-Str. 25, 53127 Bonn

Abb. 2. Studie 034: Atazanavir (ATV) vs. Efavirenz (EFV). Patienten mit HIV-RNS < 400 und < 50 Kopien/ml, Intention-to-treat-Analyse

Abb. 3. Studie 045: Atazanavir/Ritonavir (ATV/RTV) vs. Lopinavir/Ritonavir (LPV/RTV) vs. Atazanavir/Saquinavir (ATV/SQV). Patienten mit HIV-RNS < 50 Kopien/ml, Intention-to-treat-Analyse

Abb. 4. Studie 045 Atazanavir/Ritonavir (ATV/RTV) vs. Lopinavir/Ritonavir (LPV/RTV) vs. Atazanavir/Saquinavir (ATV/SQV). Mittlere Änderung der Blutfette zu Woche 48 im Vergleich zu Studienbeginn.
Tab. 1. Ausgewählte Nebenwirkungen und Laborveränderungen von Atazanavir [nach 7, 8] (EFV = Efavirenz, ATV = Atazanavir, RTV = Ritonavir; QD = einmal täglich; bid = zweimal täglich; NRTI = Nucleosid-Reverse-Transcriptase-Hemmer)
Studie-034 EFV vs. ATV |
Studie-045 ATV/RTV vs. LPV/RTV vs. ATV/SQV |
|||
Atazanavir 400 mg QD Lamivudin + Zidovudina (n = 404) |
Efavirenz 600 mg QD Lamivudin + Zidovudina (n = 401) |
Atazanavir 300 mg QD + Ritonavir 100 mg QD Tenofovir + NRTI (n = 119) |
Lopinavir 400 mg bid + Ritonavir 100 mg bid Tenofovir + NRTI (n = 118) |
|
Nebenwirkungen Grad 2–4 Gesamt Durchfall Ikterus Sklerenikterus Übelkeit Erbrechen |
41 % 1 % 5 % 1 % 14 % 4 % |
45 % 2 % 0 % 0 % 13 % 7 % |
29 % 3 % 6 % 3 % 3 % 0 % |
25 % 11 % 0 % 0 % 2 % < 1 % |
Laborveränderungen Grad 3–4 Bilirubin ALT AST |
33 % 4 % 2 % |
< 1 % 3 % 2 % |
49 % 4 % 3 % |
< 1 % 3 % 3 % |
a Als fixe Dosiskombination (Combivir®; Lamivudin 150 mg und Zidovudin 300 mg bid) |
Arzneimitteltherapie 2004; 22(11)