Ulrich Dührsen, Essen
Die Verteilung des in der Lunge aufgenommenen Sauerstoffs im Organismus ist eine Grundvoraussetzung für die ordnungsgemäße Funktion der verschiedenen Organe. Das Hormon Erythropoetin reguliert die Vermehrung und Reifung der für den Sauerstofftransport zuständigen roten Blutkörperchen [1]. Eine unphysiologische Verminderung der Sauerstofftransportkapazität führt zu einer Mangelversorgung des Gehirns (Kopfleere, Konzentrations- und Schlafstörungen, Kopfschmerzen) und des Bewegungsapparats (Schwäche) bei Mehrarbeit des kardiopulmonalen Systems (Herzklopfen, Luftnot) [2]. Bei gleichzeitig bestehenden Gefäßveränderungen können sich unter einer Anämie auch umschriebene Defizite einstellen, insbesondere an Herz und Hirn.
Eine erfolgreiche Anämie-Behandlung führt zu einer Zunahme der Sauerstofftransportkapazität. Hieraus können erhöhte Leistungsfähigkeit und gesteigerte Lebensqualität resultieren [2]. Bei Krebspatienten könnte sich darüber hinaus ein therapeutisch günstiger Effekt auf das Tumorwachstum einstellen. Eine Hypoxie scheint nämlich die genetische Instabilität von Tumorzellen und die Ausbildung eines fragilen, die Metastasierung begünstigenden Kapillarnetzes zur fördern. Daher könnte eine verbesserte Sauerstoffversorgung des Tumors zu einer Verlangsamung seiner Progression führen [3, 4]. Außerdem könnten sauerstoffabhängige Therapiemodalitäten, wie die Strahlentherapie, durch eine gesteigerte Tumoroxygenierung eine Wirkungszunahme erfahren (Abb. 1).
Zur Behandlung der Anämie werden bei Krebspatienten vorwiegend Bluttransfusionen eingesetzt. Da hiermit infektiöse, immunologische und toxische Risiken verbunden sind (Tab. 1), wurden die Hämoglobin-Grenzwerte für eine Erythrozytentransfusion in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesenkt [2]. Der „Transfusionstrigger“ liegt bei den meisten Onkologen zur Zeit bei einem Hämoglobin-Wert von etwa 8 g/dl. Bei jüngeren Patienten wird oft erst bei niedrigeren Werten transfundiert, bei älteren meist schon bei höheren. Diese Transfusionspraktik führt dazu, dass viele Krebspatienten einen Anämiegrad tolerieren müssen, der zu einer beträchtlichen Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit und Lebensqualität führt.
Als Alternative zur Bluttransfusion steht seit etwa 15 Jahren die Behandlung mit gentechnisch hergestelltem rekombinantem Erythropoetin zur Verfügung. Da die Präparate eine hervorragende Verträglichkeit aufweisen, liegt für die meisten Onkologen der „Erythropoetintrigger“ bei wesentlich höheren Hämoglobin-Werten als der „Transfusionstrigger“. Dies bedeutet, dass Patienten schon bei geringer Ausprägung der Anämie behandelt und auf recht hohen Hämoglobin-Werten gehalten werden können. Aufgrund der unterschiedlichen Schwellenwerte für eine Intervention hat ein Vergleich zwischen Bluttransfusion und Erythropoetin unter Vorgabe gleicher Ziel-Hämoglobin-Werte bisher nicht stattgefunden.
Rationale für den Einsatz von Erythropoetin bei Krebs-patienten
Anämien können bei Krebspatienten durch Blutverlust, Hämolyse oder unzureichende Blutbildung bedingt sein [5]. Nur die letztgenannte Störung ist durch Erythropoetin beeinflussbar, sofern nicht ein Mangel an Eisen, Vitamin B12 oder Folsäure vorliegt. Schematisch lassen sich vier Ursachengruppen für eine verminderte Blutbildung bei Krebspatienten abgrenzen [5]:
- Unzureichend verstandene immunologische Mechanismen, die unter der Bezeichnung „Tumor“- oder „Infektanämie“ subsumiert werden
- Die Verdrängung des blutbildenden Marks durch infiltrierende Krebszellen bei Leukämien, Lymphomen oder Knochenmarkkarzinosen
- Die iatrogene Chemo- oder Radiotherapie-bedingte Myelosuppression
- Die ineffektive Erythropoese bei Krebserkrankungen des blutbildenden Systems selbst, insbesondere bei Myelodysplasien
Die zur Anämie führenden molekularen Mechanismen sind komplex. Für den Einsatz von Erythropoetin sind folgende Befunde von besonderer Bedeutung [5]:
- Eine inadäquat niedrige Erythropoetin-Produktion bei der Tumoranämie und der Chemotherapie-assoziierten Anämie
- Eine Hemmung der Erythropoetin-Wirkung bei der Tumoranämie und der Anämie durch Knochenmarkinfiltration
- Ein vermindertes Ansprechen abnormer erythropoetischer Vorläuferzellen auf physiologische Erythropoetin-
Konzentrationen bei den Myelodysplasien
Präparate und Dosierungen
In Deutschland sind drei gentechnisch hergestellte Erythropoetin-Präparate
zur Behandlung von Krebspatienten zugelassen: Epoetin alfa (Erypo®, Janssen-Cilag), Epoetin beta (NeoRecormon®, Roche) und Darbepoetin alfa (Aranesp®, Amgen), welches durch eine veränderte Glykosylierung eine besonders lange Halbwertszeit aufweist. Die zugelassenen onkologischen Indikationen sind für die drei Präparate ähnlich: Behandelt werden dürfen Patienten mit soliden Tumoren, malignen Lymphomen oder multiplem Myelom, die eine Chemotherapie erhalten. Für die Behandlung von Anämien bei myeloischen Neoplasien (z. B. Myelodysplasien) oder Patienten ohne Chemotherapie besteht keine Zulassung. Einzelheiten sind der Roten Liste 2004 zu entnehmen [6].
Für Epoetin alfa und beta ergab sich aus Phase-I-Studien [7–10] im onkologischen Indikationsbereich ein gängiges Therapieschema aus drei subkutanen Injektionen von je 150 U/kg pro Woche (bei einem normgewichtigen Erwachsenen: 3 x 10 000 U) mit Dosisverdopplung bei Ausbleiben eines Hämoglobin-Anstiegs nach 4- bis 8-wöchiger Therapie [11, 12]. Die entsprechende initiale Darbepoetin-alfa-Dosierung beträgt 2,25 µg/kg pro Woche (bei einem normgewichtigen Erwachsenen: einmalig 150 µg) [13]. Zur Überwindung eines bei Krebspatienten häufig vorliegenden funktionellen Eisenmangels wird die gleichzeitige Verabreichung eines Eisenpräparats empfohlen, insbesondere wenn die Ferritin-Konzentration unter 100 µg/l oder die Transferrin-Sättigung unter 15 bis 25 % liegen [14, 15].
Unabhängig von der Art des gewählten Präparats entwickelt sich der Hämoglobin-Anstieg bei einer erfolgreichen Erythropoetin-Behandlung sehr langsam. Daher wird ein Therapieversuch von mindestens zweimonatiger Dauer empfohlen [11, 12].
Therapieziele
Ziele der Anämie-Behandlung sind die Aufrechterhaltung der Organfunktionen, die Steigerung der Lebensqualität und die positive Beeinflussung der antineoplastischen Maßnahmen. Diese Ziele sollen sowohl bei der Transfusionstherapie als auch bei der Therapie mit Erythropoetin über eine Anhebung der Hämoglobin-Konzentration erreicht werden (Abb. 1).
In den meisten Erythropoetin-Studien war der Hämoglobin-Wert, manchmal in Verbindung mit dem Ausmaß der Transfusionsbedürftigkeit, der primäre Endpunkt. In vielen Studien wurde gleichzeitig die Lebensqualität untersucht. Daten zur Aufrechterhaltung der Organfunktionen liegen nicht vor, Mitteilungen zur Beeinflussung des Tumorwachstums erschienen erst kürzlich.
Therapieergebnisse
Die folgende Darstellung beschränkt sich auf randomisierte Studien, in denen Erythropoetin mit einer an herkömmlichen Transfusionspraktiken orientierten Standardbehandlung verglichen wurde. Einige Studien waren Plazebo-kontrolliert, andere wurden offen durchgeführt (Tab. 2–4). Für eine Zusammenfassung der Ergebnisse nicht randomisierter Studien sei auf das Literaturverzeichnis verwiesen [5, 16, 17].
Einfluss der Erythropoetin-Therapie auf die Hämoglobin-Konzentration und den Transfusionsbedarf
In den meisten Studien wurde die Indikation zur Erythropoetin-Therapie bei einer Hämoglobin-Konzentration < 11 g/dl gestellt. Als Erfolg wurde in der Regel ein Hämoglobin-Anstieg um mindestens 2 g/dl innerhalb von 8 bis 16 Wochen gewertet. Die Studien unterschieden sich in der Art des verwendeten Erythropoetins (Epoetin alfa, Epoetin beta, Darbepoetin alfa), der zugrunde liegenden Tumoren (solide Tumoren, maligne Lymphome, multiple Myelome, Myelodysplasien) und etwaiger antineoplastischer Maßnahmen (keine Maßnahmen, Chemotherapie, Radiotherapie).
Epoetin alfa
Bei Krebspatienten ohne antineoplastische Therapie bewirkte Epoetin alfa eine Milderung der Tumoranämie, deren Ausmaß in der betreffenden Studie [18] aufgrund ungewöhnlich niedriger Dosierung und kurzer Therapiedauer gering ausfiel (Tab. 2). Chemotherapierte Patienten mit soliden Tumoren und lymphatischen Neoplasien zeigten unabhängig von der Zusammensetzung der antineoplastischen Therapie in etwa 50 bis 70 % der Fälle ein Ansprechen. Etwas höhere Ansprechraten (ca. 60 bis 80 %) wurden bei radiotherapierten Patienten beobachtet. Hier wurde Epoetin alfa allerdings bereits bei höheren Hämoglobin-Werten (< 13 g/dl) eingesetzt, um eine optimale Oxygenierung der Tumoren zu gewährleisten [19, 20].
Bei Myelodysplasien zeigten Phase-I- und -II-Studien erst einen Hämoglobin-Anstieg oberhalb einer wöchentlichen Epoetin-alfa-Dosis von 1 000 U [5]. Die einzige bisher vorliegende randomisierte Studie [21] ergab unter diesen Bedingungen eine Ansprechrate von 13 % (Tab. 2). Ergebnisse unkontrollierter Phase-II-Studien lassen vermuten, dass durch zusätzliche Verabreichung von Granulozyten-Kolonien-stimulierendem Faktor bei diesen Patienten Ansprechraten von 30 bis 40 % erreicht werden können [22–24].
Epoetin beta
Die Ergebnisse der Studien zur Behandlung mit Epoetin beta ähneln denen, die mit Epoetin alfa erzielt wurden (Tab. 3): Chemotherapierte Patienten mit soliden Tumoren, Lymphomen oder multiplen Myelomen sprachen in etwa 50 bis 70 % der Fälle auf die Behandlung an. Besonders günstige Daten ergaben sich für Patienten mit multiplem Myelom [14]. Nach persönlicher Einschätzung könnte dies auf einer „renalen Komponente“ beruhen, die bei vielen dieser Patienten für die Anämie mitverantwortlich sein dürfte.
Nach einer kürzlich erschienenen Studie ist die einmalige Applikation der gesamten Epoetin-beta-Wochendosis der oben beschriebenen Aufteilung auf drei Einzeldosen ebenbürtig [25].
Darbepoetin alfa
Auch bei der Behandlung mit Darbepoetin alfa ist nach den bisher vorliegenden Studien bei etwa zwei Dritteln der Patienten mit einem Hämoglobin-Anstieg um mindestens 2 g/dl bei gleichzeitigem Rückgang der Transfusionsbedürftigkeit zu rechnen (Tab. 4). Dosisfindungsstudien zeigten mit zunehmender Dosis ein zunehmend rascheres Ansprechen [26]. Die Ergebnisse parallel durchgeführter Studien lassen vermuten, dass die einmalige Applikation der kumulativen Wochendosen in zwei- bis vierwöchigen Abständen ähnliche Ergebnisse liefert wie die wöchentliche Applikation der Einzeldosen [26–28]. Hierdurch lässt sich ein Applikationsrhythmus erreichen, der den Zyklen der Chemotherapie entspricht.
Prädiktive Faktoren
Da nur ein Teil der Patienten auf die Erythropoetin-Therapie anspricht, wurden retrospektiv in einigen Studien prädiktive Faktoren ermittelt. Diese zerfallen in echte „prädiktive“ Faktoren, die vor der ersten Erythropoetin-Gabe ein Ansprechen wahrscheinlich machen, und in fälschlicherweise als „prädiktive“ Faktoren bezeichnete Parameter, die nach mehrwöchiger Therapie auf ein Ansprechen hinweisen [16, 17]. Obwohl die von verschiedenen Autoren verifizierten Faktoren nicht kongruent sind, legen die Ergebnisse den Schluss nahe, dass eine inadäquat niedrige Erythropoetin-Konzentration im Serum (< 50–100 U/l) eine günstige Voraussetzung für einen Behandlungserfolg darstellt [9, 10, 29, 30].
Einfluss der Erythropoetin-Therapie auf die Lebensqualität
Zur Erfassung der Lebensqualität wurden visuelle Skalen und Fragebögen eingesetzt. Bei den visuellen Skalen markiert der Patient Einzelaspekte seiner Lebensqualität (z. B. Aktivität, Energie oder allgemeine Lebensqualität) auf einer linearen Skala definierter Länge [11, 18]. Änderungen der Lebensqualität lassen sich dann in Millimetern angeben. Als Fragebögen wurden insbesondere die Anämie- und Fatigue-Fragebögen der „Functional Assessment of Cancer Therapy“ (FACT)-Serie verwendet [31]. Die meisten der in Tabelle 2 bis 4 aufgeführten Studien, die Untersuchungen zur Lebensqualität einschlossen [14, 15, 18, 20, 27, 32–35], zeigten zumindest für einige Teilaspekte eine signifikante Verbesserung. Diese trat nur dann ein, wenn gleichzeitig ein Anstieg der Hämoglobin-Konzentration zu verzeichnen war [36, 37]. Dies entspricht dem ärztlichen Eindruck bei einer erfolgreichen Anämie-Therapie. Die wissenschaftliche Aussagekraft der meisten Studien wurde allerdings aufgrund konzeptioneller Mängel in Frage gestellt [38].
Einfluss der Erythropoetin-Therapie auf das Tumorwachstum
Im Hinblick auf die Sauerstoffabhängigkeit der Strahlentherapie verfolgt die Behandlung oder Prävention einer Anämie bei radiotherapierten Patienten das vorrangige Ziel, die Sauerstoffversorgung des Tumors zu verbessern [3, 4]. Bereits in den 70er Jahren wurde in einer randomisierten Studie gezeigt, dass radiotherapierte Zervixkarzinom-Patientinnen mit unbehandelter Anämie eine höhere Lokalrezidivrate aufwiesen als Patientinnen, deren Anämie durch Bluttransfusionen ausgeglichen wurde [39]. In einer retrospektiven Analyse von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren ergaben sich bei unbehandelter Anämie schlechtere Behandlungsergebnisse als bei einer Behandlung mit Erythropoetin [40].
Vor diesem Hintergrund war das Ergebnis einer kürzlich publizierten, prospektiven, randomisierten Studie überraschend, in der Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren während der Radiotherapie entweder Epoetin beta oder Plazebo erhielten [41]. Obwohl über 80 % der mit Epoetin beta behandelten Patienten einen Hämoglobin-Anstieg zeigten (Tab. 3), waren die Behandlungsergebnisse in dieser Gruppe bei der lokalen Tumorkontrolle und im Gesamtüberleben signifikant schlechter als in der Kontrollgruppe. Die Autoren diskutieren die Möglichkeit, dass Erythropoetin für Tumorzellen einen Wachstums- oder Überlebensfaktor darstellen könnte. Derartige extrahämatopoetische Wirkungen sind bereits für Nervenzellen nachgewiesen worden [42]. Ein wichtiger Unterschied zwischen der Behandlung mit Erythropoetin und der Transfusionstherapie wäre in diesem Fall die Tatsache, dass Bluttransfusionen die Erythropoetin-Konzentration im Serum senken, während die externe Zufuhr von Erythropoetin die Konzentration anhebt [41].
Kosten- und Kosten-Nutzen-Analysen
Da die zurzeit zur Verfügung stehenden Erythropoetin-Präparate teuer sind, wurden die Kosten der Erythropoetin-Therapie den Kosten der üblichen Transfusionstherapie gegenübergestellt. Trotz unterschiedlicher Ausgangsdaten, Berechnungsmodalitäten und Gesundheitssysteme kommen die in Tabelle 5 zitierten Arbeiten übereinstimmend zu dem Schluss, dass die Kosten der Erythropoetin-Therapie weit höher sind als die der Transfusionsbehandlung.
Beim derzeitigen Kenntnisstand beschränkt sich der Nutzen der Erythropoetin-Therapie auf eine Verbesserung der Lebensqualität. Um diesen Nutzen als Geldbetrag auszudrücken, wurden zwei verschiedene Modelle angewendet. Im ersten Ansatz wurden Krebspatienten gefragt, welche Summe sie gewillt wären, für die Vorteile einer dreimonatigen Erythropoetin-Therapie auszugeben [43]. Die durchschnittliche Bereitschaft, sich finanziell zu beteiligen, deckte weniger als 20 % der tatsächlichen Erythropoetin-Kosten; nur 4 % der Patienten waren bereit, den vollen Betrag zu bezahlen. Im zweiten Ansatz wurde durch Multiplikation der Lebensjahre mit einem von 0 (Tod) bis 1 (perfekte Gesundheit) reichenden Qualitätskoeffizienten eine Qualitätsanpassung der tatsächlich verlebten Jahre erreicht. Eine qualitativ gute Lebensphase wird hierdurch rechnerisch länger als eine qualitativ schlechte Phase gleicher zeitlicher Dauer [44, 45]. Bei derartigen Berechnungen ergab sich für den Hinzugewinn eines einzigen „quality-adjusted life year“ durch eine Erythropoetin-Behandlung ein Preis zwischen 110 769 und 214 391 US $ [46, 47].
Schlussfolgerungen
Erythropoetin ist bei onkologischer Indikation ein nahezu nebenwirkungsfreies Pharmakon, welches bei mehr als der Hälfte der Patienten zu einer Milderung der Chemotherapie-induzierten Anämie und einer Verbesserung der Lebensqualität führt. Der wesentliche Nachteil aller auf dem Markt befindlicher Präparate ist ihr Preis, der unter den derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen einer breiten Anwendung [48] entgegensteht. Vor dem Hintergrund eines limitierten Budgets wird man als Arzt daher aufgerufen sein, geeignete Patienten für die Erythropoetin-Therapie auszuwählen. In die Entscheidungsfindung dürften vor allem Aspekte der Ansprechwahrscheinlichkeit, der Dringlichkeit einer Korrektur der Anämie, der individuellen Toleranz gegenüber Transfusionen, der voraussichtlichen Dauer der Transfusionsbedürftigkeit und der Gesamtprognose eingehen. Neue Erkenntnisse über eine mögliche Begünstigung des Tumorwachstums durch Erythropoetin [41] oder neue transfusionsbedingte Risiken, wie die Übertragung der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung [49], werden die Diskussion über den differenzierten Einsatz von Erythropoetin und Bluttransfusion in den kommenden Jahren anhalten lassen.
Literatur
Im Internet unter www.arzneimitteltherapie.de > Inhalte > Heft 11/2004
Prof. Dr. med. Ulrich Dührsen, Klinik für Hämatologie, Universitätsklinikum Essen, Hufelandstraße 55, 45122 Essen,
E-Mail: ulrich.duehrsen@uni-essen.de

Abb. 1. Schlüsselstellung des Hämoglobin-Anstiegs bei der Wirkung von Erythropoetin und Erythrozytentransfusion
Tab. 1. Infektiöse, immunologische und toxische Risiken der Transfusionstherapie [50, 51]
Infektiöse Risiken |
Häufigkeit |
Hepatitis B |
1 : 60 000 |
Hepatitis C |
1 : 100 000 |
HIV-Infektion |
1 : 650 000 |
Immunologische Risiken |
|
Hämolytische Reaktion |
1 : 60 000 |
Letale AB0-Inkompatibilität |
1 : 600 000 |
Toxische Risiken |
|
Transfusionssiderose – Kardiomyopathie – Leberzirrhose – Endokrine Ausfälle |
Ab 50 Konserven |
Tab. 2. Kontrollierte randomisierte Studien zum Einfluss von Epoetin alfa auf die Hämoglobin-Konzentration und die Transfusionsbedürftigkeit bei Krebspatienten mit Anämien unterschiedlicher Genese
Autoren |
Therapie |
Patienten |
Wochen-Dosis |
Therapiedauer [Wochen] |
Ansprech- rate |
Mittlerer Hämoglobin-Anstieg [g/dl] |
Transfundierte |
Mittlere Blutkonservenzahl pro Patient und Monat3 |
||||||
Keine antineoplastische Therapie – solide Tumoren und lymphatische Neoplasien |
||||||||||||||
Abels et al. [18] |
Kontrolle |
55 |
– |
8 |
11 %1 |
0 |
k. A. |
k. A. |
||||||
Epoetin alfa |
63 |
300 |
8 |
32 %1 |
0,9 |
k. A. |
k. A. |
|||||||
Keine antineoplastische Therapie – Myelodysplasien |
||||||||||||||
Italienische Studiengruppe [21] |
Kontrolle |
37 |
– |
8 |
0 %1 |
-0,3 |
k. A. |
k. A. |
||||||
Epoetin alfa |
38 |
1 050 |
8 |
13 %1 |
1,7 |
k. A. |
k. A. |
|||||||
Chemotherapie ohne Cisplatin – solide Tumoren und lymphatische Neoplasien |
||||||||||||||
Abels et al. [18] |
Kontrolle |
74 |
– |
12 |
14 %1 |
0,4 |
27 % → 37 % |
0,7 → 0,8 |
||||||
Epoetin alfa |
79 |
450 |
12 |
58 %1 |
2,3 |
25 % → 29 % |
0,7 → 0,5 |
|||||||
Littlewood et al. [32] |
Kontrolle |
124 |
– |
12–24 |
19 %1 |
0,5 |
36 % → 40 % |
0,8 |
||||||
Epoetin alfa |
251 |
450 → 900 |
12–24 |
71 %1 |
2,2 |
28 % → 25 % |
0,5 |
|||||||
Chemotherapie mit Cisplatin – solide Tumoren und lymphatische Neoplasien |
||||||||||||||
Abels et al. [18] |
Kontrolle |
61 |
– |
12 |
7 %1 |
0,4 |
44 % → 56 % |
1,2 → 1,0 |
||||||
Epoetin alfa |
64 |
450 |
12 |
48 %1 |
2,0 |
44 % → 27 % |
1,7 → 0,6 |
|||||||
Chemotherapie – multiples Myelom |
||||||||||||||
Dammacco et al. [33] |
Kontrolle |
76 |
– |
12 |
9 %1 |
0,0 |
37 % → 47 % |
k. A. |
||||||
Epoetin alfa |
69 |
450 → 900 |
12 |
58 %1 |
1,8 |
36 % → 28 % |
k. A. |
|||||||
Radiotherapie – diverse solide Tumoren |
||||||||||||||
Lavey et al. [19] |
Kontrolle |
20 |
– |
5–8 |
5 %2 |
0,0 |
k. A. |
k. A. |
||||||
Epoetin alfa |
20 |
900 → 450 |
5–8 |
80 %2 |
3,2 |
k. A. |
k. A. |
|||||||
Sweeney et al. [20] |
Kontrolle |
24 |
– |
7 |
5 %2 |
0,3 |
k. A. |
k. A. |
||||||
Epoetin alfa |
24 |
1 000 |
7 |
65 %2 |
1,6 |
k. A. |
k. A. |
Einschlussbedingungen: Hämoglobin-Konzentration < 9,0 g/dl [21], 10,5 g/dl [18, 32], 11,0 g/dl [33], 13,0 g/dl [20] oder 13,5 g/dl [19]. Kontrollen: Plazebo [18, 21, 32, 33] oder keine Therapie [19, 20]. Lymphatische Neoplasien: maligne Lymphome, multiples Myelom, chronische lymphatische Leukämie. Im Hinblick auf Ansprechraten, Hämoglobin-Anstieg und Transfusionsbedarf ergaben sich in allen Studien statistisch signifikante Unterschiede zwischen der Kontroll- und der Epoetin-alfa-Gruppe (p < 0,05). k. A.: keine Angabe
1Definition des Ansprechens: Hämoglobin-Anstieg um ≥ 2 g/dl
2Definition des Ansprechens: Hämoglobin-Anstieg auf Werte ≥ 14 g/dl
3Prä- → posttherapeutische Werte
Tab. 3. Kontrollierte randomisierte Studien zum Einfluss von Epoetin beta auf die Hämoglobin-Konzentration und die Transfusionsbedürftigkeit bei Krebspatienten mit Anämien unterschiedlicher Genese
Autoren |
Therapie |
Patienten [n] |
WochenDosis [U/kg] |
Therapiedauer [Wochen] |
Ansprechrate |
Mittlerer |
Transfundierte Patienten3 |
Mittlere Blutkonservenzahl pro Patient und Monat3 |
Chemotherapie – solide Tumoren und lymphatische Neoplasien |
||||||||
Boogaerts et al. [15] |
Kontrolle |
129 |
– |
12 |
13 %1 |
0,9 |
k. A. |
k. A. |
Epoetin beta |
133 |
450 → 900 |
12 |
47 %1 |
2,1 |
k. A. |
k. A. |
|
Chemotherapie – solide Tumoren |
||||||||
Oberhoff et al. [52] |
Kontrolle |
88 |
– |
12 |
9 %1 |
k. A. |
22 % → 42 % |
0,4 → 0,5 |
Epoetin beta |
101 |
450 |
12 |
38 %1 |
k. A. |
23 % → 28 % |
0,4 → 0,4 |
|
Chemotherapie – lymphatische Neoplasien |
||||||||
Österborg et al. [14] |
Kontrolle |
173 |
– |
16 |
27 %1 |
-0,1 |
27 % → 52 % |
k. A. |
Epoetin beta |
170 |
450 → 900 |
16 |
67 %1 |
1,6 |
29 % → 33 % |
k. A. |
|
Radiotherapie – Kopf-Hals-Tumoren |
||||||||
Henke et al. [41] |
Kontrolle |
171 |
– |
9 |
15 %2 |
1,1 |
k. A. |
k. A. |
Epoetin beta |
180 |
900 |
9 |
82 %2 |
3,7 |
k. A. |
k. A. |
Einschlussbedingungen: Hämoglobin-Konzentration < 10,0 g/dl [14], 11,0 g/dl [15, 52] oder 13,0 g/dl [41]. Kontrollen: Plazebo [14, 41] oder keine Therapie [15, 52]). Lymphatische Neoplasien: maligne Lymphome, multiples Myelom, chronische lymphatische Leukämie. Im Hinblick auf Ansprechraten, Hämoglobin-Anstieg und Transfusionsbedarf ergaben sich in allen Studien statistisch signifikante Unterschiede zwischen der Kontroll- und der Epoetin-beta-Gruppe (p < 0,05). k. A.: keine Angabe
1Definition des Ansprechens: Hämoglobin-Anstieg um ≥ 2 g/dl
2Definition des Ansprechens: Hämoglobin-Anstieg auf Werte ≥ 15 g/dl
3Prä- → posttherapeutische Werte
Tab. 4. Kontrollierte randomisierte Studien zum Einfluss von Darbepoetin alfa auf die Hämoglobin-Konzentration und die Transfusionsbedürftigkeit bei Krebspatienten mit Anämien unterschiedlicher Genese
Autoren |
Therapie |
Patienten |
Wochendosis [µg/kg] |
Therapiedauer [Wochen] |
Ansprechrate |
Mittlerer |
Transfundierte Patienten |
Mittlere Blutkonservenzahl pro Patient und Monat |
Keine antineoplastische Therapie – solide Tumoren und lymphatische Neoplasien |
||||||||
Smith et al. [27] |
Plazebo |
22 |
– |
12 |
5 %1 |
0,0 |
21 % |
k. A. |
Darbepoetin alfa |
33 |
2,25 |
12 |
67 %1 |
2,1 |
14 % |
k. A. |
|
Darbepoetin alfa |
30 |
4,50 |
12 |
92 %1 |
2,9 |
7 % |
k. A. |
|
Chemotherapie – Bronchialkarzinom |
||||||||
Vansteenkiste et al. [34] |
Plazebo |
158 |
– |
12 |
24 %2 |
k. A. |
52 % |
0,6 |
Darbepoetin alfa |
156 |
2,25 → 4,50 |
12 |
66 %2 |
k. A. |
27 % |
0,2 |
|
Chemotherapie – lymphatische Neoplasien |
||||||||
Hedenus et al. [35] |
Plazebo |
170 |
– |
12 |
18 %1 |
0,2 |
48 % |
k. A. |
Darbepoetin alfa |
174 |
2,25 → 4,50 |
12 |
60 %1 |
1,8 |
31 % |
k. A. |
Einschlussbedingungen: Hämoglobin-Konzentration < 11,0 g/dl. Lymphatische Neoplasien: maligne Lymphome, multiples Myelom, chronische lymphatische Leukämie. Im Hinblick auf Ansprechraten, Hämoglobin-Anstieg und Transfusionsbedarf ergaben sich in allen Studien statistisch signifikante Unterschiede zwischen der Kontroll- und der Darbepoetin-alfa-Gruppe (p < 0,05). k. A.: keine Angabe
1Definition des Ansprechens: Hämoglobin-Anstieg um ≥ 2 g/dl
2Definition des Ansprechens: Hämoglobin-Anstieg um ≥ 2 g/dl oder Hämoglobin-Anstieg auf Werte ≥ 12 g/dl
Tab. 5. Vergleich der Kosten von Erythropoetin und Bluttransfusionen zur Prävention und Behandlung von Anämien bei
Krebspatienten
Autoren |
Land |
Datenquelle |
Erythropoetin |
Bluttransfusion |
Kostenverhältnis Erythropoetin/Transfusion |
Chemotherapie-assoziierte Anämie |
|||||
Sheffield et al. [53] |
USA |
8 publizierte Studien |
2 162 $ |
747 $ |
3 |
Ortega et al. [43] |
Kanada |
2 publizierte Studien |
1 197 $ |
194 $ |
6 |
Barosi et al. [46] |
Italien |
2 publizierte Studien |
1 142 $ |
52 $ |
22 |
Meadowcroft et al. [54] |
USA |
174 publizierte Artikel, 50 Brustkrebs-Patientinnen |
2 161 $ |
56 $ |
38 |
Cremieux et al. [47] |
USA |
4 publizierte Studien |
1 888 $ |
354 $ |
5 |
Radiochemotherapie-assoziierte Anämie |
|||||
Kavanagh et al. [55] |
USA |
1 publizierte Studie, 12 Zervixkarzinom-Patientinnen |
2 579 $ |
660 $ |
4 |
Zusätzlich zu den Kosten für Erythropoetin (10 000 U = 94–125 $) und Blutkonserven (1 Konserve = 137–422 $; Median: 329 $) gingen zahlreiche Nebenkosten in die Analysen ein.
Arzneimitteltherapie 2004; 22(11)