Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
Es gibt eine ganze Reihe von Komorbiditäten bei Migräne. Belegt sind neben Depressionen und Angsterkrankungen eine erhöhte Schlaganfallrate und in kleineren Fall-Kontroll-Serien eine erhöhte Rate an Angina pectoris. Da Serotonin-Agonisten („Triptane“) vasokonstriktive Eigenschaften haben, könnte eine entsprechende Therapie theoretisch das Schlaganfall- oder Herzinfarktrisiko erhöhen.
Um dies zu untersuchen, haben Forscher auf die General Practice Research Database von 321 Allgemeinpraxen in England zugegriffen. In dieser Datenbank wurden zwischen 1992 und 1999 Patienten mit Migräne identifiziert und nach Alter und Geschlecht passende Kontrollen gefunden. Auf diese Weise wurden 63 199 Migränepatienten mit 76 936 Kontrollen verglichen. Von den Migränepatienten hatten 13 602 Serotonin-Agonisten verschrieben bekommen und 49 597 eine Migränetherapie ohne Serotonin-Agonisten erhalten. Innerhalb der Datenbasis wurden dann Ereignisse wie Schlaganfall, transitorische ischämische Attacken (TIA), Herzinfarkt, koronare Herzerkrankung und Tod sowie Herzrhythmusstörungen und andere vaskuläre Risikofaktoren identifiziert. Die Gesamtgruppe der Migränepatienten hatte ein erhöhtes Schlaganfallrisiko (Hazard-Ratio 1,51) und ein erhöhtes Risiko für eine koronare Herzerkrankung (Hazard-Ratio 1,35). Innerhalb der Schlaganfälle war das Risiko nur für zerebrale Ischämien, nicht aber für zerebrale Blutungen erhöht. Patienten, die einen Serotonin-Agonisten verschrieben bekommen hatten, wiesen im Vergleich zu anderen Migränepatienten weder eine erhöhte Rate an Schlaganfällen noch an Herzinfarkten auf.
Diese sehr große retrospektive Studie auf der Basis einer Datenbank in England, die Diagnosen, Risikofaktoren und Verschreibungen zusammenführt (in Deutschland aus Datenschutzgründen nicht möglich), belegt den bereits bekannten Zusammenhang zwischen ischämischem Schlaganfall und Migräne. Schwer zu verstehen ist die Assoziation mit koronarer Herzerkrankung, da die Zahl der Herzinfarkte bei den Migränepatienten nicht erhöht war.
Für den klinischen Alltag wichtig ist die Beobachtung, dass Patienten, denen Serotonin-Agonisten zur Behandlung ihrer Migräneattacken verschrieben wurden, kein erhöhtes Schlaganfallrisiko oder Herzinfarktrisiko gegenüber den Patienten hatten, die mit anderen Migräne-Therapeutika behandelt wurden. Angesichts der Größe der hier untersuchten Population und der Zahl der Zielereignisse (360 Schlaganfälle in der Migränegruppe, 258 in der Kontrollgruppe) sind diese Aussagen als valide anzusehen.
Quelle
Hall GC, et al. Triptans in migraine. The risks of stroke, cardiovascular disease, and death in practice. Neurology 2004;62:563-8.
Arzneimitteltherapie 2005; 23(01)