Andrea Warpakowski, Itzstedt
Resistenzen gegen HIV-Medikamente sind weit verbreitet und schränken den Nutzen nachfolgender HIV-Therapien immer weiter ein. So ergab eine Querschnittsuntersuchung in Frankreich, dass mehr als 80 % der HIV-Patienten, die zwischen 1997 und 2002 antiretroviral behandelt wurden, mindestens eine Resistenzmutation aufweisen. Fast alle der mehr als 2 000 Patienten hatten eine Resistenz gegen nucleosidische Reverse-Transcriptasehemmer (NRTI),
38 % gegen einen nicht-nucleosidischen Reverse-Transcriptasehemmer (NNRTI) und 47 % gegen einen Proteasehemmer. Resistenzmutationen gegen alle drei Medikamentenklassen konnten bereits bei 25 % der mehr als 3 000 untersuchten Plasmaproben nachgewiesen werden.
Die Potenz und genetische Barriere gegen Resistenzen sind entscheidend für den dauerhaften Erfolg einer HIV-Ersttherapie. Der mit Ritonavir geboosterte Proteasehemmer Lopinavir (Kaletra®) hat im Vergleich zu anderen geboosterten und ungeboosterten Proteasehemmern den höchsten inhibitorischen Quotienten (Verhältnis von Talspiegel des Wirkstoffs zur minimalen Hemmkonzentration IC50, bei der 50 % der Replikation des Wildtyps unterdrückt wird). Der durch das Boostern hohe minimale Plasmaspiegel übersteigt mindestens 12 Stunden lang die IC50 für das Wildtypvirus um ein Vielfaches, und hemmt damit effektiv die Vermehrung der HI-Viren. Lässt die Boosterwirkung von Ritonavir nach, wird Lopinavir sehr schnell abgebaut. Deshalb kommen kaum suboptimale Wirkstoffkonzentrationen vor. Damit ein Virus überhaupt gegen Lopinavir/Ritonavir resistent wird, müssen sich mindestens fünf bis sechs Mutationen gleichzeitig entwickeln. Bei den NNRTI reicht beispielsweise eine einzige Mutation für eine komplette Resistenz.
In einer Phase-II-Studie werden seit sechs Jahren noch 63 von anfangs 100 therapienaiven Patienten mit Lopinavir/Ritonavir behandelt. Die Patienten erhalten zweimal täglich drei Kapseln mit jeweils 133 mg Lopinavir/33 mg Ritonavir in Kombination mit den NRTI Lamivudin (Epivir®) und Stavudin (Zerit®). Bei Woche 312 lag die Viruskonzentration laut Intention-to-treat-Analyse bei 63 % der Patienten unter 400 HIV-RNS-Kopien/ml Blut, laut On-treatment-Analyse waren es 100 % (Abb. 1). Die CD4-Zellzahl stieg unabhängig vom Ausgangswert im Mittel um 529 Zellen. Insgesamt 28 Patienten hatten im Laufe der Studie eine nachweisbare Virusvermehrung und bei 18 von ihnen war ein genotypischer Resistenztest möglich. In keinem Fall wurde eine resistente Mutation gegen Lopinavir/Ritonavir und Stavudin nachgewiesen, bei drei Patienten trat eine Lamivudin-Resistenz auf.
In einer Vergleichsstudie gegen den Proteasehemmer Nelfinavir (Viracept®) verhinderte Lopinavir/Ritonavir ebenfalls resistente Virusmutanten gegen die begleitenden antiretroviralen Medikamente. Nach 96 Wochen Behandlung mit Lopinavir/Ritonavir (n = 326) hatten 74 Patienten, deren Viruskonzentration trotz Therapie wieder anstieg, weder eine Proteasehemmer- noch eine Stavudin-Resistenz und 37 % eine Lamivudin-Resistenz. Im Nelfinavir-Arm (n = 327) konnten bei 46 % der insgesamt 123 Patienten mit virologischem Versagen eine Proteasehemmer-, bei 82 % eine Lamivudin- und bei 9 % eine Stavudin-Resistenz nachgewiesen werden. Der Unterschied war jeweils signifikant (p<0,001).
Insgesamt hat sich in klinischen Studien mit 508 therapienaiven Patienten in keinem einzigen Fall eine Proteasehemmer-Resistenz unter Lopinavir/Ritonavir entwickelt.
In einer Beobachtungsstudie mit 512 bisher nicht behandelten Patienten wird zurzeit speziell die Entwicklung von Resistenzen unter Lopinavir/Ritonavir untersucht. Die Patienten sind bisher im Median 57 Wochen lang mit Lopinavir/Ritonavir behandelt worden und es konnte noch keine Proteasehemmer-spezifische Primärresistenz nachgewiesen werden. In der klinischen Praxis sind weltweit bisher erst drei Fälle bekannt, bei denen sich unter Lopinavir/Ritonavir eine Proteasehemmer-Resistenz entwickelt hat.
In den aktualisierten amerikanischen Richtlinien des Department of Health and Human Services (DHHS) vom Oktober 2004 wird nach wie vor Lopinavir/Ritonavir in Kombination mit Lamivudin oder Emtricitabin (Emtriva®) plus Zidovudin (Retrovir®) oder Tenofovir (Viread®) als eine von zwei bevorzugten Ersttherapien empfohlen.
Quelle
Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Prof. Dr. Frank Goebel, München, Satellitensymposium „Mythos Adhärenz“, veranstaltet von Abbott im Rahmen der 10. Münchener AIDS-Tage, 26. November 2004.

Abb. 1. Viruskonzentration [HIV-RNS-Kopien/ml] bei Langzeittherapie mit Lopinavir/Ritonavir
Arzneimitteltherapie 2005; 23(05)