Tops und Flops in der Kardiologie


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Wenn man einen großen amerikanischen Kardiologie-Kongress wie die Jahrestagung des American College of Cardiology (ACC), der in diesem Jahr in Orlando stattfand, besucht hat, so befällt einen ein zwiespältiges Gefühl, ja man fühlt sich „overnewed and underinformed“. Die Menge neuer Daten und Fakten ist erdrückend, zum Teil auch verwirrend. Dabei stellt sich zwangsläufig die Frage, ob das, was als signifikant besser oder schlechter dargestellt wurde, auch klinisch relevant ist. Darauf eine Antwort zu finden ist nicht immer einfach. Doch was sind die aktuellen Themen der internationalen Kardiologie?

Im Mittelpunkt der klinischen Forschungen stehen zweifelsohne die medikamentös beschichteten Stents. Sie haben zwar das Problem der Restenose nicht vollständig beseitigen können, doch der Fortschritt ist eklatant. Eigentlich können nur Kostengründe dagegen sprechen, sie allen Patienten zuteil werden zu lassen. Zur Zeit werden weltweit unzählige Studien durchgeführt, in denen der Sirolimus-beschichtete Cypher®-Stent mit dem Paclitaxel-beschichteten Taxus™-Stent verglichen wird. In der Mehrzahl dieser Studien schnitt der Cypher-Stent etwas besser ab, vor allem bei Diabetikern. Ob ausgehend von solchen Studienergebnissen in Zukunft eine gewisse Differenzialtherapie sinnvoll ist, lässt sich im Moment noch nicht abschätzen. Doch die Entwicklung der Stenttechnik geht weiter. Schon drängen die ersten bioabsobierbaren Magnesium-haltigen Stents auf den Markt, die etwaige Probleme, die sich bei einer späteren Bypass-Operation ergeben könnten, geschickt umgehen, da sie sich selbst auflösen.

Die Erfolgsgeschichte des Thrombozytenfunktionshemmers Clopidogrel geht weiter. Nachdem diese Substanz bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Hebungsinfarkt schon seit längerer Zeit in Kombination mit Acetylsalicylsäure zur Standardtherapie gehört, hat sie nun auch die Feuertaufe beim ST-Hebungsinfarkt bestanden. Sowohl die Ergebnisse der CLARITY-28-TIMI (Clopidogrel as adjunctive reperfusion therapy thrombolysis in myocardial infarction [TIMI]-28) als auch der COMMIT/CCS-2-Studie (Clopidogrel and metoprolol in myocardial infarction trial) konnten zeigen, dass Clopidogrel auch beim ST-Hebungsinfarkt Komplikationen verhindert. Die Ergebnisse der COMMIT/CCS-2 Studie haben aber auch ein Dogma ins Wanken gebracht. Bisher galt die sofortige Gabe eines Betablockers bei Patienten mit einem akuten ST-Hebungsinfarkt als vorteilhaft. Im Rahmen dieser Studie konnte nun gezeigt werden, dass der Nutzen durch eine Verringerung des Risikos von Kammerflimmern und Reinfarkt durch das deutlich erhöhte Risiko für einen kardiogenen Schock vollständig neutralisiert wird. Deshalb wird jetzt empfohlen, nur bei kleinen Infarkten mit hämodynamischer Stabilität sofort einen Betablocker einzusetzen, bei den übrigen Patienten dagegen erst nach zwei Tagen, wenn eine Stabilisierung eingetreten ist.

Auch die strenge 12-Stunden-Regel, in der nach Beginn der Symptomatik bei akutem ST-Hebungsinfarkt eine mechanische Reperfusion angestrebt werden sollte, muss kritisch hinterfragt werden. In der BRAVE-2-Studie (Beyond 12 hours reperfusion alternative evaluation) konnte nämlich gezeigt werden, dass die Intervention auch dann noch vorteilhaft ist, wenn sie zwischen der 12. und 24. Stunde nach Symptombeginn durchgeführt wird.

Dass ein LDL-Cholesterol-Zielwert von 100 mg/dl bei Hochrisiko-Patienten noch nicht das „Ende der Fahnenstange“ darstellt, war zu vermuten. In der TNT-Studie (Treating to new targets) konnte durch eine weitere Senkung des LDL-Cholesterol-Spiegels auf 70 mg/dl das kardiovaskuläre Risiko weiter verringert werden. Überraschenderweise führte die intensivierte Therapie mit 80 mg Atorvastatin jedoch nicht zu einer Abnahme der Gesamtmortalität. Von 1 000 Patienten, die 10 mg Atorvastatin erhielten, verstarben 31 an einer kardiovaskulären Ursache und 25 an einer anderen Erkrankung. Mit 80 mg Atorvastatin starben 25, also 6 Patienten weniger, an einer kardialen Komplikation, dafür jedoch 32 Patienten, also 7 mehr, an einer anderen Erkrankung. Wie dies zu erklären ist, darüber rätseln die Experten. Sind die vermehrt aufgetretenen nicht-kardialen Todesfälle in der intensiviert behandelten Patientengruppe Folge eines zu niedrigen Cholesterol-Spiegels oder müssen bei einer hoch dosierten Atorvastatin-Therapie doch gefährliche Nebenwirkungen angenommen werden? Im Zweifel muss der Zufall herhalten!

Überrascht hat auch, dass die ASCOT-BPLA- Studie (Anglo-Scandinavian cardiac outcome trial) vorzeitig abgebrochen wurde, da die Kombination Amlodipin/Perindopril die Sterblichkeit und die kardiovaskuläre Komplikationsrate stärker senkte als die Kombination Atenolol/Thiazid.

Auch die Therapie des frischen Myokardinfarkts mit einer Glucose-Insulin-Kalium-Infusion erwies sich als Flop. Weder in der enzymatisch bestimmten Infarktgröße noch bei der Prognose quoad vitam ergab sich ein Vorteil für dieses Therapieprinzip. Auch für den Endothelin- Rezeptor-Inhibitor Tezosentan ist die Wahrheit und damit die Zukunft in der Tat düster, da in der VERITAS-Studie (Value of endothelin receptor inhibition with tezosentan in acute heart failure study) dieses neue medikamentöse Therapiekonzept bei Patienten mit akuter Herzinsuffizienz versagte.

Eine große Verunsicherung besteht unter den Kardiologen beim Thema „COX-2-Inhibitoren“. Fest steht, dass sie bei Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung oder einem hohen kardiovaskulären Risiko kontraindiziert sind. Ob auch für andere Patienten ein konventionelles nichtsteroidales Antirheumatikum in Kombination mit einem Protonenpumpenhemmer die bessere und sichere Alternative darstellt, darüber darf zumindest spekuliert werden.

Neue Antworten – neue Fragen! So könnte man das Fazit des Kongresses zusammenfassen. Oder um es humorvoller zu sagen: neue wissenschaftliche Daten sind nur der aktuelle Stand des Irrtums, die Wahrheit von heute könnte sich bereits morgen als Irrtum erweisen.

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