Bettina Polk, Stuttgart
Patienten mit nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC), bei denen nach Operation und/oder Bestrahlung sowie einer First-Line-Chemotherapie ein Rezidiv auftritt, sollten in Abhängigkeit von Lebensalter und Allgemeinzustand eine Second-Line-Chemotherapie erhalten. Eine Aussicht auf Heilung besteht zwar nicht, aber auf Lebensverlängerung und Verbesserung der Lebensqualität. Erste zugelassene Substanz in dieser Indikation war Docetaxel (Taxotere®). Dann konnte für Pemetrexed (Alimta®) bei gleicher Wirkung eine geringere, vor allem hämatologische Toxizität gezeigt werden.
Erlotinib (Tarceva®), ein Inhibitor des EGFR (Epidermal Growth Factor Receptor) erweitert nun die Möglichkeiten der Second-Line-Chemotherapie. Es kann im Gegensatz zu den anderen Substanzen oral eingenommen werden. Erlotinib gehört zu den so genannten „kleinen Molekülen“ (Abb. 1) und besetzt selektiv und reversibel die Adenosintriphosphat-(ATP-)Bindungsstelle der intrazellulären Tyrosinkinase-(TK-)
Domäne des EGF-Rezeptors. Damit wird die Phosphorylierung gehemmt und die Weiterleitung von Signalen unterbrochen. So werden Zellproliferation, Angiogenese und Apoptose beeinflusst.
Erlotinib ist in den USA zugelassen zur Second- und Third-Line-Therapie bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC. In Europa wird die Zulassung Ende 2005 erwartet – im März 2005 wurde es in der Schweiz zugelassen. Zulassungsgrundlage ist unter anderem eine doppelblinde, multizentrische Phase-III-Studie mit 731 Lungenkrebspatienten im Stadium IIIB oder IV, die im Verhältnis 2 : 1 randomisiert entweder einmal täglich 150 mg Erlotinib oder Plazebo bekamen. Die Patienten hatten zuvor bereits eine oder zwei Chemotherapien erhalten. Da zu Beginn der Studie weder Docetaxel noch Pemetrexed in der Indikation zugelassen war, wurde mit Plazebo oder besser „best supportive care“ verglichen. Primärer Endpunkt war die Überlebensrate. Sekundäre Endpunkte waren unter anderem Dauer der Überlebenszeit ohne Fortschreiten der Erkrankung, Dauer bis zur Verschlechterung der Symptomatik, Ansprechrate und Verträglichkeit.
Die mediane Überlebenszeit war in der Erlotinib-Gruppe signifikant länger als in der Plazebo-Gruppe (6,7 vs. 4,7 Monate, p = 0,001). Auch das progressionsfreie Überleben war mit 9,7 im Vergleich zu 8,0 Wochen bei den mit Erlotinib behandelten Patienten länger (p < 0,001). Außerdem war die Zeit, bis sich Symptome wie Husten, Dyspnoe und Schmerz verschlechterten, in der Verum-Gruppe signifikant länger (Husten: 28 vs. 15 Wochen, Dyspnoe: 20 vs. 12 Wochen, Schmerz: 12 vs. 8 Wochen).
Die Gesamtansprechrate (8 % partielles plus 1 % komplettes Ansprechen) betrug 8,9 %, das Ansprechen hielt im Median etwa 34 Wochen an. Signifikant höhere Ansprechraten waren in folgenden Untergruppen zu beobachten:
- Frauen (14,4 % vs. 6,0 % bei Männern)
- Adenokarzinome (13,9 % vs. 3,8 und 4,5 % bei anderen histologischen Befunden)
- Personen, die nie geraucht haben (24,7 % vs. 3,9 %)
Die höheren Ansprechraten schlugen sich allerdings nicht in längeren Überlebensraten nieder, so dass anzunehmen ist, dass auch Patienten von der Therapie profitieren, die objektiv nicht ansprechen, bei denen also keine Verkleinerung des Tumors beobachtet werden kann. Sie profitieren möglicherweise durch ein längeres Erhalten des Status quo.
Häufigste unerwünschte Wirkungen in der Erlotinib-Gruppe waren Akne-ähnlicher Hautausschlag, so genannter „Rash“, und Durchfälle. Rash trat bei 75 % der Patienten in der Verum-Gruppe auf, bei 9 % entsprach die Ausprägung Grad 3 oder 4. Durchfälle kamen bei 54 % der Patienten, die mit Erlotinib behandelt wurden, vor, bei 6 % als Grad 3 oder 4. In der Plazebo-Gruppe waren diese unerwünschten Wirkungen signifikant seltener (Rash: 17 %, 0 % Grad 3/4; Diarrhö: 18 %, < 1 % Grad 3/4).
Interessant ist die Beobachtung in einer Phase-II-Studie, dass Patienten, bei denen ein Rash Grad 2 oder schlimmer aufgetreten ist, im Vergleich zu Patienten ohne oder mit leichtem Hautauschlag signifikant längere Überlebenszeiten hatten (Abb. 2). Der Zusammenhang wird derzeit weiter untersucht.
Bei einer Therapiepause von zum Beispiel einer Woche geht der Hautausschlag prompt zurück, eine Reexposition mit einer niedrigeren oder auch der gleichen Dosierung muss nicht erneut zu Rash führen. Auch spontane Remissionen unter anhaltender Therapie werden berichtet – eine individuelle Entscheidung in enger Abstimmung zwischen Arzt und Patient ist an dieser Stelle gefragt. Rash wurde auch bei anderen Tyrosinkinase-Hemmern, zum Beispiel Gefitinib beobachtet.
Ausblick
In Zukunft dürften also in der Second-Line-Therapie des NSCLC Docetaxel, Pemetrexed und Erlotinib zur Verfügung stehen. Pemetrexed war in Studien bei gleicher Wirksamkeit besser verträglich als Docetaxel. Direkte Vergleichstudien zwischen Pemetrexed und Erlotinib gibt es leider nicht, ein Vorteil von Erlotinib ist die Möglichkeit der oralen Applikation. Denkbar ist auch, dass bei Tumorprogression nach Second-Line-Therapie mit der einen Substanz, eine Third-Line-Therapie mit der anderen Substanz versucht werden kann.
Quellen
Prof. Dr. med. Christian Manegold, Mannheim, Dr. med. Martin Reck, Großhansdorf, Presseseminar „Neue Therapie für Lungenkrebspatienten: EGFR-Hemmer Erlotinib verlängert signifikant das Überleben“, veranstaltet von Hoffmann-La Roche anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP), Berlin, 18. März 2005.
Shepard FA, et al. A randomized placebo-controlled trial of erlotinib in patients with advanced non-small cell lung cancer (NSCLC) following failure of 1st line or 2nd line chemotherapy. A National Cancer Institute of Canada Clinical Trials Group (NCIC CTG) trial. ASCO Annual Meeting, 2004.

Abb. 1. Erlotinib

Abb. 2. Überlebenszeit in Abhängigkeit vom Schweregrad des Ausschlags
* vs. kein Ausschlag
Arzneimitteltherapie 2005; 23(07)