Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Derzeit ist die Standardtherapie von Patienten mit multiplem Myelom altersabhängig:
- Bei über 70-Jährigen: Kombinationstherapie mit Melphalan (Alkeran®) und Prednison (Decortin®)
- Bei unter 70-Jährigen: Induktionstherapie mit Hochdosis-Chemotherapie: Melphalan, Doxorubicin (Adriblastin®), Prednison und Bendamustin (Ribomustin®) sowie autologe Stammzelltherapie
Gegenstand aktueller klinischer Studien sind neue effektivere Strategien für die Induktions-, Konsolidierungs-, Erhaltungs- und Rezidivtherapie des multiplen Myeloms.
Induktionstherapie
Die Therapie mit Thalidomid ist ein neuer vielversprechender Ansatz: Bei 177 Patienten (65 bis 85 Jahre alt) wurde die Kombination Melphalan, Prednison und Thalidomid (100 mg täglich) mit der etablierten Therapie Melphalan (4 mg/m² über 7 Tage) und Prednison (40 mg/m²) verglichen. Durch die zusätzliche Gabe von Thalidomid konnte die Rate an kompletten Remissionen von 5,4 % auf 27,7 % gesteigert und das durchschnittliche progessionsfreie Überleben der Patienten von 13,7 auf 25,2 Monate verlängert werden.
Die starke Zunahme schwerer Nebenwirkungen bei der Therapie mit Thalidomid ist jedoch ein Problem: So stieg die Inzidenz tiefer Beinvenenthrombosen von 4 % auf 19 % und von Neuropathien von 11 % auf 41 %.
Die Therapie mit Thalidomid wurde auch bei jüngeren Patienten in einer klinischen Studie getestet. Die Kombination von Thalidomid mit Dexamethason (Dexamethason Jenapharm®) wurde mit einer Dexamethason-Monotherapie verglichen. Auch hier führte Thalidomid zu besseren Therapieergebnissen: Die Gesamtansprechrate konnte von 59 % auf 73 % und die Rate kompletter Remissionen von 0 % auf 4 % gesteigert werden. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten auch in dieser Studie häufiger unter der Therapie mit Thalidomid auf.
Ein deutlich geringeres Nebenwirkungspotenzial zeigte dagegen bisher in tierexperimentellen Untersuchungen das Thalidomid-Derivat Lenalidomid, das zugleich 10 000- bis 50 000fach stärkere Wirkung als Thalidomid besitzt. In einer ersten klinischen Studie wurde diese Substanz in Kombination mit Dexamethason eingesetzt. Bereits nach dem ersten Zyklus zeigte sich bei 83% der Patienten eine partielle Remission. Die Rate an schwerwiegenden Komplikationen, insbesondere Neutropenie und Neuropathie war deutlich geringer als unter der Therapie mit Thalidomid. Kein Patient entwickelte in dieser Studie eine tiefe Beinvenenthrombose.
Konsolidierung- und Erhaltungstherapie
Die Effektivität einmaliger oder zweimaliger Stammzelltransplantation in der Konsolidierungs- oder Erhaltungstherapie wird derzeit kontrovers beurteilt. Entsprechend neuer Studienergebnisse ist eine zweite Stammzelltransplantation nur dann vorteilhaft, wenn keine komplette Remission nach der ersten Transplantation erreicht wurde. Eine dritte Transplantation dürfte nur nach einem langen transplantationsfreien Intervall sinnvoll sein.
Der Stellenwert einer Therapie mit Alpha-Interferon im Rahmen der Erhaltungstherapie wurde in einer klinischen Studie untersucht. Dabei ergab sich kein Vorteil nach Gabe von Alpha-Interferon – in der Erhaltungstherapie zeigte Alpha-Interferon keine Wirkung.
Das Bisphosphonat Pamidronsäure (Aredia®) hat dagegen einen wichtigen Stellenwert in der Erhaltungstherapie zur Vermeidung von Frakturen und Knochenschmerzen. Wird Pamidronsäure mit Thalidomid kombiniert, so kann dadurch die protektive Wirkung auf ossäre Komplikationen nicht verbessert werden. Allerdings wurde durch die zusätzliche Gabe von Thalidomid das progressionsfreie Überleben nach drei Jahren von 37 % auf 56 % gesteigert.
Rezidivtherapie
Eine schwierige Situation ist die Behandlung eines Rezidivs. Eine neue vielversprechende therapeutische Option zur Behandlung eines Rezidivs ist Bortezomib (Velcade®). Bei dieser Substanz handelt es sich um den ersten zugelassenen Proteasom-Inhibitor. Proteasome sind Enzymkomplexe, die den Abbau von Signalproteinen steuern, die für das Überleben der Tumorzellen, also für die Zellvermehrung, Zelladhäsion und Angiogenese wichtig sind. Die Hemmung der Proteasomen verhindert den intrazellulären Proteinabbau; durch die intrazelluläre Anreicherung nicht abgebauter Proteinen wird eine Vielzahl von Signalkaskaden in der Tumorzelle unterbrochen. Dies führt zu einer Hemmung des Tumorwachstums, der Angiogenese, der Interaktion von Tumorzellen mit gesunden Zellen des Knochenmarks und zu einer gesteigerten Apoptoserate der Tumorzellen. In einer ersten vergleichenden Studie wurde Bortezomib mit Dexamethason bei Patienten mit rezidivierten multiplen Myelom verglichen; es ergab sich ein signifikanter Vorteil zugunsten der Bortezomib-Gruppe – das progessionsfreie Intervall konnte um 58 % verlängert werden.
Quelle
Priv.-Doz. Dr. Peter Borchmann, Köln, Post-Meeting der Jahrestagung 2004 der „American Society of Hematology“ (ASH) in San Diego, „Breaking News”, Multiples Myelom, Köln, 2. Februar 2005.
Arzneimitteltherapie 2005; 23(07)