Praxisorientierte Empfehlungen zur kalkulierten Initialtherapie bakterieller Erkrankungen der Atemwege und des HNO-Bereichs bei Erwachsenen


Teil 3. Behandlung von HNO-Infektionen

Veröffentlicht am: 28.11.2019

Die Expertenkommission der Infektliga: D. Adam, K.-F. Bodmann, W. Elies, C. Lebert, K. Naber, F. Sörgel, A. Rodloff, F. Vogel, H. Wacha, Beratende Experten: H. Lode, W. Graninger, B. Wiedemann, Moderation: F. Vogel, K.-F. Bodmann, Manuskript: C. Lebert

Die Expertenkommission der Infektliga hat praxisorientierte Empfehlungen zur Behandlung bakterieller Erkrankungen der Atemwege und des HNO-Bereichs Erwachsener erarbeitet, die in Buchform* veröffentlicht wurden. Aus diesen Empfehlungen wurden im Juli-Heft der Arzneimitteltherapie das Kapitel zur Charakterisierung der Antibiotika und im August-Heft das Kapitel zur Behandlung von Laryngitis/Pharyngitis, Bronchitiden und Pneumonien veröffentlicht. Nachfolgend erscheint das Kapitel zur Behandlung der HNO-Infektionen. Arzneimitteltherapie 2005;23:290–5.

Infektionen an Hals, Nase und Ohren erfordern in der täglichen Praxis am häufigsten den Einsatz von Antibiotika. Nur in seltenen Fällen ist im Bereich der HNO-Infektionen jedoch eine parenterale Antibiotika-Gabe notwendig. Diese Ausnahmen betreffen vor allem die Behandlung der Mastoiditis, Otitis externa maligna, der Sinusitis mit orbitalen und anderen Komplikationen, einer Epiglottitis und der Mundbodenphlegmone.

Infektionen der Ohren (Tab. 1)

Otitis media acuta

Die Otitis media acuta tritt meist bei Kindern häufig nach einer Virus-Infektion auf. 80 % der Fälle sind viral und nicht purulent, in etwa 20 % kommt es zu einer bakteriellen Superinfektion. In der Regel ist der Infektionsweg aszendierend über die Tuben. Leitkeime sind Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae, Staphylococcus aureus und Moraxella catarrhalis. Die antibiotische Therapie bei Erwachsenen kann oral in leichten Fällen ohne Risikofaktoren mit Amoxicillin ± Beta-Lactamase-Hemmer (BLI) begonnen werden. Bei Allergie oder schweren Verläufen erfolgt die Initialtherapie mit einem Cephalosporin (Cefuroxim-Axetil, Loracarbef, Cefpodoxim-Proxetil), einem Makrolid, Telithromycin oder alternativ Levofloxacin oder Moxifloxacin. Die Fluorchinolone sind nicht für die akute Otitis media im Erwachsenenalter zugelassen. Es muss ein Off-Label-Use dokumentiert werden. Als Therapiedauer werden 5 bis 10 Tage empfohlen.

Die Otitis media chronica tritt als Folge von Tubenventilationsstörungen auf. Bei der chronischen Form überwiegen als Erreger Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus aureus und Anaerobier. Dies wird bei der Empfehlung zur empirischen antiinfektiven Therapie mit Ceftazidim oder Cefepim, Piperacillin/Tazobactam oder Ciprofloxacin bzw. Levofloxacin berücksichtigt. Cephalosporine und Fluorchinolone werden gegebenenfalls mit Clindamycin kombiniert. Von den genannten Substanzgruppen stehen nur die Fluorchinolone und Clindamycin in der oralen Form zur Verfügung. Eine zusätzliche antibiotische bzw. antientzündliche Lokaltherapie unterstützt den Heilungsprozess, sehr häufig ist allerdings eine chirurgische Sanierung insbesondere bei Knochenbeteiligung notwendig.

Otitis externa diffusa

Die Otitis externa diffusa wird meist durch Pseudomonas aeruginosa, Proteus spp., Streptokokken oder Staphylokokken hervorgerufen. Neben einer Spülung oder Reinigung des Gehörganges und einer lokalen antibiotischen und antientzündlichen Behandlung wird eine systemische Antibiotika-Therapie mit Piperacillin/Tazobactam, Cefepim, Ceftazidim, Ciprofloxacin oder Levofloxacin empfohlen.

Otitis externa maligna

Bei Patienten mit Abwehrschwäche (gehäuft bei älteren männlichen Diabetikern) kann es zur Ausbreitung einer Otitis externa mit einem Übergreifen auf Knochenstrukturen kommen. Erreger dieser Otitis externa maligna ist immer Pseudomonas aeruginosa. Eine Initialtherapie sollte daher mit Ciprofloxacin, Levofloxacin, Piperacillin, Ceftazidim, Cefepim, Imipenem/Cilastatin oder Meropenem begonnen werden. Bei Nicht-Ansprechen einer Monotherapie wird mit einem Aminoglykosid möglichst in der Einmal-Dosierung kombiniert.

Mastoiditis

Bei fortgeleiteter Otitis media kann die Entzündung auf die Schleimhäute des Processus mastoideus übergreifen. Als Erreger der Mastoiditis kommen daher ursächlich die Erreger in Betracht, die bereits die Primärinfektion verursacht haben. Es sind dies in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit Streptococcus pneumoniae, Streptococcus pyogenes, Haemophilus influenzae, Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa, Escherichia coli und Proteus mirabilis. Eine chirurgische Sanierung ist zwingend notwendig.

Für die initiale kalkulierte Therapie steht eine große Auswahl an Substanzen zur Verfügung: Ampicillin/Sulbactam, Amoxicillin/Clavulansäure, Cefuroxim, Cefotiam, Cefotaxim, Ceftriaxon, Ceftazidim, Cefepim, Levofloxacin, Moxifloxacin, Piperacillin/Tazobactam oder Ertapenem. Die Antibiotika-Therapie wird nach dem Ergebnis der mikrobiologischen Diagnostik korrigiert. Die Therapiedauer beträgt etwa 1 Woche.

Ohr-Perichondritis

Die häufigsten Erreger von Infektionen der Knorpelhaut im Ohrbereich sind Pseudomonas aeruginosa und Staphylococcus aureus. In schweren Fällen ist eine stationäre Behandlung erforderlich. Mittel der Wahl sind Piperacillin/Tazobactam, Cefepim, Imipenem/Cilastatin oder Meropenem. Alternativ kommen Ciprofloxacin, Ceftazidim oder Levofloxacin in Frage.

Gehörgangsfurunkel

Das Gehörgangsfurunkel wird in der Regel durch Staphylococcus aureus verursacht. Antibiotika der Wahl sind daher Penicillinase-feste Penicilline wie die oralen Cephalosporine mit Staphylokokken-Wirksamkeit (Cefaclor, Cefuroxim-Axetil, Cefalexin, Cefradoxil, Loracarbef, Cefpodoxim-Proxetil) und Amoxicillin/Clavulansäure, Flucloxacillin oder Dicloxacillin.

Infektionen der Nase und deren Komplikationen (Tab. 2)

Rhinitis

Die Rhinitis wird in der Regel durch Viren verursacht. Sekundärinfektionen können durch Pneumokokken, Haemophilus influenzae oder Streptococcus pyogenes entstehen. Die Rhinitis ist eine der häufigsten Infektionen im HNO-Bereich und wird von den Patienten in den meisten Fällen nicht als Anlass zur Arztvisite genommen.

Die Rhinitis wird symptomatisch behandelt, eine antibiotische Therapie ist meist nicht erforderlich. Der weit verbreitete häufige Einsatz von Antibiotika ist insbesondere wegen des Risikos einer Resistenzentwicklung und dem Auftreten möglicher Nebenwirkungen abzulehnen. Der Einsatz von Antibiotika ist nur bei Risikopatienten, Säuglingen und Kleinkindern erwägenswert. Zum Einsatz kommen Phenoxymethylpenicillin, Cefuroxim-Axetil, Loracarbef und Makrolide oder Telithromycin in Form einer Kurzzeittherapie.

Akute Sinusitis

Bei viral-katarrhalischer Ursache werden in der Regel leichte Verlaufsformen beobachtet, bei bakteriell-purulenter Ursache leichte (selten), mittlere (häufig) und schwere (selten) Verlaufsformen. Neben einer möglichen antiinfektiven Therapie sollte immer symptomatisch behandelt werden, beispielsweise durch abschwellende Nasentropfen oder Sekretolytika. Eine Spülung der Kieferhöhlen ist manchmal sinnvoll.

Die Entzündung der Nasennebenhöhlenschleimhaut erfolgt primär immer durch eine Virusinfektion. In 20 bis 30 % der Fälle kommt es nach einer Latenzzeit von 7 bis 10 Tagen zu einer eitrigen Sinusitis. Die akute purulente Sinusitis findet sich nach neuesten epidemiologischen Studien in 12,8 Millionen Fällen pro Jahr in Deutschland. Die chronische Sinusitis ist in 20 % der Gesamtzahlen mit 3,2 Millionen Behandlungsfällen vertreten. Eine Sinusitis maxillaris kann auch dentogen durch Wurzelspitzengranulome oder penetrierendes Zahnfüllmaterial verursacht werden. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Behandlungsfälle ist sehr gering. Bei nosokomialen Sinusitiden durch Verlegung der Nasennebenhöhlenostien durch den Tubus muss an das Erregerspektrum der nosokomialen Pneumonie gedacht und entsprechend behandelt werden.

Purulent-bakterielle Sinusitis

Häufigste Erreger der akuten purulenten Sinusitis sind Streptococcus pneumoniae (35 %), Haemophilus influenzae (20 %) und deren Mischinfektionen (10 %). In seltenen Fällen (unter 5 %) liegen Moraxella catarrhalis, Staphylococcus aureus, Streptococcus pyogenes und Anaerobier der Mundflora vor.

Die Antibiotika-Therapie kann oral mit einem Beta-Lactam-Antibiotikum wie Amoxicillin ± BLI, Cefuroxim-Axetil oder Loracarbef, einem Makrolid (z. B. Clarithromycin, Azithromycin), Levofloxacin, Moxifloxacin oder Telithromycin durchgeführt werden. Alternativ kann auch Doxycyclin verordnet werden.

Eine Therapie der akut-eitrigen Sinusitis sollte nach neuesten Überlegungen Risiko-gestuft erfolgen. Bei der viralen Rhinosinusitis ist die Therapie symptomatisch. Bei der einfachen purulenten Sinusitis beim jüngeren Patienten ohne Komorbidität sowie bei Kindern sollte die Primärtherapie mit Amoxicillin oder bei Allergie alternativ mit Telithromycin oder im Alter über 18 Jahren mit Fluorochinolonen durchgeführt werden.

Bei älteren Patienten über 65 Jahre und/oder Risikofaktoren kardialer oder pulmonaler Natur sollte zur Reduzierung zu erwartender Komplikationen primär mit Fluorochinolonen der Gruppe 3/4 oder alternativ Beta-Lactam-geschützten Aminopenicillinen, Telithromycin, Clarithromycin oder Oralcephalosporinen (Cefuroxim-Axetil, Loracarbef, Cefpodoxim-Proxetil) behandelt werden.

Chronische Sinusitis

Bei der chronischen Sinusitis (Krankheitsdauer > 8 Wochen oder mehr als 4 Episoden pro Jahr mit verbleibender Restsymptomatik im entzündungsfreien Intervall) sind neben den Leitkeimen der akut-eitrigen Sinusitis besonders Staphylococcus aureus, verschiedene Enterobacteriaceae, seltener Pseudomonas aeruginosa als auch Anaerobier der Mundflora zu bedenken. Die kalkulierte Initialtherapie entspricht der der akuten eitrigen Sinusitis, wobei schon die Primärtherapie Inhibitor-geschütztes Amoxicillin, Cephalosporine der Gruppe 2, Telithromycin oder Levofloxacin bzw. Moxifloxacin erfordert.

Die permanente Basissymptomatik ist der Behandlung mit topischen Corticoiden zugänglich. In besonderen Fällen ist eine chirurgische Behandlung erforderlich.

Sinusitis mit orbitalen Komplikationen

Eine abszedierende Sinusitis chronica oder acuta mit orbitalen Komplikationen erfordert bei Erwachsenen immer einen chirurgischen Eingriff. Leitkeime sind Staphylococcus aureus, Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis, Klebsiella pneumoniae, Pseudomonas aeruginosa und Anaerobier. Eine Antibiotika-Therapie sollte zumindest initial immer parenteral erfolgen. Empfohlen werden Inhibitor-geschützte Acylamino- und Aminopenicilline (Piperacillin/Tazobactam, Amoxicillin/Clavulansäure, Ampicillin/Sulbactam) oder die Carbapeneme Imipenem/Cilastatin, Meropenem und Ertapenem. Bei Einsatz von Cefotaxim oder Ceftriaxon sollte möglichst mit Clindamycin oder Metronidazol kombiniert werden. In schweren Fällen wird zusätzlich ein Aminoglykosid oder Fluorchinolon (Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin) gegeben. Die Sequenztherapie mit Moxifloxacin ist bei der Sinusitis mit orbitalen Komplikationen eine ausgezeichnete Therapieoption. Die Therapiedauer beträgt etwa 1 Woche.

Orbitalphlegmone

Die Orbitalphlegmone ist die schwerste Form der Sinusitis mit orbitalen Komplikationen. Die orbitale Phlegmone ist eine akute Weichgewebeinfektion der Augenhöhle. Meist handelt es sich um eine fortgeleitete Infektion der Nasennebenhöhlen, vereinzelt sind dentale oder intrakranielle Infektionen der Ausgangspunkt. In selteneren Fällen können auch Traumen, operative Eingriffe oder eine Dakryozystitis die Ursache sein. Wegen einer möglichen intrakraniellen Ausbreitung der Infektion besteht akute Lebensgefahr. Ein Fortschreiten der Infektion führt zur Ausbildung von Abszessen und einer Osteomyelitis, eine Erblindung ist möglich. Als Erreger kommen meist Bakterien, seltener Pilze in Frage. Bakterielle Mischinfektionen sind häufig. Leitkeime sind Staphylococcus aureus, Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis, Klebsiella pneumoniae, Pseudomonas aeruginosa und Anaerobier. Eine Antibiotika-Therapie sollte zumindest initial immer parenteral erfolgen.

Empfohlen werden Inhibitor-geschützte Acylamino- und Aminopenicilline (Piperacillin/Tazobactam, Amoxicillin/Clavulansäure, Ampicillin/Sulbactam) oder die Carbapeneme Imipenem/Cilastatin, Meropenem und Ertapenem. Bei Einsatz von Cefotaxim oder Ceftriaxon sollte möglichst mit Clindamycin oder Metronidazol kombiniert werden. Die Therapiedauer beträgt etwa 2 Wochen. In schweren Fällen wird zusätzlich ein Aminoglykosid oder Fluorchinolon (Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin) gegeben.

Stirnbeinosteomyelitis

Fortgeleitete Infektionen mit Knochenbefall des Stirnbeins werden meist durch Staphylococcus aureus, Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae oder Pseudomonas verursacht. Es besteht immer die Indikation zur Operation. Die antimikrobielle Behandlung der Stirnbeinosteomyelitis erfolgt initial mit einem Aminopenicillin/BLI (Ampicillin/Sulbactam, Amoxicillin/Clavulansäure) einem Isoxazolylpenicillin wie Flucloxacillin oder Oxacillin, Cefuroxim oder Cefotiam gegebenenfalls in Kombination mit Clindamycin oder Metronidazol und bei Verdacht auf Pseudomonas auch mit Ciprofloxacin oder Levofloxacin.

In schweren Fällen werden Beta-Lactam-Antibiotika mit einem Aminoglykosid oder Fluorchinolon kombiniert. Die Behandlung erfolgt über einen Zeitraum von etwa 6 Wochen.

Eine mikrobiologische Diagnostik des Punktionsmaterials aus dem Sinus, des Sekrets der chirurgischen Drainage und das Anlegen von Blutkulturen sind unbedingt erforderlich. Nach dem Erhalt des mikrobiologischen Untersuchungsergebnisses sollte eine gezielte Therapie durchgeführt werden.

Nasenfurunkel

Der Erreger ist ausschließlich Staphylococcus aureus. In schwerer Form ist eine stationäre Behandlung wegen der Gefahr der Thrombose der V. angularis mit fortgeleiteter Sepsis zum Sinus cavernosus erforderlich. Neben der möglichen chirurgischen Therapie der V. angularis (Unterbindung) ist die Behandlung mit Beta-Lactamase-stabilen Substanzen wie Flucloxacillin, Dicloxacillin, Cefaclor oder Amoxicillin/Clavulansäure zu empfehlen, falls notwendig in parenteraler Form (Flucloxacillin, Oxacillin, Cefazolin, Ampicillin/Sulbactam, Amoxicillin/Clavulansäure).

Infektionen des Halses und der Mundregion (Tab. 3)

Epiglottitis acuta

Eine akute Epiglottitis tritt vornehmlich bei Kindern, seltener bei Erwachsenen auf. Meist handelt es sich um ein akutes, schweres Krankheitsbild mit rascher Progredienz, das wegen der Gefahr einer Obstruktion einer sofortigen stationären intensivmedizinischen Überwachung mit der Möglichkeit einer Intubation oder Tracheotomie bedarf. Bei Erwachsenen kommen als Erreger Streptococcus pyogenes, Haemophilus influenzae Typ B, Staphylococcus aureus, Streptococcus pneumoniae und sehr selten Haemophilus parainfluenzae vor. Zur kalkulierten Therapie werden Cephalosporine wie Cefotaxim, Ceftriaxon, Cefuroxim oder Cefotiam empfohlen. In Frage kommt auch Inhibitor-geschütztes Ampicillin oder Amoxicillin. Die Erkrankung ist heute wegen der Immunisierung gegen Haemophilus influenzae Typ B selten geworden.

Tonsillitis acuta

Die Entzündung der Tonsillen wird sehr häufig je nach Literatur zwischen 50 bis 90 % durch Viren verursacht. Die purulent-bakterielle Form liegt zwischen 10 bis 50 %. Die häufigsten Erreger sind Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A, die auch Scharlach verursachen können. Der Unterschied liegt in der Toxinbildung, so dass die Diagnose nur klinisch erfolgen kann.

Heute findet eine Inflation der Scharlach-Diagnose statt, die nicht gerechtfertigt ist. Sie hat lediglich den Grund, die Mütter der Kinder zum Gebrauch der Antibiotika zu animieren.

Ein Rachenabstrich kann durchgeführt werden, ist jedoch nicht wichtig, da jedes gebräuchliche Antibiotikum gegen Streptokokken der Gruppe A wirksam ist. Wichtig sind Therapieversager (10 bis 20%), bei denen an Haemophilus influenzae gedacht werden muss und die eine entsprechende Antibiose erfordern. Eine inadäquate Therapie führt in seltenen Fällen zur Ausbildung des rheumatischen Fiebers oder einer Post-Streptokokken-Nephritis. Daher muss jede Streptokokken-Infektion der Tonsillen ausreichend antibiotisch behandelt werden. Die antiinfektive Therapie kann oral mit Phenoxymethylpenicillin erfolgen, wobei es jedoch in 10 bis 30 % der Fälle zu Therapieversagern kommt. Als Ursachen hierfür werden vor allem unzureichende Compliance, Streptokokken-Penicillintoleranz, das Vorkommen von Haemophilus influenzae oder der so genannte „Badewanneneffekt“ durch simultan vorkommende Beta-Lactamase-produzierende Saprophyten diskutiert. Bei Therapieversagern bieten sich Cephalosporine wie Cefuroxim-Axetil, Loracarbef oder Cephalosporine Gruppe 3, Makrolide, Telithromycin oder Amoxicillin an. Tritt nach Amoxicillin ein Hautausschlag auf, handelt es sich um eine Mononukleose und damit um den Beweis einer Fehldiagnose der eitrigen Tonsillitis.

Die Therapiedauer sollte bei Penicillin 10 Tage nicht unterschreiten (Compliance sicherstellen!), bei Cephalosporinen und Aminopenicillinen ist eine erfolgreiche Therapie über 5 Tage durch Studien gesichert. Eine große Studie der DGPI mit Cephalosporinen und Makroliden mit über 5 000 Patienten (Kindern) hat gezeigt, dass bei den oben genannten Substanzen einschließlich der Makrolide die 5-Tages-Therapie einer Therapie mit Phenoxymethylpenicillin über 10 Tage äquivalent ist.

Peritonsillarabszess

Bei Infektionen des Bindegewebes der oberen Mandelbucht liegt häufig eine aerob-anaerobe Mischinfektion vor. Neben Streptococcus pyogenes werden auch Staphylokokken und Anaerobier nachgewiesen. Wegen der möglichen Streuung mit septischen Fernmetastasen oder auch einer lokalen Abszessbildung ist die peri- und postoperative Behandlung indiziert, und zwar primär intravenös mit den Cephalosporinen der Gruppe 1 oder 2 (Cefazolin, Cefuroxim, Cefotiam) in Kombination mit Clindamycin. Eine weitere Therapieoption besteht in der Gabe von Aminopenicillinen/BLI (Ampicillin/Sulbactam, Amoxicillin/Clavulansäure), Erythromycin, Clarithromycin oder Azithromycin.

Als Sequenztherapie kann am 2. oder 3. Tag mit der üblichen oralen Tonsillitisbehandlung – Phenoxymethylpenicillin, Cephalosporine, Ketolide, Makrolide – begonnen werden.

Mundbodenphlegmone

Die Mundbodenphlegmone ist häufig eine odontogene Infektion. Sie wird obligat chirurgisch durch Sanierung des Ausgangsherds der Infektion behandelt. Häufigste Erreger sind Streptococcus pyogenes, Staphylococcus aureus und Anaerobier. Die empirische antibiotische Initialtherapie sollte zumindest initial parenteral erfolgen. Sie kann mit Clindamycin oder einem Aminopenicillin/BLI (Ampicillin/Sulbactam, Amoxicillin/Clavulansäure) erfolgen. Alternativ können Benzylpenicillin oder Cephalosporine der Gruppe 1 oder 2 (Cefazolin, Cefuroxim, Cefotiam) jeweils in Kombination mit Clindamycin eingesetzt werden. Die weitere antibiotische Therapie sollte sich an dem Ergebnis der mikrobiologischen Diagnostik orientieren. Die Therapiedauer sollte 10 Tage nicht überschreiten.

Sialadenitis (Glandula submandibularis, Glandula parotis)

Sialadenitiden sind insgesamt häufige Erkrankungen, die aber oft nur mit leichten Krankheitsbildern einhergehen. Haupterreger sind neben einer viralen Ursache (meist Mumps- oder Parainfluenza Viren) bei Erwachsenen eher Staphylokokken und Streptokokken, seltener Anaerobier. Bakterielle Infektionen kommen vorzugsweise bei stationär behandelten, älteren oder mangelernährten Patienten vor. Schwere bakterielle Infektionen der Speicheldrüsen und Kopfspeicheldrüsen müssen intravenös antibiotisch behandelt werden. Die Therapie erfolgt mit Cephalosporinen der Gruppe 1 oder 2 (Cefazolin, Cefuroxim, Cefotiam), Clindamycin oder Inhibitor-geschützten Aminopenicillinen (Ampicillin/Sulbactam, Amoxicillin/Clavulansäure).

Diphtherie

Die Diphtherie wird durch das Corynebacterium diphtheriae verursacht, ein grampositives Stäbchenbakterium, das durch die Produktion von Toxinen ein besonders schweres Krankheitsbild verursachen kann.

Eine Grundimmunisierung mit dem Diphtherie-Toxoid wird bereits im frühen Kindesalter empfohlen. Eine Auffrischungsimpfung ist etwa alle 10 Jahre notwendig, wird aber nicht konsequent durchgeführt. In Deutschland beträgt die Häufigkeit weniger als 10 Fälle pro Jahr, kleinere Epidemien sind möglich.

Es besteht bei Krankheit und Tod eine Meldepflicht. Bereits bei Verdacht auf Diphtherie ist eine sofortige Einweisung in das Krankenhaus und die Isolierung des Patienten erforderlich. Die mikrobiologische Diagnostik durch ein Direktpräparat (Abstrich unter der Pseudomembran) und eine Kultur ist zwingend vorgeschrieben. Die Therapie erfolgt gezielt mit parenteral appliziertem Erythromycin oder Benzylpenicillin und der umgehenden Applikation eines Diphtherie-Antitoxins. Bei persistierender Erkrankung wird eine Tonsillektomie durchgeführt.

Literatur

In der Originalpublikation: Edition Arzneimitteltherapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2005.

*Edition Arzneimitteltherapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2005

Prof. Dr. med. Friedrich Vogel, Med. Klinik III, Kliniken des Main-Taunus-Kreises, Lindenstr. 10, 65719 Hofheim/Taunus, E-Mail: f.vogel@kliniken-mtk.com
Dr. med. Klaus-F. Bodmann, Medizinische Klinik I, Klinikum Hildesheim, Weinberg 1, 31134 Hildesheim, E-Mail: bodmanns_world@t-online.de

Tab. 1. Kalkulierte Initialtherapie von Ohrinfektionen (EG = Empfehlungsgrad)

Diagnose

Häufigste Erreger

Initialtherapie

Therapie-
dauer

EG

Otitis media acuta

Streptococcus pneumoniae

Haemophilus influenzae

Streptococcus pyogenes

Staphylococcus aureus

Moraxella catarrhalis

Cefuroxim-Axetil, Loracarbef

Cefpodoxim-Proxetil

Amoxicillin ± BLI

Makrolide

Telithromycin

Levofloxacin, Moxifloxacin

5 bis 10 Tage

A

A

A

A

A

A

Otitis media chronica

Pseudomonas aeruginosa

Staphylococcus aureus

Anaerobier

Ceftazidim ± Clindamycin

Cefepim

Piperacillin/Tazobactam

Ciprofloxacin, Levofloxacin ± Clindamycin

Etwa 5 Tage

A

Otitis externa diffusa

Pseudomonas aeruginosa

Proteus spp.

Streptococcus pyogenes

Staphylococcus aureus

Ceftazidim

Cefepim

Piperacillin/Tazobactam

Ciprofloxacin, Levofloxacin

Etwa 7 Tage

A

A

A

A

Otitis externa maligna

Pseudomonas aeruginosa

Ciprofloxacin, Levofloxacin oder

Piperacillin oder

Ceftazidim oder

Cefepim oder

Imipenem/Cilastatin, Meropenem jeweils

± Aminoglykosid

Bis zu 6
Monate
(Sequenz-
therapie)

A

A

A

A

A

A

Mastoiditis

Streptococcus pneumoniae

Streptococcus pyogenes

Haemophilus influenzae

Staphylococcus aureus

Pseudomonasaeruginosa

Proteus mirabilis

Ampicillin/Sulbactam, Amoxicillin/Clavulansäure

Cefuroxim, Cefotiam

Cefotaxim, Ceftriaxon

Ceftazidim

Cefepim

Piperacillin/Tazobactam

Levofloxacin, Moxifloxacin

Ertapenem

Etwa 7 Tage

A

A

A

A

A

A

A

A

Perichondritis

Pseudomonas aeruginosa

Staphylococcus aureus

Piperacillin/Tazobactam

Ceftazidim

Cefepim

Imipenem/Cilastatin, Meropenem

Ciprofloxacin, Levofloxacin

Etwa 10 Tage

A

A

A

A

A

Gehörgangs-furunkel

Staphylococcus aureus

Flucloxacillin, Dicloxacillin

Cefaclor, Cefalexin, Cefadroxil

Cefuroxim-Axetil, Loracarbef

Cefpodoxim-Proxetil

Amoxicillin/Clavulansäure

Etwa 10 Tage

B

Tab. 2. Kalkulierte Initialtherapie von Naseninfektionen (EG = Empfehlungsgrad)

Diagnose

Bakterielle Erreger

Kalkulierte Initialtherapie

Therapiedauer

EG

Purulent bakterielle Sinusitis

Streptococcus pneumoniae

Haemophilus influenzae

Moraxella catarrhalis
Staphylococcus aureus

Streptococcus pyogenes Anaerobier

Amoxicillin ± BLI

Cefuroxim-Axetil, Loracarbef

Cefpodoxim-Proxetil

Clarithromycin, Azithromycin

Levofloxacin, Moxifloxacin

Telithromycin

Dentogene Ursache: Clindamycin

5–10 Tage

A

A

A

A

A

Chronische

Sinusitis

Staphylococcus aureus

Streptococcus pneumoniae

Haemophilus influenzae

Enterobakterien

Anaerobier

In Einzelfällen:

Pseudomonas aeruginosa

Pilze

Häufig Mischinfektionen!

Amoxicillin/Clavulansäure, Ampicillin/Sulbactam

Cefuroxim-Axetil, Loracarbef

Levofloxacin, Moxifloxacin

Dentogene Ursache: Clindamycin

14 Tage

A

A

A

Sinusitis mit

orbitalen

Komplikationen

Staphylococcus aureus

Streptococcus pneumoniae

Haemophilus influenzae

Moraxella catarrhalis

Klebsiella pneumoniae

Pseudomonas aeruginosa

Anaerobier

Piperacillin/Tazobactam

Amoxicillin/Clavulansäure, Ampicillin/Sulbactam

Cefotaxim, Ceftriaxon ± Clindamycin oder Metronidazol

Imipenem/Cilastatin, Meropenem

Ertapenem

In schweren Fällen + Aminoglykosid oder Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin

C

Orbitalphlegmone

Staphylococcus aureus

Streptococcus pneumoniae

Haemophilus influenzae

Moraxella catarrhalis

Klebsiella pneumoniae

Pseudomonas aeruginosa

Anaerobier

Piperacillin/Tazobactam

Amoxicillin/Clavulansäure, Ampicillin/Sulbactam

Cefotaxim, Ceftriaxon ± Clindamycin oder Metronidazol

Imipenem/Cilastatin, Meropenem

Ertapenem

In schweren Fällen + Aminoglykosid oder Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin

Operation

C

Stirnbeinosteomyelitis

Staphylococcus aureus

Streptococcus pneumoniae

Haemophilus influenzae

Pseudomonas aeruginosa

Ampicillin/Sulbactam, Amoxicillin/Clavulansäure

Flucloxacillin, Oxacillin

Cefuroxim, Cefotiam +

Clindamycin oder Metronidazol

In schweren Fällen

+ Aminoglykosid oder

Ciprofloxacin, Levofloxacin

Etwa 6 Wochen

Operation

Sequenztherapie!

B

B

C

Nasenfurunkel

Staphylococcus aureus

Flucloxacillin, Dicloxacillin

Cefaclor

Amoxicillin/Clavulansäure

Etwa 1 Woche

C

C

C

Tab. 3. Kalkulierte Initialtherapie von Hals-, Mund-, Racheninfektionen (EG = Empfehlungsgrad)

Diagnose

Häufigste Erreger

Initialtherapie

Therapiedauer

EG

Epiglottitis

Streptococcus pyogenes

Haemophilus influenzae Typ B

Staphylococcus aureus

Streptococcus pneumoniae

Haemophilus parainfluenzae

Cefuroxim, Cefotiam

Cefotaxim, Ceftriaxon

Aminopenicillin/BLI

Etwa 10 Tage

B

B

B

Tonsillitis acuta

Streptococcus pyogenes

Haemophilus influenzae

Phenoxymethylpenicillin

Cefuroxim-Axetil, Loracarbef

Amoxicillin

Clarithromycin, Azithromycin

Telithromycin

10 Tage

5 Tage

A

A

A

A

A

Peritonsillar-

abszess

Streptococcus pyogenes

Staphylokokken

Anaerobier

Cefazolin oder

Cefuroxim, Cefotiam jeweils

+ Clindamycin

Ampicillin/Sulbactam, Amoxicillin/Clavulansäure

Erythromycin, Clarithromycin, Azithromycin

Telithromycin

Sequenztherapie mit
Phenoxymethylpenicillin

1 bis 2 Tage, dann orale Sequenztherapie 8 bis 9 Tage

C

Mundboden-phlegmone

Streptococcus pyogenes

Staphylococcus aureus

Anaerobier

Ampicillin/BLI, Amoxicillin/Clavulansäure

Clindamycin

Benzylpenicillin oder

Cefazolin oder

Cefuroxim, Cefotiam jeweils

+ Clindamycin

Ertapenem

Etwa 10 Tage

C

Sialadenitis

Staphylokokken

Streptokokken

Anaerobier (seltener)

Meist viral

Cefazolin

Cefuroxim, Cefotiam

Clindamycin

Ampicillin/BLI, Amoxicillin/Clavulansäure

5 bis 8 Tage

C

Diphtherie

Corynebactererium

diphtheriae

Benzylpenicillin

Erythromycin

A

A

Arzneimitteltherapie 2005; 23(09)