Prädiabetes und Diabetes mellitus Typ 2

Acarbose senkt kardiovaskuläres Risiko


Dr. Annemarie Musch, Stuttgart

Die Therapie mit Acarbose führte bei Patienten mit Prädiabetes und Diabetes mellitus Typ 2 im Vergleich zu Plazebo zu einer deutlichen Reduktion des Risikos kardiovaskulärer Ereignisse. Ein Einsatz des Alpha-Glucosidase-Inhibitors in der Prävention von Diabetes mellitus und diabetischer Folgeerkrankungen scheint möglich.

Die diabetische Makroangiopathie zählt zu den diabetischen Spätschäden, ist aber keine rein Diabetes-assoziierte Erkrankung, sondern entspricht der Atherosklerose bei Nicht-Diabetikern. Allerdings treten die makrovaskulären Veränderungen bei Diabetikern zumeist früher auf und sind stärker ausgeprägt. Das kardiovaskuläre Risiko von Diabetikern ist erhöht, es kommt vermehrt zu Herzinfarkten, arterieller Verschlusskrankheit und Schlaganfällen. Als Risikofaktor gilt das metabolische Syndrom. Einen weiteren unabhängigen Risikofaktor scheinen Hyperglykämien, insbesondere die postprandiale Hyperglykämie, darzustellen.

So können bereits bei einer gestörten Glucose-Toleranz – beim so genannten Prädiabetes – vaskuläre Veränderungen hervorgerufen werden und das Risiko für kardiovasuläre Ereignisse erhöht sein. Vermutet wird eine Beeinträchtigung der Endothelfunktion durch verschiedene Hyperglykämie-induzierte Pathomechanismen (z. B. oxidativer Stress).

Alpha-Glucosidase-Inhibitoren hemmen die enzymatische Spaltung von Oligo- und Disacchariden im Dünndarm reversibel, wodurch die Resorption von Kohlenhydraten verzögert und insbesondere die postprandiale Hyperglykämie verhindert wird.

In einer systematischen Analyse 41 verschiedener Studien, in denen die Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Monotherapie mit Alpha-Glucosidase-Inhibitoren (30 Acarbose [Glucobay®], 7 Miglitol [Diastabol®], 1 Voglibose [nicht in Deutschland] und 3 Kombinationen) bei Typ-2-Diabetikern untersucht wurde, konnte gezeigt werden, dass diese Substanzklasse günstige Effekte sowohl auf den Nüchtern- als auch den postprandialen Blutzucker-Spiegel besitzt (Cochrane Review).

Nun wurde der Nutzen einer Therapie mit Acarbose (einem Pseudotetrasaccharid) in der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse bei Patienten mit gestörter Glucose-Toleranz und Typ-2-Diabetikern untersucht.

1 429 Patienten (40–70 Jahre) mit gestörter Glucose-Toleranz (entsprechend WHO-Kriterien und mit Nüchtern-Blutzucker-Werten zwischen 100 und 140 mg/dl) wurden in einer multizentrischen, doppelblinden Studie randomisiert zwei Behandlungs-Gruppen zugewiesen (Study to prevent non insulin dependent diabetes mellitus, STOP-NIDDM):

  • Acarbose-Gruppe (714 Patienten, Daten von 682 Patienten analysiert): Dreimal täglich 100 mg Acarbose
  • Plazebo-Gruppe (715 Patienten, Daten von 686 Patienten analysiert)

Die Patienten waren angehalten, Diät zu halten und sich körperlich zu betätigen. Alle drei Monate wurden Blutzucker-Werte, Blutdruck und unerwünschte Ereignisse dokumentiert. Die Nachbeobachtungsdauer der Studie betrug durchschnittlich 3,3 Jahre. Primäre Studienziele waren die Entwicklung einer Hypertonie (≥ 140/90 mmHg) und das Auftreten schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse. 211 Patienten der Acarbose- und 130 Patienten der Plazebo-Gruppe brachen die Therapie vorzeitig ab, wurden aber dennoch weiter beobachtet. Häufigste Ursache für einen Abbruch waren Flatulenz, Durchfall oder abdominelle Schmerzen.

Die Behandlung der Patienten mit Acarbose führte im Vergleich zu Plazebo

  • zu einer signifikanten Reduktion neu entwickelter Hypertonie bei den Patienten (78 Patienten der Acarbose-Gruppe versus 115 Patienten der Plazebo-Gruppe, nach Adjustierung auf andere Risikofaktoren zu Beginn der Studie p = 0,004), sowie
  • zu einer signifikanten Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse (insgesamt 84 klinisch manifeste Ereignisse bei 47 Patienten: 15 Patienten der Acarbose-Gruppe versus 32 Patienten der Plazebo-Gruppe, nach Adjustierung auf andere Risikofaktoren zu Beginn der Studie p = 0,02) (Abb. 1).

Ein direkter Zusammenhang zwischen Risikoreduktion und Beeinflussung postprandialer Hyperglykämie kann hier nicht direkt geschlussfolgert werden, scheint aber entsprechend weiterer Daten, wie beispielsweise die Verringerung von oxidativem Stress unter der Therapie mit Acarbose, denkbar.

In einer Metaanalyse (Metaanalysis of risk improvement under acarbose, MERIA) wurden 7 randomisierte, doppelblinde Studien, in denen 2 180 Typ-2-Diabetiker entweder Acarbose (1248 Patienten) oder Plazebo (932 Patienten) für mindestens 52 Wochen einnahmen, zusammengefasst: Primär wurde das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse untersucht. Die Acarbose-Einnahme erfolgte dreimal täglich, wobei die Dosis schrittweise in einem Zeitraum von 3 bis 8 Wochen gesteigert wurde (50 bis 100 und teilweise 200 mg). Die Patienten beider Behandlungs-Gruppen waren vergleichbar in den Punkten bisher erlittene kardiovaskuläre Ereignisse und Begleitmedikation zur Behandlung des Diabetes mellitus oder kardiovaskulärer Erkrankungen.

Bei Typ-2-Diabetikern, die mit Acarbose behandelt wurden, traten insgesamt signifikant weniger kardiovaskuläre Ereignisse (76 Ereignisse) auf als in der Plazebo-Gruppe (88 Ereignisse, p = 0,0061) (Abb. 2), dieser Effekt zeigte sich insbesondere für das Erleiden eines Myokardinfarkts. Weiterhin konnte eine signifikante Verbesserung der Stoffwechsel-Parameter, wie beispielsweise Nüchtern- und postprandiale Blutzucker-Spiegel oder Triglycerid-Spiegel, unter der Therapie mit Acarbose nachgewiesen werden. Zu den unerwünschten Wirkungen zählten auch hier überwiegend gastrointestinale Störungen.

Fazit: Diese Daten lassen einen positiven Effekt einer Acarbose-Therapie sowohl bei Typ-2-Diabetikern als auch bei Patienten mit gestörter Glucose-Toleranz vermuten: Zusätzlich zu der positiven Beeinflussung des Blutzucker-Stoffwechsels, vermutlich aber auch aufgrund dieser Effekte – insbesondere auf die postprandiale Hyperglykämie – konnte eine Reduktion des Risikos kardiovaskulärer Ereignisse gezeigt werden. Möglicherweise könnte diese Therapie also nicht nur der – laut Kosten-Nutzen-Analysen – kosteneffektiven Prävention des Diabetes mellitus, sondern auch der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse dienen: Den zugrunde liegenden makrovaskulären Veränderungen, die bereits bei gestörter Glucose-Toleranz und Hyperglykämien aufzutreten scheinen, könnte bereits in frühem Stadium vorgebeugt werden. Allerdings ist Acarbose bislang nicht für diese Indikationen zugelassen. Weiterhin sollte nach wie vor eine konsequente Änderung der Lebensgewohnheiten fester Bestandteil in der Prävention des Diabetes mellitus sein.

Quelle

Prof. Dr. med. Markolf Hanefeld, Dresden, Dr. med. Andreas Liebl, Bad Heilbrunn, Dr. med. Rolf Renner, München, Dr. med. Stefan Carl, Emmendingen, Prof. Dr. med. Thomas Haak, Bad Mergentheim, Frühstückssymposium „Therapie des Typ 2-Diabetes – Wissenschaft und Wirklichkeit“, veranstaltet von der Bayer Vital GmbH im Rahmen der 40. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, Berlin, 5. Mai 2005.

Abb. 1. Kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit gestörter Glucose-Toleranz unter der Therapie mit Acarbose oder Plazebo [nach Chiasson JL, et al.]

Abb. 2. Einfluss einer Therapie mit Acarbose oder Plazebo auf das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse bei Typ-2-Diabetikern [nach Hanefeld M., et al.]

Arzneimitteltherapie 2005; 23(10)