Richard Fux, Klaus Mörike, Tübingen, Udo-Frank Gundel, Reutlingen, Rüdiger Hartmann, Münsingen, und Christoph H. Gleiter, Tübingen
Ezetimib (Ezetrol®) ist als selektiver Cholesterol-Resorptionshemmer zur Behandlung der primären Hypercholesterolämie, der familiären homozygoten Hypercholesterolämie und der homozygoten Sitosterinämie zugelassen. Ezetimib wird in der Praxis meist in Kombination mit einem CSE-Hemmer („Statin“) verordnet.
Das myotoxische Potenzial der CSE-Hemmer reicht von asymptomatischen Creatinkinase-(CK-)Erhöhungen über Myalgien bis hin zu Rhabdomyolysen [1]. Die Häufigkeit dieser unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) liegt bei 1 bis 7 % [1–3], für Fibrate wird sie etwa 5- bis 6-mal höher geschätzt [3, 4]. Unter CSE-Hemmern sind in Einzelfällen auch Tendinopathien aufgetreten [5].
Für Ezetimib allein sind diese Nebenwirkungen nicht beschrieben [6–12] oder sie unterscheiden sich in ihrer Häufigkeit nicht von Plazebo [13–17].
Fallberichte
Im Rahmen unseres Pharmakotherapie-Beratungsdienstes wurde über folgende zwei Patienten berichtet. In beiden Fällen wurden CK-Erhöhungen beobachtet, nachdem Ezetimib zusätzlich zu einer vorbestehenden CSE-Hemmer-Therapie gegeben worden war. Einer der Patienten zeigte darüber hinaus starke Muskel- und Sehnenschmerzen. Nähere Einzelheiten enthält unsere Originalpublikation [18].
Fall 1
Ein 43-jähriger Patient suchte wegen starker Schmerzen in beiden Oberschenkeln und Achillessehnen seinen Hausarzt auf. Die CK-Serumaktivität war mit 223 U/l erhöht (obere Normgrenze: 80 U/l). 18 Monate zuvor hatte er einen Myokardinfarkt erlitten. Aufgrund einer familiären Hypercholesterolämie mit Cholesterol-Werten um 500 mg/dl (unbehandelt) war eine Therapie mit hoch dosiertem Atorvastatin (80 mg/Tag) begonnen worden. Bei Routinebesuchen war die CK-Serumaktivität jeweils unauffällig (etwa 30 U/l) gewesen. Aufgrund einer unzureichenden Cholesterol-Senkung (auf etwa 240 mg/dl) war 3 Wochen vor dem Beginn der Muskel- und Sehnenschmerzen eine zusätzliche Therapie mit Ezetimib (10 mg/Tag) begonnen worden.
Beide Arzneimittel wurden nun abgesetzt, die Schmerzen verschwanden darauf rasch, und die CK-Serumaktivität normalisierte sich im Laufe von 5 Tagen. 3 Wochen später wurde erneut eine Behandlung mit Atorvastatin (80 mg/Tag) begonnen. Danach wurden weder Muskel- oder Sehnenschmerzen noch CK-Anstiege beobachtet.
Fall 2
Bei einem 52-jährigen Patienten wurde während einer hausärztlichen Routine-Untersuchung eine erhöhte CK-Serumaktivität (153 U/l) festgestellt, die ohne Muskelbeschwerden einherging. Frühere CK-Werte lagen nicht vor. Der Patient nahm seit 8 Monaten Fluvastatin (80 mg/Tag) aufgrund einer Hypercholesterolämie und seit 8 Wochen zusätzlich Ezetimib (10 mg/Tag) ein. Nach dem Absetzen von Ezetimib nahm die CK-Serumaktivität innerhalb von 2 Wochen auf 91 U/l ab und normalisierte sich nach weiteren 2 Wochen (auf 65 U/l). Die Fluvastatin-Therapie wurde kontinuierlich fortgeführt, und es wurden keine UAW oder weiteren CK-Anstiege beobachtet.
Zusammenfassung der beiden Fallberichte
In beiden Fällen wurden Arzneimittelnebenwirkungen (CK-Anstieg mit und ohne Myalgie) beobachtet, die für CSE-Hemmer bekannt sind, bislang jedoch nicht für Ezetimib. Die Nebenwirkungen traten auf, nachdem zusätzlich zum CSE-Hemmer eine Ezetimib-Behandlung begonnen worden war. Folgende Punkte sprechen für eine ursächliche Beteiligung von Ezetimib:
(a) Zeitlicher Zusammenhang mit der Zugabe von Ezetimib,
(b) Rückbildung der Symptome nach Absetzen von Ezetimib und
(c) Fortbestehen normaler CK-Werte bei Wiedereinführung (Fall 1) bzw. Fortsetzung (Fall 2) der CSE-Hemmer-Monotherapie.
Aktueller Stand des Wissens
Seit 2001 sind Ergebnisse aus einer Vielzahl von Studien zu Ezetimib veröffentlicht worden, bei denen die lipidsenkende Wirkung primäres Studienziel war. In mehreren großen Studien, in denen 951, 379, 274, 204 bzw. 201 Patienten Ezetimib 10 mg/Tag und einen CSE-Hemmer erhielten, wurden keine Muskelsymptome oder laborchemische Anzeichen (in der Regel als CK-Erhöhung über das 10-fache der oberen Normgrenze definiert) berichtet [6, 12, 13, 16, 19].
In weiteren sieben Studien wurde zwar über Muskelsymptome bei Behandlung mit einer Kombination aus Ezetimib 10 mg/Tag und einem CSE-Hemmer berichtet, die Häufigkeit unterschied sich jedoch nicht von den Personen, die einen CSE-Hemmer allein, Ezetimib allein oder Plazebo erhalten hatten. In drei 14-tägigen Interaktionsstudien mit gesunden Teilnehmern traten Myalgien auf; und zwar jeweils in
- 1 von 35 Fällen (2,9 %; Ezetimib 10 mg/Tag und Simvastatin 10 mg/Tag [9]),
- in 2 von 32 Fällen (6,3 %; Ezetimib 10 bzw. 20 mg/Tag und Lovastatin 40 bzw. 20 mg/Tag [20]) und
- in 2 von 12 Fällen (16,7 %; Ezetimib 10 mg/Tag und Rosuvastatin 10 mg/Tag [17]).
Bei 3 von 925 Patienten (0,3 %), die mit Ezetimib 10 mg/Tag und einem beliebigen CSE-Hemmer behandelt wurden, traten klinische Symptome (Myalgie, Muskelschwäche, Muskelkrämpfe) ohne eine CK-Erhöhung über das 10-fache der oberen Normgrenze auf [11]. Bei 2 von 353 Patienten (0,6 %), die Ezetimib 10 mg/Tag und Simvastatin einnahmen, wurden CK-Anstiege über das 10-fache der oberen Normgrenze ohne muskuläre Beschwerden beobachtet [8]. Von 255 Patienten, die mit Ezetimib 10 mg/Tag und Atorvastatin in unterschiedlichen Dosen behandelt wurden, wurde bei einem Patienten (0,4%) unter Ezetimib und Atorvastatin (40 mg/Tag) über Myalgien sowie einen CK-Anstieg auf > 5 000 U/l berichtet [14]. Von 192 Patienten, die Ezetimib 10 mg/Tag und Lovastatin erhielten, klagten sieben (3,6 %) über muskuloskelettale Beschwerden [10].
Nach einer Übersichtsarbeit von 2002, in der die bis dahin erschienenen Studien mit über 1 100 untersuchten Patienten zusammenfassend kommentiert wurden, lag die Häufigkeit unerwünschter muskuloskelettaler Ereignisse bei einer Kombinationstherapie (CSE-Hemmer plus Ezetimib) bei 4,9 %, bei Monotherapie mit einem CSE-Hemmer allein bei 4,5 % und mit Ezetimib bei 3,2 % [21].
Versucht man aus diesen Daten die NNH (number needed to harm) zu berechnen, so kommt man zu dem Ergebnis, dass 250 Patienten zusätzlich zum CSE-Hemmer mit Ezetimib behandelt werden müssen, damit ein Patient ein muskuloskelettales Ereignis erleidet. (Diese Zahl ist gleich dem Kehrwert der absoluten Risikozunahme von 0,4 % unter CSE-Hemmer plus Ezetimib im Vergleich zum CSE-Hemmer allein.) Allerdings ist die Aussagekraft dieser Zahlen gering, da der Behandlungszeitraum nur 12 Wochen umfasst.
Die genaue Berechnung der Häufigkeit muskuloskelettaler Ereignisse ist schwierig, da in den publizierten Studien keine Intervalle für regelmäßige Kontrollen vorgegeben waren oder entsprechende Angaben zu Kontrollintervallen fehlen. Abgesehen von Interaktionsstudien mit gesunden Probanden [9, 17, 20], ist nicht ersichtlich, wie systematisch nach klinischen und laborchemischen Zeichen einer Myopathie gesucht wurde. Denn die bisherigen Studien waren primär auf die lipidsenkende Wirkung und nicht auf die Bestimmung klinischer und laborchemischer Myopathie-Befunde ausgerichtet, so dass die statistische Aussagekraft dafür zu gering ist. Zusammenfassend lässt sich die Frage, ob Ezetimib bei Zugabe zu einem CSE-Hemmer das Risiko für Myopathien erhöht, bislang durch Daten aus publizierten Studien nicht beantworten.
Die klinische Bedeutung des Zusammenwirkens zwischen Ezetimib und CSE-Hemmern wird durch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) betont [22]. Bis März 2004 lagen der AkdÄ 15 Berichte über eine Myopathie oder eine Myalgie, mit oder ohne CK-Erhöhungen, unter Ezetimib vor. In zehn dieser Fälle wurde gleichzeitig mit einem CSE-Hemmer behandelt. Die von uns berichteten Fälle sind darin enthalten. In diesem Zusammenhang gibt es auch einen Warnhinweis, den das kanadische Bundesministerium Anfang 2005 herausgegeben hat [23]. Auch hier sind Berichte über Myalgien und Rhabdomyolysen eingegangen, die unter Ezetimib allein oder in Kombination mit einem CSE-Hemmer aufgetreten sind.
Eine Kausalbeziehung zwischen Myopathie und einer Kombinationstherapie mit Ezetimib und CSE-Hemmer lässt sich bislang nicht etablieren; aufgrund dieser Unklarheit sollten bei der gleichzeitigen Gabe von Ezetimib mit einem CSE-Hemmer engmaschigere CK-Kontrollen erwogen werden. Prospektive Studien zu dieser Nebenwirkung sind wünschenswert.
Neben CSE-Hemmern können auch Fibrate zu einer Myopathie führen. Die verfügbaren Daten legen nahe, dass das Myopathie-Risiko unter einer CSE-Hemmer-Fibrat-Kombination höher ist als unter einer Monotherapie mit CSE-Hemmern [24, 25]. In Einzelfällen sind auch für die Kombination aus Niacin mit einem CSE-Hemmer (Lovastatin, Pravastatin oder Simvastatin) Myopathien und Rhabdomyolysen beschrieben worden [3, 26].
Die Pathogenese der Myopathie unter lipidsenkenden Substanzen ist nicht geklärt. Möglicherweise spielen Störungen im intramitochondrialen Fettstoffwechsel eine Rolle. Dies geht auf eine Untersuchung an Patienten zurück, bei denen Arzneimittel-induzierte Myopathien aufgetreten sind [27]. Da offensichtlich Lipidsenker aus verschiedenen Substanzklassen (mit unterschiedlichen Wirkungsmechanismen) damit in Zusammenhang stehen [28], kommt möglicherweise die Lipidsenkung per se als entscheidender pathogenetischer Faktor in Betracht.
Finanzierung
Der Pharmakotherapie-Beratungsdienst der Abteilung Klinische Pharmakologie wird von den Kassenärztlichen Vereinigungen Südwürttemberg und Südbaden unterstützt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF; FKZ 01EC0001) förderte den Beratungsdienst von Oktober 2000 bis Mai 2004.
Literatur
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22. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Myopathien bzw. Leberreaktionen unter Ezetimib (Ezetrol®). Dtsch Ärztebl 2004;101:A959.
23. Association of Ezetrol® (ezetimibe) with myalgia, rhabdomyolysis, hepatitis, pancreatitis, and thrombocytopenia. http://www.hc-sc.gc.ca/hpfb-dgpsa/tpd-dpt/ezetrol_pa_e.pdf; date: Feb-01, 2005.
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28. Schneider J, Mühlfellner G, Kaffarnik H. Creatinekinase in hyperlipoproteinemic patients treated with clofibrate. Artery 1980;8:164–70.
Dr. med. Richard Fux, Priv.-Doz. Dr. med. Klaus Mörike, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Abteilung Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Tübingen, Otfried-Müller-Str. 45, 72076 Tübingen
Dr. med. Udo-Frank Gundel, Praxis für Allgemeinmedizin, Römersteinstr. 4, 72766 Reutlingen-Sondelfingen
Dr. med. Rüdiger Hartmann, Praxis für Allgemeinmedizin, Bismarckstr. 4, 72525 Münsingen
Prof. Dr. med. Christoph H. Gleiter, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Abteilung Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Tübingen, Otfried-Müller-Str. 45, 72076 Tübingen, E-Mail: christoph.gleiter@med.uni-tuebingen.de
Arzneimitteltherapie 2005; 23(10)