Kardiovaskuläre Ereignisse

Niedrig dosierte Acetylsalicylsäure zur Primärprävention bei Frauen


Prof. Dr. Hans Christoph Diener, Essen

Niedrig dosierte Acetylsalicylsäure vermag in der Primärprävention vaskulärer Ereignisse bei Frauen das Schlaganfallrisiko, aber nicht das Herzinfarktrisiko zu senken.

Der Nutzen von Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin®) in der Sekundärprävention nach transitorischer ischämischer Attacke (TIA), Schlaganfall, bei Angina pectoris und nach einem Myokardinfarkt ist gesichert. Unsicher ist bisher die Rolle, die Acetylsalicylsäure in der Primärprävention vaskulärer Ereignisse, insbesondere des Schlaganfalls, einnimmt. Die bisher durchgeführten Studien wurden überwiegend oder ausschließlich mit Männern durchgeführt und zeigten, dass Acetylsalicylsäure (ASS) zwar das Risiko vaskulärer Ereignisse verringert, gleichzeitig aber die Zahl von Blutungsereignissen, insbesondere zerebralen Blutungen erhöht. Acetylsalicylsäure wurde deshalb bisher nicht in der Primärprävention des Schlaganfalls empfohlen.

Die Women’s Health Study ist die bisher größte Primärpräventionsstudie zum Einsatz von Acetylsalicylsäure bei Frauen. In die Studie wurden 39 876 Frauen im Alter über 45 Jahre aufgenommen, die zum Zeitpunkt des Einschlusses in die Studie gesund waren, also kein vaskuläres Ereignis und keine vaskuläre Erkrankung aufwiesen. 19 934 Patientinnen wurden mit 100 mg Acetylsalicylsäure jeden 2. Tag behandelt, 19 942 mit Plazebo. Die Studie erstreckte sich über 10 Jahre, und einmal jährlich wurden die Patientinnen nach vaskulären Ereignissen befragt. Der primäre Endpunkt der Studie war das erste kardiovaskuläre Ereignis (nicht tödlicher Herzinfarkt, nicht tödlicher Schlaganfall oder vaskulärer Tod). Das mittlere Alter der Teilnehmerinnen betrug bei Studienbeginn 55 Jahre. 13 % der Frauen rauchten, 18 % waren deutlich übergewichtig, 26 % hatten eine arterielle Hypertonie und 30 % erhielten eine Hormonersatztherapie nach der Menopause.

Während der Studie traten in der Acetylsalicylsäure-Gruppe 477 kardiovaskuläre Endpunkte auf, in der Plazebo-Gruppe 522. Die relative Risikoreduktion betrug 9 % und war nicht signifikant. In der Acetylsalicylsäure-Gruppe kam es zu 221 Schlaganfällen, in der Plazebo-Gruppe zu 266 Schlaganfällen. Dies entspricht einer relativen Risikoreduktion von 17 % bei einem p-Wert von 0,04. Der Nutzen beschränkte sich allerdings auf ischämische Infarkte. In der Acetylsalicylsäure-Gruppe traten 51 zerebrale Blutungen auf, in der Plazebo-Gruppe 41. Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. In Bezug auf Myokardinfarkte und vaskuläre Todesfälle ergab sich kein Unterschied zwischen den beiden Behandlungsgruppen.

Das Risiko gastrointestinaler Blutungen war unter Acetylsalicylsäure um den Faktor 1,4 erhöht. So kam es zu 127 schweren Blutungen unter Acetylsalicylsäure und 91 unter Plazebo. Auch Magen-Darm-Ulzera waren in der Acetylsalicylsäure-Gruppe signifikant häufiger.

Subgruppenanalysen zeigten, dass der höchste Nutzen von Acetylsalicylsäure bei Frauen im Alter über 65 Jahren zu verzeichnen war.

Kommentar

Die Women’s Health Study ist die bisher größte Primärpräventionsstudie bei Frauen über 45 Jahren. Die Studie zeigt eindeutig, dass Frauen bezüglich der Schlaganfallprävention von Acetylsalicylsäure profitieren, bezüglich der Prävention von Myokardinfarkten nicht. Eine Metaanalyse aller bisher durchgeführten Studien zeigt bei Männern das entgegengesetzte Ergebnis. Nimmt man die 5 bisher durchgeführten Primärpräventionsstudien zusammen, kommt es bei Männern zu einer 32%igen relativen Risikoreduktion in Bezug auf Herzinfarkte und zu einer 13%igen Zunahme von Schlaganfällen (Abb. 1).

Diese Unterschiede der Effekte zwischen Männern und Frauen sind biologisch schwer zu erklären. Die Women’s Health Study unterscheidet sich von den Studien bei Männern auch dadurch, dass hier der Nutzen der Acetylsalicylsäure-Behandlung nicht durch eine signifikant erhöhte Rate an zerebralen Blutungen wieder aufgehoben wurde. Ein möglicher Faktor, der hier nicht untersucht wurde, ist der Alkoholkonsum, der bei Frauen in der Regel geringer ist als bei Männern. Regelmäßiger Alkoholkonsum erhöht das Risiko von Blutungskomplikationen bei der Einnahme von Acetylsalicylsäure.

Zusammengefasst besteht also sowohl für Männer wie für Frauen ein geringer präventiver Nutzen von Acetylsalicylsäure in der Primärprävention vaskulärer Ereignisse, wobei bei Frauen Schlaganfälle und bei Männern Herzinfarkte verhindert werden.

Quelle

Ridker PM, et al. A randomized trial of low-dose aspirin in the primary prevention of cardiovascular disease in women. N Engl J Med 2005;352:1293–304.

Abb. 1. Primärpräventiver Nutzen von Acetylsalicylsäure bei Männern und Frauen (BDT = British doctor’s trial, PHS = Physicians’ health study, TPT = Thrombosis prevention trial, HOT = Hypertension optimal treatment, PPP = Primary prevention project, WHS = Women’s health study)

Arzneimitteltherapie 2005; 23(10)