Dr. Annemarie Musch, Stuttgart
Die Thiazolidindione – Pioglitazon (Actos®) und Rosiglitazon (Avandia®) – sind orale Antidiabetika, die aufgrund ihres Wirkungsmechanismus und ihrer Wirkung als „Insulin-Sensitizer“ bezeichnet werden. Diese Arzneistoffe können die Insulin-Resistenz bei Typ-2-Diabetikern verringern. Thiazolidindione sind zu gelassen für die Monotherapie und die Kombinationstherapie mit anderen oralen Antidiabetika, sofern mit diesen kein ausreichender Therapieerfolg erzielt werden konnte oder Kontraindikationen bestanden. Kontraindiziert ist die Kombination mit Insulin. Als Nebenwirkungen wurden unter anderem Gewichtszunahme und Flüssigkeitsretention beobachtet. In Deutschland sind diese Arzneistoffe daher bei Herzinsuffizienz kontraindiziert. Kontraindiziert sind sie ebenfalls bei Leberinsuffizienz, eine Kontrolle der Leberfunktion bei einer Therapie wird empfohlen.
Thiazolidindione sind Agonisten am Peroxisomen Proliferator-aktivierten Rezeptor gamma (PPAR-γ), einem intrazellulären, Transkriptions-regulierenden Rezeptor, der überwiegend im Fettgewebe exprimiert wird, daneben aber auch in der Muskulatur, verschiedenen Organen des Verdauungstrakts (z. B. Darm, Leber und Pankreas), in den Nieren und der Gefäßwand nachgewiesen wurde. Die Stimulation dieser Rezeptoren durch Thiazolidindione führt zu einer Beeinflussung sowohl
- des Kohlenhydrat-Stoffwechsels (beispielsweise gesenkter Nüchternblutzucker-Spiegel und HbA1c-Wert) als auch
- des Lipid-Stoffwechsels (unter anderem gesenkte Triglycerid-Spiegel und gesenkte Konzentration an freien Fettsäuren im Serum sowie gesteigerter HDL-Cholesterol-Wert).
Weiterhin wurde eine Regulation der Zytokin-Produktion, wie beispielsweise eine reduzierte Expression von Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α), der von Fettzellen vermehrt gebildet wird und unter anderem Insulin-Resistenz-fördernd zu wirken scheint, nachgewiesen. Insgesamt kann die Insulin-Sensitivität von Typ-2-Diabetikern durch diese Therapie gesteigert werden.
Da die Insulin-Resistenz nicht mehr allein als pathophysiologische Grundlage des Diabetes mellitus Typ II gesehen wird, die zusammen mit anderen Risikofaktoren zu einem gesteigerten Risiko für kardiovaskuläre Folgeerkrankungen bei diesen Patienten beiträgt, sondern darüber hinaus ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen zu sein scheint, könnte der Therapie mit Thiazolidindionen zusätzliche Bedeutung zukommen.
Günstige zusätzliche Effekte der Thiazolidindione konnten bislang unter anderem auf verschiedene Vorgänge bei der Atherogenese gezeigt werden.
Die Atherosklerose entwickelt sich bei Typ-2-Diabetikern aufgrund der häufig umfassenden metabolischen Störungen (Hyperglykämie, Hyperinsulinämie, Dyslipidämie, endotheliale Dysfunktion und Gerinnungsstörungen) sehr früh. Auch scheinen in diesem Zusammenhang insbesondere die nicht-enzymatisch glykosylierten Proteine („advanced glycosylated end-products“, AGE) eine Rolle zu spielen. Diese glykosylierten Proteine binden an spezielle Rezeptorstrukturen auf den Gefäßendothelzellen (RAGE) und führen zu einer Aktivierung von nukleärem Faktor kappaB (NFκB) und so beispielsweise zu einer Induktion proinflammatorischer Zytokine oder von Adhäsionsmolekülen.
In der Frühphase der Atherogenese bewirkten Thiazolidindione in vitro eine verminderte Expression dieser speziellen Rezeptorstrukturen (RAGE) für nicht-enzymatisch glykosylierte Proteine auf Endothelzellen, wodurch eine Aktivierung und Rekrutierung von Monozyten und T-Lymphozyten reduziert werden könnte.
Eine weitere Verstärkung des Entzündungsprozesses könnte später bei Vorliegen erster früher Läsionen (Fettstreifen) verhindert werden: In vitro wurde nachgewiesen, dass Thiazolidindione die Aktivierung von T-Lymphozyten in der Gefäßwand und somit unter anderem die Produktion weiterer proinflammatorischer Zytokine verhindern können. Ebenfalls scheinen die Arzneistoffe die Migration von glatten Muskelzellen aus der Media in die Intima hemmen zu können.
In der späten Phase der Atherogenese schließlich verhinderten Thiazolidindione in vitro den Abbau der fibrösen Kappe durch proteolytische Enzyme, wie beispielsweise der Matrixmetalloprotease 9 (MMP-9), und somit die Umwandlung stabiler Plaques in instabile Plaques.
In verschiedenen klinischen Studien wurden diese positiven Effekte auf die Atherogenese bei Typ-2-Diabetikern untersucht, wobei die Therapie mit Thiazolidindionen unter Anderem
- zu einer Verbesserung der endothelialen Dysfunktion führte (gemessen beispielsweise an der Zunahme der endothelabhängigen Vasodilatation)
- zu einer Verminderung inflammatorischer Surrogatparameter führte (z. B. Reduktion der Serumspiegel von C-reaktivem Protein)
- zu einer Reduktion des Atheroskleroseausmaß führte (Abnahme der Intima-Media-Dicke)
Vermutet wird hier ein von der Wirkung auf den Kohlenhydrat-Stoffwechsel unabhängiger, direkter Effekt der Thiazolidindione. Diese möglichen positiven Beeinflussungen kardiovaskulärer Folgeerkrankungen bei Diabetes mellitus durch Thiazolidindione müssen jedoch zunächst in derzeit laufenden prospektiven Langzeitstudien bestätigt werden (z. B. PROactice „Prospective actos clinical trial in macro vascular events“).
Quelle
Prof. Dr. med. Erland Erdmann (Köln), Prof. Dr. med. Nikolaus Marx, Ulm, Priv.-Doz. Dr. med. Jochen Seufert, Würzburg, Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Forst, Mainz, Dr. Georg Lübben, Aachen, Satelliten-Symposium der „Glitazone 2005 – Der Countdown für die kardiovaskuläre Dimension läuft!“, veranstaltet von der Takeda Pharma GmbH anlässlich der 40. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft, Berlin, 4. Mai 2005.
Arzneimitteltherapie 2005; 23(10)