Pflaster, Tablette oder Inhalation?


Neue Applikationsformen für Insulin

Bericht von Susanne Heinzl, Stuttgart

Patienten mit Diabetes mellitus sind durch eine Vielzahl von mikro- und makrovaskulären Komplikationen gefährdet. Eine rechtzeitige und konsequente Therapie reduziert die Komplikationsrate und kann möglicherweise das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten. Die parenterale Gabe von Insulin setzt jedoch eine erhöhte Compliance von Arzt und Patient voraus, daher wird intensiv nach alternativen Insulin-Zubereitungen gesucht, die diese Applikationsform umgehen können. Am weitesten entwickelt ist die Inhalation.
Arzneimitteltherapie 2005;23:352–4.

Erhalt der Betazell-Funktion

Im Verlauf des Diabetes mellitus nimmt die Funktion der pankreatischen Betazellen immer stärker ab, wobei bislang unbekannt ist, ab welchem Zeitpunkt oder ab welchem Funktionsdefizit sich für den Patienten klinische Folgen bemerkbar machen. Auch die Betazell-Masse sinkt im Verlauf der Erkrankung. Für die frühe Insulin-Therapie bei Typ-2-Diabetikern wird postuliert, dass sie die Betazell-Funktion bewahrt, was anhand verschiedener Parameter in unterschiedlichen Studien nachgewiesen wurde. Bislang liegen Daten aus vier klinischen Studien vor, die auf eine Verbesserung oder eine Erhaltung der Betazell-Funktion durch eine frühe intensive Insulin-Behandlung hinweisen. Allerdings sind alle vier Studien unkontrolliert durchgeführt worden. In über lange Zeit angelegten kontrollierten Studien muss nun gezeigt werden, dass eine dauerhafte glykämische Kontrolle nach initialer intensiver Insulin-Therapie mit niedrig dosierter Basalinsulin-Behandlung oder mit Insulin zu den Mahlzeiten erreicht werden kann.

Verringerung kardiovaskulärer Risikofaktoren

Eine weitere wichtige Frage ist, ob Insulin und Insulinsensitizer kardiovaskuläre Risikofaktoren verringern können. Insulin hat neben der Blutzuckersenkung eine Reihe weiterer Wirkungen (Abb. 1), unter anderem kann es auch Entzündungsreaktionen und oxidativen Stress verringern. Insulin induziert beispielsweise die Freisetzung von endothelialem NO und verstärkt die Expression der NO-Synthase. Es vermindert die Konzentration von Plasma-Tissue-Faktor und verringert die Produktion verschiedener Matrix-Metalloproteinasen. Bei Herzinfarkt und bei Nicht-Diabetikern kommt es bei Insulin-Gabe zu einer Senkung der Konzentration von C-reaktivem Protein (CRP) und des PAI-1-Werts (Plasminogenaktivator-Inhibitor), hier sind die Ergebnisse aber noch uneinheitlich.

Insulin und Compliance

Der Anwendung von Insulin stehen jedoch einige Faktoren entgegen:

  • Für eine optimale Stoffwechselkontrolle sind teilweise mehrfach tägliche Injektionen erforderlich
  • Patientenwiderstand mit Non-Compliance, Angst vor der Spritze und vor Schmerzen
  • Ärztlicher Widerstand mit Mangel an Zeit um eine intensive Therapie zu planen und zu begleiten
  • Gewichtszunahme

Eine Querschnittstudie in Deutschland zeigte, dass ein Drittel der Typ-2-Diabetiker einer Insulin-Therapie ablehnend gegenüber stehen. Ein wichtiger Grund für die Ablehnung war neben der Spritzenangst, die mangelnde Kenntnis der positiven Wirkungen von Insulin auf die Lebensqualität der Patienten.

Die Herausforderung der Insulin-Therapie ist es, möglichst die physiologische Insulin-Sekretion im 24-Stunden-Profil nachzuahmen. Derzeit ist die parenterale Gabe, also die Injektion, die einzig verfügbare Applikationsart für Insulin. Verschiedene Optionen werden jedoch geprüft und entwickelt, um die Hautbarriere zu umgehen.

Pens, Pflaster, Nasenspray

So wird die Applikation von Insulin durch Pens schon sehr erleichtert, inadäquate Mischungen können jedoch hier ein Problem sein. So genannte Jet-Injektoren können ähnliche Missempfindungen wie Injektionen hervorrufen, zudem kann sich die Absorptionsrate von Insulin ändern.

Der Resorption über die Haut bedienen sich Verfahren wie Pflaster (transdermale Systeme), die sich derzeit in der klinischen Entwicklung befinden. Insulin kann mit Hilfe von Iontophorese, niedrig frequentem Ultraschall oder Wärmeenergie möglicherweise durch die Haut in den systemischen Kreislauf transportiert werden. Phosphatidylcholin-basierte Carrier sind die so genannten Transferosomen, die Insulin als „Transfersulin“ durch die Haut transportieren sollen.

Eine weitere neue Methode der Insulin-Zufuhr ist beispielsweise das intranasale Insulin. Es hat einen raschen Wirkungseintritt und kann nach bisherigen Untersuchungen die Hyperglykämie signifikant verringern. Probleme sind vor allem eine Irritation der Nasenschleimhaut bei gleichzeitig niedriger Bioverfügbarkeit des Insulins.

Um Insulin oral applizieren zu können, werden verschiedene Beschichtungsverfahren und Absorptionsförderer getestet. So wird beispielsweise eine Beschichtung mit Chitosan, ein Schutz mit Proteasehemmern oder eine Einbettung in Mikrosphären geprüft. Ein weiterer Versuch zur oralen Gabe ist die Verbesserung der Insulin-Permeabilität, indem das Molekül an Caproinsäure-Moleküle angeheftet wird.

Insulin zur Inhalation

Am weitesten fortgeschritten in der klinischen Prüfung ist die Insulin-Applikation über die Bronchial- und Lungenschleimhaut durch Inhalation. Beim Einsatz von inhalierbarem Insulin sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen wie

  • Partikelgröße, Partikeldichte, Partikelform
  • Zubereitung (Trockenpulver vs. Flüssigkeit)
  • Charakteristika des Applikators
  • Nebenwirkungsprofil
  • Begleitende Atemwegserkrankungen
  • Atemmuster des Patienten

Vorteile der Applikation über die Lunge sind die große Oberfläche in diesem Organ, die hohe Permeabilität, die niedrige Proteasekonzentration, das Fehlen einer First-Pass-Clearance und die akzeptable Bioverfügbarkeit.

Wirkungen auf den KohlenhydratStoffwechsel

Bisher vorliegende Daten zeigen, dass mit inhalierbarem Insulin bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 eine ähnlich gute Wirkung auf die Stoffwechselparameter wie Glucose-Konzentration und HbA1c-Wert erreicht werden kann, wie mit subkutan verabreichtem Insulin. In einer sechs Monate dauernden Studie bei Typ-2-Diabetikern erreichten mehr Patienten einen HbA1c-Wert unter 7 % mit inhalierbarem Insulin als Patienten mit subkutan appliziertem Insulin (Abb. 2). Beim Vergleich von inhalierbarem Insulin gegen eine Thiazolidindion-Therapie über 12 Wochen bei Patienten mit frühem Typ-2-Diabetes, die bisher nur durch Lebensstiländerung behandelt wurden, konnte bei 44 % der Insulin-behandelten Patienten ein HbA1c-Wert unter 7 % erreicht werden, mit den oralen Antidiabetika bei 17,9%. Auch in einer weiteren 12-Wochen-Studie im Vergleich zu Metformin und Sulfonylharnstoff wurde mit dem inhalierbaren Insulin häufiger ein HbA1c-Wert unter 7 % erreicht. Diese Daten zeigen, dass inhalierbares Insulin therapeutisch wirksamer als orale Antidiabetika ist und dass es mindestens gleich gut wirksam wie subkutanes Insulin den Stoffwechsel kontrolliert.

Die gepoolte Auswertung von zwei Phase-III-Studien mit 304 Typ-2-Diabetikern, die über zwei Jahre mit inhalierbarem Insulin plus orale Antidiabetika oder einem Nicht-Insulin als Antidiabetikum behandelt worden waren, zeigten, dass die Kombination mit Insulin zu einer kontinuierlich guten Blutzuckereinstellung führte (Tab. 1).

Zudem wurden mit diesem Therapieregime keine klinisch relevanten Änderungen der Lungenfunktion im Vergleich zu den nur oral behandelten Diabetikern beobachtet.

Für eine optimale Zufuhr von Insulin über die Lunge sollten die Partikel eine Größe zwischen 1 und 3 µm haben. Pulver hat den Vorteil, dass es keine kühle Lagerung benötigt und dass das mikrobielle Wachstum im Vergleich zu flüssigen Formen nur sehr gering ist.

Zur Frage der Dosierung von inhalierbarem Insulin liegen bislang keine umfangreichen Daten vor. Auf jeden Fall sind wegen der schlechteren Bioverfügbarkeit höhere Dosierungen erforderlich. In zwei randomisierten, offenen Phase-II-Studien lagen die mittleren täglichen Dosen bei 12,2 mg (äquivalent zu 36,6 I. E. subkutanem Insulin) und 14,6 mg (äquivalent zu 43,8 I. E. subkutanem Insulin).

Offenbar ist auch geplant, die Dosierung von inhalierbarem Insulin in mg und nicht in I. E. anzugeben, wodurch die Gefahr besteht, dass der Patient verunsichert wird.

Sicherheit und Verträglichkeit

Fragen zur Sicherheit des inhalierten Insulins konzentrierten sich zunächst auf den Respirationstrakt. In der Lunge wird jedoch das Insulin über eine so große Fläche verteilt, dass dieses Organ keinen höheren Konzentrationen ausgesetzt ist als nach einer subkutanen Injektion. Tiertoxikologische Untersuchungen haben auch keinerlei Hinweise auf toxische Effekte gezeigt.

Bisher abgeschlossene Phase-II- und Phase-III-Studien bis zu einer Dauer von vier Jahren mit inhalierbarem Insulin zeigten, dass es in der Lungenfunktion nur zu geringen und nicht weiter fortschreitenden Veränderungen kam, die nach Absetzen auch einer Langzeittherapie reversibel waren. Wenn Veränderungen der Lungenfunktion auftreten, treten sie rasch auf, stabilisieren sich dann und verschwinden nach Beendigung der Therapie. Weitere Studien sind erforderlich um die Mechanismen, die diesen Veränderungen zugrunde liegen, besser zu verstehen.

Die häufigste Nebenwirkung an den Atemwegen bei der Anwendung von inhalierbarem Insulin war Husten. Der Husten wird im Allgemeinen als leicht bis mäßig schwer charakterisiert, er nimmt über die Zeit ab und ist nicht mit einer deutlichen Verminderung der Lungenfunktion verknüpft.

Bei Patienten mit Atemwegsinfektionen nimmt die Wirksamkeit von inhaliertem Insulin nicht ab, es kann jedoch zu einer Zunahme der Nebenwirkungen kommen. Bei Patienten mit Asthma bronchiale ist aufgrund einer Verengung der Atemwege mit einer Änderung der Bioverfügbarkeit zu rechnen. Bei Rauchern ist die Bioverfügbarkeit erhöht, und zwar umso stärker, je länger der Patient raucht oder geraucht hat. Bei Rauchern ist inhalierbares Insulin kontraindiziert, da hier das Risiko der Hypoglykämie aufgrund der erhöhten Bioverfügbarkeit steigt.

Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1, die mit inhalierbarem Insulin behandelt wurden, kam es zu signifikant höheren Insulin-Antikörperspiegeln als bei Behandlung mit subkutanem Insulin. Allerdings bildete sich ein Konzentrationsplateau nach etwa sechs Monaten aus, der Antikörperspiegel stieg dann im Verlauf der weiteren Behandlung über 24 Monate nicht weiter. Die Antikörperbildung ist bei Abbruch der Therapie reversibel und zeigt keinen Zusammenhang mit der Lungenfunktion. Außerdem wurde festgestellt, dass die Insulin-Antikörper nicht mit der Stoffwechselkontrolle interferieren, die Wirkung auf HbA1c, nüchtern und postprandial gemessene Glucosespiegel, Hyperglykämie und Insulin-Dosis war nicht nachzuweisen.

Das inhalierbare Insulin Exubera®, entwickelt von sanofi-aventis und Pfizer Pharma, ist ein Insulin-Pulver, das vor den Mahlzeiten inhaliert wird. Es wird mit einem speziellen Inhalator, der von Nektar Therapeutics entwickelt und patentiert wurde, appliziert. Die Zulassung für dieses Insulin ist in den USA und in der EU zur Behandlung erwachsener Typ-1- und Typ-2-Diabetiker beantragt.

Quellen

Prof. Dr. Julian Rosenstock, Prof. Dr. Vivian Fonseca, Symposium „Paradigm shifts in the management of type 2 diabetes“, 65. Jahrestagung der American Diabetes Association, 11. Juni 2005.

Prof. Dr. Richard M. Bergenstal, Prof. Dr. Joseph D. Brain, Symposium „Inhaled insulin: an approach to overcoming patient and physician challenges to glycemic control“, 65. Jahrestagung der American Diabetes Association, San Diego, 13. Juni 2005.

Cefalu WT, et al. Long term use of Exubera in type 2 diabetes: observation on glycemic control pulmonary function and antibody formation. 65. Jahrestagung der American Diabetes Association, San Diego, 14. Juni 2005.

Dumas R, Krasner AS, England RD, Rirese RJ et al. Immunologic response to Exubera® in patients with type 1 diabetes is not associated with functional evidence of airway sensitization. 65. Jahrestagung der American Diabetes Association, San Diego, 11. bis 14. Juni 2005.

Crispin A, Weitkunat R, Stridde E, Huppertz E, et al. Barrieren gegen Insulin bei Typ-2-Diabetikern in Deutschland. 40. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, Berlin, 4. bis 7. Mai 2005.

Barnett AH. Exubera inhaled insulin: a review. Int J Clin Pract 2004;58:394-401.

Scrip, 14. September 2005, 19.

Abb. 1. Wirkungen von Insulin, die zusätzlich zur Wirkung auf den Kohlenhydrat-Stoffwechsel auftreten

Dr. Susanne Heinzl, Redaktion Arzneimitteltherapie, Birkenwaldstr. 44, 70191 Stuttgart, E-Mail: sheinzl@wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de

Abb. 2. Wirkung von subkutan und inhaliertem Insulin auf den HbA1c-Wert nach sechs Monaten Behandlung [Hollander PA, et al. Diabetes Care 2004;27:2356–62].

Tab. 1. Wirkungen von inhalierbarem Insulin in zwei Phase-III-Studien im Vergleich zu nicht-insulinischen Antidiabetika

Inhalierbares Insulin (n = 158)

Vergleich
(n = 146)

HbA1c-Ausgangswert [%]

9,6

9,6

HbA1c-Endwert [%]

7,7

8,1

Hypoglykämie-Rate (Ereignisse pro Patientenmonat)

0,12

0,148

Änderung der FEV1

–0,077

–0,067

Arzneimitteltherapie 2005; 23(11)