Dr. Annemarie Musch, Stuttgart
Die Prävalenz der chronischen Hepatitis B liegt in Deutschland bei etwa 500 000 Infizierten.
Ziel der Therapie chronischer HBV-Infektionen ist, die Virusmenge im Körper so weit wie möglich zu senken, um das Fortschreiten der Erkrankung in der Leber zu unterdrücken. Als serologischer Marker dient der Nachweis von HBV-DNS. Bei HBeAg-positiven Patienten wird weiterhin eine HBeAg-Serokonversion angestrebt. Wird sie erreicht, ist ein anhaltender Nutzen der Therapie wahrscheinlicher.
Etwa 60 % der HBV-Infizierten – die Tendenz ist steigend – sind HBeAg-negativ. Sie haben meist eine ungünstigere Prognose, der Verlauf der Erkrankung ist schwerer als bei Patienten, die HBeAg-positiv sind. Bei HBeAg-negativen Patienten kann der Therapieendpunkt zusätzlich zu einer Reduktion der Virusmenge über eine Normalisierung der Transaminasen-Serumspiegel definiert werden.
Für die Therapie chronischer HBV-Infektionen sind derzeit immunmodulatorisch und antiviral wirkende Substanzen (Interferon alfa, Peginterferon alfa) sowie antivirale Arzneistoffe (Nucleosid- sowie Nucleotid-Analoga) zugelassen.
Interferon alfa (alfa-2a – Roferon®, alfa-2b – IntronA®) war zunächst die einzige wirksame Behandlungsoption chronischer HBV-Infektionen. Die Zulassung von pegyliertem Interferon alfa-2a (Peginterferon alfa-2a, Pegasys®) ermöglicht gegenüber Standard-Interferon insgesamt eine wirksamere Therapie und erleichtert sie zugleich durch eine reduzierte Applikationshäufigkeit. In einer Phase-II-Studie mit 194 HBeAg-positiven Patienten wurde durch die Behandlung mit pegyliertem Interferon alfa-2a im Vergleich zur Behandlung mit Standard-Interferon ein signifikant besseres Ansprechen erreicht – das kombinierte Ansprechen (HBeAg-Verlust, Reduktion/Normalisierung der HBV-DNS- und Transaminasen-Serumspiegel) war doppelt so hoch (p = 0,036). Die Patienten wurden hierbei über 24 Wochen behandelt (180 µg/Woche Peginterferon alfa-2a und 3 x 4,5 MIU/Woche Interferon alfa-2a) und für weitere 24 Wochen nachbeobachtet.
Ebenfalls bei HBeAg-positiven Patienten (n = 814) wurde in einer Phase-III-Studie nach 48 Wochen Behandlung und 24 Wochen Nachbeobachtung gezeigt, dass die Therapie mit Peginterferon alfa-2a (180µg/Woche) zu signifikant besseren Ergebnissen bei der HBV-DNS-Reduktion (< 10 000 Kopien/ml) und HBeAg-Serokonversion führte, als die Therapie mit Lamivudin allein (32 vs. 19 %, 32 vs. 22 %; p<0,001, p = 0,01). Die Kombination von Peginterferon alfa-2a und Lamivudin führte zu keinem zusätzlichen Nutzen.
Vergleichbar gute Ergebnisse wurden in einer Phase-III-Studie mit HBeAg-negativen Patienten nachgewiesen.
Ein klarer Vorteil der Interferon-Therapie liegt in der Chance, ein anhaltendes Ansprechen bei den Patienten zu erreichen. Allerdings bestehen für den Einsatz von Interferonen verschiedene Kontraindikationen (z. B. dekompensierte Leberfunktion), und die Therapie kann zu unerwünschten Wirkungen wie grippeartigen Erscheinungen, Depressionen oder Haarausfall führen, was den Einsatz bei einer Therapiedauer von meist mindestens 6 Monaten erschwert.
Die Interferon-Therapie wird für junge motivierte Patienten mit chronischer HBV-Infektion (Genotyp A) empfohlen, die HBeAg-positiv sind, hohe Transaminasen und niedrige Viruskonzentrationen aufweisen. Die Therapie sollte zunächst für 6 Monate durchgeführt und dann nur bei einem Abfall der HBV-DNS weitergeführt werden. Andernfalls sollte die Therapie mit antiviralen Arzneistoffen fortgesetzt werden.
Demzufolge sollten bei allen anderen Patienten die zur Therapie chronischer HBV-Infektionen zugelassenen Virustatika Lamivudin (Nucleosid-Analogon, Zeffix®) und Adefovir (Nucleotid-Analogon, Hepsera®) eingesetzt werden. Beide Substanzen werden allgemein gut vertragen. Bei Adefovir besteht allerdings die Gefahr einer Nierenfunktions-Beeinträchtigung.
Lamivudin wird sowohl bei HBeAg-positiven als auch bei HBeAg-negativen Patienten der Vorzug gegeben. Die häufige Resistenzentwicklung bei der Therapie mit Lamivudin muss allerdings berücksichtigt werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Therapie über einen langen Zeitraum durchgeführt werden muss, um eine Langzeitsuppression zu erreichen: Resistenzen gegen Lamivudin sind nach 4 Jahren bei etwa zwei Dritteln der Behandelten nachweisbar. Als Folge steigt die Virusmenge erneut und die Erkrankung schreitet fort. Bei der Therapie mit Adefovir treten Resistenzen deutlicher seltener auf – bei 18 % der Behandelten nach 4 Jahren.
In einer randomisierten Plazebo-kontrollierten Studie mit 515 Patienten mit HBeAg-positiver chronischer Hepatitis B konnte für Adefovir in einer Dosierung von 10 oder 30 mg täglich eine deutliche Wirksamkeit im Vergleich zu Plazebo gezeigt werden. Nach 48 Wochen wurde unter anderem eine signifikante Reduktion der HBV-DNS- und Transaminasen-Serumspiegel sowie ein gestiegener Anteil an Patienten mit HBeAg-Serokonversion nachgewiesen. Für Adefovir 10 mg ergab sich das günstigere Nutzen-Risiko-Verhältnis bei mit Plazebo vergleichbarer Verträglichkeit der Therapie.
Adefovir 10 mg erhielten daraufhin 85 Patienten in einer sich anschließenden Langzeitstudie. Zwischenanalysen nach 96 und 144 Wochen liegen inzwischen vor. Sowohl nach 96 als auch nach 144 Wochen konnte bei einem jeweils gestiegenen Anteil von Patienten ein klinischer Nutzen gezeigt werden (Abb. 1). Der klinische Nutzen wurde über eine Reduktion der HBV-DNS- und Transaminasen-Serumspiegel (< 1 000 Kopien/ml und Normalisierung) sowie der HBeAg-Serokonversion gemessen. Nach Woche 96 und 144 erreichten jeweils 29 und 43 % der Patienten eine HBeAg-Serokonversion. Die Verträglichkeit war gut. Resistenzen wurden vereinzelt nachgewiesen.
Auch bei HBeAg-negativen Patienten konnte jetzt in einer Langzeitstudie gezeigt werden, dass der klinische Nutzen einer 48-wöchigen Behandlung mit Adefovir 10 mg bei fortgesetzter Therapie nach 144 Wochen anhält, während er bei Patienten ohne anschließende weitere Behandlung verloren ging (Abb. 2). Bei mit Adefovir 10 mg behandelten Patienten mit HBeAg-negativer chronischer Hepatitis B war in dieser randomisierten doppelblinden Plazebo-kontrollierten Studie (185 Patienten) nach 48 Wochen eine im Vergleich zu Plazebo signifikante histologische Verbesserung nachweisbar. Bei einem signifikant größeren Anteil dieser Patienten wurde weiterhin eine Normalisierung der Transaminasen und eine Reduktion der HBV-DNS festgestellt. Auch hier wurde eine mit Plazebo vergleichbare Verträglichkeit der Therapie beobachtet. Resistenzen wurden nach 144 Wochen bei 5,9 % der Patienten nachgewiesen.
In fortgeschrittenen Krankheitsstadien chronischer HBV-Infektionen ist eine mögliche Resistenzentwicklung gegen Lamivudin besonders kritisch, so dass hier eine primäre Behandlung mit Adefovir empfohlen wird.
Quellen
Prof. Dr. med. Stefan Zeuzem (Homburg/Saar), Priv.-Doz. Dr. med. Jörg Petersen (Hamburg) und Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Berg (Berlin). Satelliten-Symposium „Chronische Hepatitis B – Von alten Zöpfen und neuen Besen“ veranstaltet von der Gilead Science GmbH im Rahmen der 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten in Köln, 16. September 2005.
Cooksley WG, et al. Peginterferon alpha-2a (40 kDa): an advance in the treatment of hepatitis B e antigen-positive chronic hepatitis B. J Viral Hepat 2003;10:298–305.
Lau GK, et al. Peginterferon Alfa-2a, lamivudine, and the combination for HBeAg-positive chronic hepatitis B. N Engl J Med 2005;352:2682–95.
Marcellin P, et al. Peginterferon alfa-2a alone, lamivudine alone, and the two in combination in patients with HBeAg-negative chronic hepatitis B. N Engl J Med 2004;351:1206–17.
Marcellin P, et al. Long term efficacy and safety of adefovir dipivoxil (ADV) in HBeAg+ chronic hepatitis B patients: Increasing serologic, virologic and biochemical response over time. Hepatology 2004;40(Suppl1),655A:1135.
Hadziyannis SJ, et al. Long-term therapy with adefovir dipivoxil for HBeAg-negative chronic hepatitis B. N Engl J Med 2005;352:2673–81.

Abb. 1. Ansprechen auf die Langzeittherapie mit Adefovir 10 mg bei Patienten mit HBeAg-positiver chronischer Hepatitis B – gemessen an der Reduktion der HBV-DNS-Serumspiegel, einer Normalisierung der Transaminasen-Serumspiegel und dem Anteil der Patienten mit HBeAg-Serokonversion (jeweils Durchschnitt angegeben) [nach Marcellin P, et al. 2004].

Abb. 2. Ansprechen und anhaltendes Ansprechen auf die Therapie mit Adefovir 10 mg über 48 und 96 Wochen: Patienten mit HBeAg-negativer chronischer Hepatitis B erhielten zunächst für 48 Wochen Adefovir 10 mg oder Plazebo, nach 48 Wochen wurde die Therapie für die Lanzeitbeobachtung umgestellt (Weiterbehandlung mit Adefovir, Plazebo-Adefovir-Umstellung, Adefovir-Plazebo-Umstellung) (Mediane angegeben) [Hadziyannis SJ, et al. 2005].
Arzneimitteltherapie 2006; 24(02)