Neuropathische Schmerzen

Kombinationstherapie wirksamer als Monotherapie?


Prof. Dr. med. H. C. Diener, Essen

Die Kombination von retardiertem Morphin mit Gabapentin ist wirksamer bei der Behandlung chronisch neuropathischer Schmerzen als die entsprechende Monotherapie. Die Kombinationstherapie hat additive Wirkungen.

Sowohl für Gabapentin (z. B. Neurontin®) als auch für retardierte Opioide wurde die Wirksamkeit in der symptomatischen Behandlung chronisch neuropathischer Schmerzen belegt. Für beide Substanzen gilt allerdings, dass sie bei höheren Dosierungen häufig nicht toleriert werden. Das Nebenwirkungsspektrum der Substanzen unterscheidet sich, die einzige gemeinsame Nebenwirkung ist die Sedierung. Daher war es naheliegend, eine Kombination der beiden Substanzen im Vergleich zu einer Monotherapie zu untersuchen.

Für diese prospektive randomisierte doppelblinde Crossover-Studie wurden 57 Patienten rekrutiert. 35 Patienten hatten eine chronische diabetische Neuropathie und 22 eine postzosterische Neuralgie. 41 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen.

Die jeweiligen Behandlungsphasen erstreckten sich über 5 Wochen. Als aktives Plazebo wurde Lorazepam (z. B. Tavor®) in niedriger Dosis (1,6 mg) verwendet. Die Einzeldosis von retardiertem Morphin (z. B. MST®) betrug 30 mg, die Einzeldosis von Gabapentin 300 mg. In der Morphin-Monotherapie-Gruppe betrug die mögliche Höchstdosis 120 mg am Tag, in der Gabapentin-Monotherapie-Gruppe 3 200 mg und in der Kombinations-Gruppe 60 mg Morphin und 2 400 mg Gabapentin.

Die jeweils ersten 3 Wochen einer Behandlungsphase dienten der Dosistitration, in der 4. Woche wurde dann die vom Patienten gewünschte Dosis beibehalten und in der 5. Woche das Medikament wieder ausgeschlichen.

Primäres Zielkriterium war die Schmerzintensität auf einer Skala zwischen 0 und 10, die dreimal am Tag erfasst wurde. Es wurden die Werte der 4. Woche verwendet, in der die maximal tolerierte Dosis der jeweiligen Studienmedikation eingenommen wurde. Sekundäre Zielkriterien waren Nebenwirkungen und die Ergebnisse im Short-Form McGill Pain Questionnaire (0–45 Punkte).

Die mittlere maximale Dosis von retardiertem Morphin betrug in der Monotherapie 45 mg und in der Kombinationstherapie 34 mg. Die mittlere Dosis von Gabapentin betrug in der Monotherapie 2 200 mg und in der Kombinationstherapie 1 705 mg.

Zu Studienbeginn betrug der mittlere Schmerz-Score 5,72. Mit der jeweiligen Studienmedikation sank er auf: 4,40 mit Plazebo, 4,15 mit Gabapentin, 3,70 mit Morphin und 3,06 mit der Kombination von Gabapentin und Morphin. Der Unterschied zwischen der Kombination und Plazebo sowie der Monotherapie war statistisch signifikant.

Die Werte im McGill Pain Questionnaire betrugen 14,4 mit Plazebo, 10,7 mit Gabapentin, 10,7 mit Morphin und 7,5 mit der Kombinationstherapie.

Die häufigsten Nebenwirkungen von Gabapentin waren Sedierung, Mundtrockenheit, Schlafstörungen und Angstgefühle, die Hauptnebenwirkungen von Morphin Verstopfung, Sedierung und Mundtrockenheit. Bei der Kombinationstherapie traten Verstopfung häufiger auf als bei der Gabapentin-Monotherapie und Mundtrockenheit häufiger als bei der Morphin-Monotherapie.

Kommentar

Kliniker in der Schmerztherapie haben intuitiv schon immer gemacht, was in der hier durchgeführten methodisch sehr aufwendigen Studie belegt wurde, nämlich die Kombinationstherapie zweier Substanzen bei der Behandlung chronisch neuropathischer Schmerzen mit unterschiedlichem Wirkungsmechanismus. Die hier vorliegende Studie zeigt nicht nur, dass die Kombination von retardiertem Morphin mit Gabapentin besser wirksam ist als die entsprechende Monotherapie, sondern zeigt auch eine überadditive Wirkung, da die in der Kombinationstherapie notwendigen Dosierungen eindeutig niedriger waren als die Dosierungen in der Monotherapie. Bemerkenswert an der hier durchgeführten Studie ist der Einsatz eines aktiven Plazebos, also einer Substanz, die zur leichten Sedierung führt und damit nicht zu leicht als Plazebo identifiziert werden kann. Einziger Wermutstropfen ist die erhöhte Rate an Verstopfung und Mundtrockenheit mit der Kombinationstherapie verglichen mit der Monotherapie. Dies ist aber gemessen an den niedrigen Dosierungen der Kombinationstherapie und den damit auch geringeren Kosten zu verschmerzen.

Quelle

Gilron I, et al. Morphine, Gabapentin, or their combination for neuropathic pain. N Engl J Med 2005;352:1324–34.

Arzneimitteltherapie 2006; 24(03)