Diabetes mellitus Typ 2

Pioglitazon senkt kardiovaskuläre Sterblichkeit


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. Annemarie Musch, Stuttgart

Die zusätzliche Therapie mit Pioglitazon reduzierte bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und kardiovaskulärer Erkrankung die Gesamtsterblichkeit sowie die Anzahl nicht tödlicher Myokardinfarkte und Schlaganfälle. Dieser Effekt könnte auf einer Steigerung der Insulin-Sensitivität bei den Patienten beruhen. Die Ergebnisse der Proactive-Studie wurden auf einer im Rahmen der Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie von Takeda veranstalteten Pressekonferenz in Dresden im Oktober 2005 vorgestellt.

In Deutschland leiden etwa 10 % der Bevölkerung an manifestem Diabetes mellitus Typ 2. Diese Patienten sind unter anderem durch makrovaskuläre/kardiovaskuläre Komplikationen gefährdet, die zu der steigenden Diabetes-bedingten Sterblichkeit entscheidend beitragen. Das zentrale Bindeglied hier und somit ein wichtiger Risikofaktor dieser Patienten scheint die Insulin-Resistenz zu sein. Sie führt nicht nur zu den bekannten Veränderungen im Glucose- und Fett-Stoffwechsel, sondern unter anderem auch zu Veränderungen der Gefäßfunktion.

Die Insulin-Resistenz kann medikamentös mit oralen Antidiabetika aus der Gruppe der Thiazolidindione beeinflusst werden. Thiazolidindione sind Agonisten am PPAR-γ-Rezeptor (PPAR-γ, peroxisomaler Proliferator-aktivierter Rezeptor Subtyp γ). Der PPAR-γ-Rezeptor ist ein transkriptionsregulierender Rezeptor im Zellkern, der in einer Vielzahl von Geweben vorkommt. Die Aktivierung ist beispielsweise

  • im Fettgewebe mit gesteigerter Adipozytendifferenzierung und
  • in der Muskulatur mit gesteigerter Glucose-Aufnahme und -Verwertung verbunden.

Darüber hinaus könnten folgende Wirkungen, die bei einer Aktivierung dieses Rezeptors mit Thiazolidindionen nachgewiesen wurden, interessant sein: In den Gefäßen wurde eine verbesserte Endothelfunktion, eine antiinflammatorische Wirkung und eine Stabilisierung von Plaques beobachtet. In vitro und in vivo wurden so bereits günstige Effekte der Thiazolidindione auf die Pathogenese der Arteriosklerose nachgewiesen.

In einer aktuellen doppelblinden Plazebo-kontrollierten Studie wurde nun untersucht, ob die zusätzliche Therapie mit dem Thiazolidindion Pioglitazon (Actos®) in der Sekundärprävention bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 makrovaskuläre/kardiovaskuläre Risiken und damit Folgeereignisse reduzieren kann. In diese Studie wurden 5 238 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und bekannter kardiovaskulärer Erkrankung eingeschlossen. Sie erhielten randomisiert zusätzlich zu jeweils bestehender, den aktuellen Empfehlungen entsprechender medikamentöser Behandlung der Glucose-Stoffwechselstörung und der kardiovaskulären Erkrankung entweder

  • Pioglitazon (15 mg/d, auftitriert bis 45 mg/d, n = 2 605) oder
  • Plazebo (n = 2 633).

Zu Studienbeginn nahmen jeweils 62 % der Patienten Metformin oder Sulfonylharnstoffe (Mono- und Kombinationstherapie) ein, 30 % der Patienten injizierten Insulin. Im Rahmen dieser Studie wurden die Patienten durchschnittlich 34,5 Monate behandelt.

Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus den Ereignissen Tod aufgrund aller Ursachen, nichttödlicher Myokardinfarkt, Schlaganfall, akutes Koronarsyndrom, kardiale Intervention und Revaskularisation von Beinarterien sowie Beinamputation oberhalb des Knöchels. Dokumentiert wurde die Zeit von der Randomisierung bis zum Erreichen eines der Ereignisse. Der wichtigste sekundäre Endpunkt – der kardiovaskuläre Endpunkt – setzte sich aus den Ereignissen Tod aufgrund aller Ursachen, nichttödlicher Myokardinfarkt und Schlaganfall zusammen.

Ereignisse des primären zusammengesetzten Endpunkts traten in der Pioglitazon-Gruppe seltener auf als in der Plazebo-Gruppe, der Unterschied war nicht signifikant (Abb. 1). Für den kardiovaskulären Endpunkt wurde bei Patienten, die zusätzlich Pioglitazon erhielten, ein verglichen mit Plazebo signifikant besseres Ergebnis gezeigt: Signifikant weniger Patienten starben, erlitten einen nichttödlichen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall (Abb. 2).

Der HbA1c-Wert und der Triglycerid-Serumspiegel wurden durch die zusätzliche Pioglitazon-Therapie deutlicher gesenkt als bei Plazebo-Gabe. Der LDL-Cholesterol-Wert stieg in der Pioglitazon-Gruppe verglichen mit der Plazebo-Gruppe stärker, insgesamt wurde aber bei gleichzeitig gestiegenem HDL-Cholesterol-Wert ein deutlicherer Abfall des LDL-/HDL-Cholesterol-Quotienten in der Pioglitazon-Gruppe festgestellt (Tab. 1).

Bislang unbekannte unerwünschte Wirkungen der zusätzlichen Therapie mit Pioglitazon wurden nicht berichtet; verglichen mit Plazebo trat signifikant häufiger Herzinsuffizienz auf – bedingt durch die bekannte vermehrte Flüssigkeitsretention. Dies führte aber nicht zu einer Übersterblichkeit.

Die zusätzliche Therapie mit Pioglitazon zeigte somit im primären Endpunkt keinen signifikanten Vorteil. Als Erklärung könnte die Abhängigkeit einiger der hier zusammengefassten Ereignisse von verschiedenen Parametern dienen (z. B. Entscheidung zur Revaskularisation von Beinarterien in Abhängigkeit vom behandelnden Arzt). Allerdings dürfte dies bei einer randomisierten Plazebo-kontrollierten Studie nicht ausschlaggebend sein und ist als Erklärung unbefriedigend.

Ein deutlicher Nutzen für die Patienten konnte aber bei der ausschließlichen Berücksichtigung der Ereignisse des kardiovaskulären Endpunkts gezeigt werden: 48 Patienten müssen über 3 Jahre behandelt werden, um eines dieser Ereignisse zu vermeiden.

Die Glucose- und Fett-Stoffwechselparameter und die Blutdruckeinstellung konnten bei zusätzlicher Therapie mit Pioglitazon weiter verbessert werden, obwohl die Patienten bereits leitliniengerecht medikamentös behandelt wurden. Dies kann aber nicht allein für die gezeigte Risikoreduktion im kardiovaskulären Endpunkt bei mit Pioglitazon behandelten Patienten ausschlaggebend gewesen sein. Möglich scheint eine gesteigerte Insulin-Sensitivität durch die Therapie mit dem Thiazolidindion.

Durch die zusätzliche Behandlung mit Pioglitazon konnte weiterhin bei Patienten die Zeit bis zu einer notwendigen permanenten Therapie mit Insulin im Vergleich zur Gabe von Plazebo signifikant verlängert werden: Im Berechnungszeitraum von 3 Jahren bedurften so 11,1 % der Patienten in der Pioglitazon- gegenüber 22,0 % der Patienten in der Plazebo-Gruppe einer permanenten Insulin-Therapie (p <0,0001).

Mit diesen Ergebnissen wird eine therapeutische Option zur Sekundärprävention makrovaskulärer/kardiovaskulärer Komplikationen bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 aufgezeigt. Die in der Prävention mikrovaskulärer Komplikationen etablierte optimale Blutzucker-Spiegeleinstellung ist hier allein nicht ausreichend ist. Möglicherweise ist der Einsatz des Thiazolidindions auch in der Primärprävention sinnvoll. Bislang liegen allerdings dementsprechende Daten nicht vor. Weitere Studien sind wünschenswert – nicht zuletzt auch, um die Frage nach einem Klasseneffekt der Thiazolidindione beantworten zu können.

Quellen

Prof. Dr. med. Dietrich C. Gulba (Düren), Prof. Dr. med. Kristian Rett (Wiesbaden) und Dr. Georg Lübben (Aachen). Pressekonferenz „Fünf Jahre Pioglitazon – mehr als glykämische Kontrolle: Proactive belegt Reduktion kardiovaskulärer Mortalität bei Typ-2-Diabetes“ veranstaltet von Takeda Pharma im Rahmen der Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, 7. Oktober 2005.

Dormandy JA, et al. Secondary prevention of macrovascular events in patients with type 2 diabetes in the proactive study (prospective pioglitazone clinical trial in macrovascular events): a randomised controlled trial. Lancet 2005;366:1279–89.

Abb. 1. Einfluss der zusätzlichen Pioglitazon-Behandlung auf den primären zusammengesetzten Endpunkt (Tod aufgrund aller Ursachen, nichttödlicher Myokardinfarkt, Schlaganfall, akutes Koronarsyndrom, kardiale Intervention und Revaskularisation von Beinarterien sowie Beinamputation oberhalb des Knöchels) (Kaplan-Meier-Analyse, 95%-KI = 95%-Konfidenzintervall) [nach Dormandy JA, et al. 2005]

Abb. 2. Einfluss der zusätzlichen Pioglitazon-Behandlung auf den kardiovaskulären Endpunkt (Tod aufgrund aller Ursachen, nichttödlicher Myokardinfarkt und Schlaganfall) (Kaplan-Meier-Analyse, 95%-KI = 95%-Konfidenzintervall) [nach Dormandy JA, et al. 2005]

Tab. 1. Einfluss der zusätzlichen Behandlung mit Pioglitazon auf verschiedene Stoffwechselparameter (mediane Veränderung im Vergleich zum Ausgangswert, soweit nicht anders angegeben) [nach Dormandy JA, et al. 2005]

Stoffwechselparameter

Pioglitazon

Plazebo

p-Wert

HbA1c-Wert [% absoluter Veränderung]

–0,8 (–1,6 bis –0,1)

–0,3 (–1,1 bis 0,4)

< 0,0001

Triglycerid-Werte [%]

–11,4 (–34,4 bis 18,3)

1,8 (–23,7 bis 33,9)

< 0,0001

HDL-Cholesterol-Wert [%]

19,0 (6,6 bis 33,3)

10,1 (–1,7 bis 21,4)

0,003

LDL-Cholesterol-Wert [%]

7,2 (–11,2 bis 27,6)

4,9 (–13,9 bis 23,8)

< 0,0001

LDL-/HDL-Cholesterol-Quotient [%]

–9,5 (–27,3 bis 10,1)

–4,2 (–21,7 bis 15,8)

< 0,0001

Arzneimitteltherapie 2006; 24(03)