Dr. Barbara Kreutzkamp, München
Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl geeigneter antiretroviraler Medikamente für die HIV-Therapie ist ihr Resistenzprofil. Bei neu entwickelten Substanzen stehen Klinikern in der Regel nur Ergebnisse experimenteller Studien und kleiner Pilotstudien für die Entscheidung über den Einsatz im individuellen Patientenfall zur Verfügung. In einer Übersichtsarbeit wurden Interpretationshilfen für solche Daten zusammengestellt.
Präklinische Studien
In In-vitro-Versuchen werden HIV-1-Stämme steigenden Konzentrationen der neuen antiretroviralen Substanz ausgesetzt, um Aufschlüsse über die Resistenzmechanismen der Viren gegen die neue Substanz, die Entwicklungszeit der Resistenzbildung und die Virulenz der Mutanten zu erhalten.
Führt die neue Substanz zu Mutationen, wie sie bereits unter anderen HIV-Medikamenten zu finden sind, wird es zu problematischen Kreuzresistenzen kommen. Umgekehrt garantiert aber die Entstehung bisher unbekannter Mutationen nicht eine fehlende Kreuzresistenz mit bekannten Substanzen, da in vitro nicht alle Mutationen auftreten, die im lebenden Organismus später zu finden sind. Wirklich aussagekräftig sind daher nur die In-vivo-Provokationsversuche.
Die herabgesetzte Empfindlichkeit von mutierten Viren gegen die neue Substanz wird im sogenannten „Phenotypic-Testing“ überprüft, bei dem bestimmte Genabschnitte von aus Patienten-Plasma gewonnenen Viren per PCR amplifiziert, in einen rekombinanten Virenstamm übertragen und die Virusreplikation in verschiedenen Zelllinien bei verschiedenen Substanz-Konzentrationen untersucht werden.
Hinweise auf eine veränderte Arzneimittelempfindlichkeit von Virusmutanten in vitro sind zwar interessant, haben aber nur eine geringe Aussagekraft für das Verhalten der Viren in vivo. Die Empfindlichkeitsschwankungsbreiten für Zidovudin (z. B. Retrovir®), Lamivudin (z. B. Epivir®), Emtricitabin (z. B. Emtriva®) und die nicht-nucleosidischen Reverse-Transcriptase-Inhibitoren (NNRTI) liegen bei etwa 1 000, für die Protease-Inhibitoren (PI) bei etwa 100 und für die nucleosidischen Reverse-Transcriptase-Inhibitoren (NRTI) Stavudin (Zerit®), Didanosin (Videx®), Tenofovir (z.B. Viread®) und Abacavir (z. B. Ziagen®) bei etwa 10.
Zeigt eine neue Substanz Kreuzresistenzen mit bereits zugelassenen Medikamenten, so ist eine klinische Weiterentwicklung nur sinnvoll, wenn die Substanz wichtige Vorteile gegenüber den bisherigen Medikamenten hat.
Neue Substanzen, bei denen In-vitro-Untersuchungen zufolge keine Kreuzresistenzen zu erwarten sind, werden häufig für die Initialbehandlung von Patienten empfohlen, mit der Begründung, dass bei Therapieversagen die Empfindlichkeit der Viren gegen andere Substanzen aus der selben Klasse noch gewährleistet sei. Da jedoch immer ein Restrisiko für unerwartete Kreuzresistenzen vorhanden ist, ist ein solches Vorgehen nur bei Vorliegen weiterer Vorteile der Substanz gerechtfertigt.
Auch sollte beachtet werden, dass die In-vitro-Resistenzversuche bisher nicht verpflichtend mit standardisierten resistenten Isolaten durchgeführt werden müssen. Die Entwicklung und Validierung von entsprechenden repräsentativen rekombinanten Klon-Sets beispielsweise mit Resistenzen gegenüber zahlreichen NRTI wird derzeit vorangetrieben. Präklinisch werden darüber hinaus auch Untersuchungen zu synergistischen, additiven oder antagonistischen Effekten der neuen Substanzen durchgeführt. Aber erst In-vivo-Versuche werden Klarheit beispielsweise über mögliche synergistische Wirkungen schaffen.
Klinische Entwicklung
Zur Entwicklung von Resistenzen und neuen Virusmutanten durch eine neue antiretrovirale Substanz kann erst der Einsatz am Patienten zuverlässige Ergebnisse liefern. Meist wird hier der HIV-1-RNS-Spiegel im Serum als Marker für Erfolg oder Misserfolg einer Substanz herangezogen. Nachteil dieser Untersuchungen ist, dass sich durch das Studiendesign (neue Substanzen werden meist zur Salvage-Therapie oder in HAART-Kombinationen eingesetzt) der primäre Resistenzmechanismus der neuen Substanzen oder einer Kombination nicht mehr feststellen lässt. In manchen Fällen sind Therapieversager außerdem lediglich auf Non-Compliance der Patienten zurückzuführen.
Ein wichtiges Ziel klinischer Studien ist auch die Identifizierung von genotypischen und phänotypischen Prädiktoren für den Erfolg einer antiretroviralen Behandlung. Allerdings ist die Auswertung der Ergebnisse sehr aufwendig, da die komplette Therapieanamnese des Patienten berücksichtigt werden muss, damit beispielsweise auch durch frühere Therapien entstandene Mutationen berücksichtigt werden.
Mittlerweile liegen mehr als 20 Studien, in denen der prätherapeutische Genotyp mit dem virologischen Ansprechen auf ein neues Therapieregime korreliert wurde, vor. Diese verfügen jedoch meist nicht über eine ausreichend große statistische Aussagekraft. Die Ergebnisse der Genotyp-Phänotyp-Korrelationsstudien müssen daher dringend in größeren Studien validiert werden. Denn es fehlen immer noch zuverlässige Empfehlungen, wie HIV-Patienten nach resistenzbedingtem Therapieversagen oder primärer Infektion mit einem resistenten HIV-Stamm behandelt werden sollen.
Quelle
Shafer RW, Schapiro JM. Drug resistance and antiretroviral drug development. J Antimicrob Chemother 2005;55:817–20.
Arzneimitteltherapie 2006; 24(03)