Dr. Barbara Kreutzkamp, München
Die Entwicklung einer Antibiotika-Resistenz ist ein komplexer Vorgang, setzt aber in der Regel den Kontakt eines Bakterienstamms mit dem Antibiotikum voraus. Die große Variabilität der Resistenzraten von Bakterien gegen verschiedene Antibiotika-Klassen in den Regionen Europas – hohe Resistenzraten in Süd- und Zentraleuropa, niedrige in Nordeuropa – wird unter anderem auf die unterschiedliche Verschreibungspraxis von Antibiotika in den einzelnen Ländern zurückgeführt. Der Nachweis eines solchen Zusammenhangs ist aber nicht ganz einfach. Zum einen sind valide Daten über den Antibiotika-Verbrauch nicht immer ohne weiteres zugänglich, zum anderen müssen die Daten für eine Analyse erst aufbereitet werden, beispielsweise entsprechend der Verordnung einzelner Antibiotika-Klassen oder den applizierten Dosen bei einer bestimmten Indikation. Nur dann können Aussagen über Assoziationen zwischen Resistenz und Verbrauch hergestellt werden. Ein erster Versuch, sich europaweit einen Überblick zu verschaffen, wurde mit dem European-Surveillance-of-Antimicrobial-Consumption(ESAC)-Projekt unternommen. Dazu wurden Daten über den Antibiotika-Verbrauch im ambulanten Sektor erhoben und ins Verhältnis zu bekannten Resistenzdaten gesetzt.
Die Angaben über den Antibiotika-Verbrauch in 26 europäischen Ländern wurden entweder aus Datensätzen von Kostenträgern (z. B. Krankenkassen) erhalten oder aus Verkaufszahlen der pharmazeutischen Industrie oder des Großhandels ermittelt. Daraus wurde die Anzahl der definierten Tagesdosen pro 1 000 Einwohner pro Tag errechnet – aufgeschlüsselt entsprechend der anatomisch-therapeutisch-chemischen Antibiotika-Klassifikation der WHO (anatomic therapeutic chemical classification, ATC). Die Zahlen zum Antibiotika-Verbrauch wurden mit Angaben zur Antibiotika-Resistenz der wichtigsten Krankheitserreger im ambulanten Bereich (Streptococcus pneumoniae, Streptococcus pyogenes, Escherichia coli) korreliert.
Die Verordnungszahlen der Antibiotika variierten innerhalb Europas erheblich: Die meisten Antibiotika-Tagesdosen pro 1 000 Einwohner erhielten die Franzosen (32,2), die wenigsten die Niederländer (10,0). Auch in Deutschland ist die Verordnungspraxis relativ restriktiv (Abb. 1).
In den meisten Ländern ergab sich eine Verschiebung der Verordnungshäufigkeit weg von den älteren Antibiotika mit engem Erregerspektrum hin zu den modernen Breitspektrum-Antibiotika.
In Ländern mit einem hohen Antibiotika-Verbrauch zeigten sich ausgeprägte saisonale Unterschiede mit Verordnungsspitzen im Winter. In nördlichen Ländern waren diese winterlichen Spitzen sehr viel weniger ausgeprägt.
Die Raten der Antibiotika-Resistenz korrelierten mit den Verordnungszahlen. Dies weist auf einen Zusammenhang zwischen der Resistenzsituation und den hohen Antibiotika-Verbrauchszahlen in Süd- und Osteuropa im Vergleich zu Nordeuropa hin.
Damit ist nun bestätigt worden, was schon lange vermutet wurde – ein hoher Antibiotika-Verbrauch geht mit einer erhöhten Resistenzrate einher. Die Ursachen für die unterschiedliche Verschreibungspraxis sind vielschichtig. So werden beispielsweise Atemwegsinfektionen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich eingestuft und entsprechend unterschiedlich erfolgt dann der Einsatz von Antibiotika. Auch Unterschiede in der Inzidenz von Ansteckungen (z. B. in Kindergärten, Schulen) oder Unterschiede im kulturellen Umgang mit (banalen) Infekten können zu den unterschiedlichen Verordnungszahlen führen. Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss haben auch die Marketingaktivitäten der pharmazeutischen Industrie. Durch Eingriffe von politischer Seite kann gegenreguliert werden.
Die vorliegende Untersuchung ist ein weiterer Beleg für die schon durch zahlreiche andere Studien unterstützte Hypothese, dass der Antibiotika-Verbrauch die wichtigste, wenn nicht gar die einzige treibende Kraft für die Ausbildung einer Antibiotika-Resistenz ist. Da das Zeitintervall bis zum Auftreten einer Resistenz sehr viel kleiner ist als das Zeitintervall bis zum Verschwinden der Resistenz nach Reduktion der Verordnungen, sollte beim Auftreten von Resistenzen sofort gehandelt werden.
Der gefundene Zusammenhang mag auf den ersten Blick fast banal erscheinen – doch war das Ergebnis nicht unbedingt vorherzusehen. In einem Kommentar zu dieser Untersuchung werden zahlreiche Einflüsse aufgezählt, die das Ergebnis auch hätten anders ausfallen lassen können. Danach ist die Angabe der definierten Tagesdosen auf Erwachsene bezogen – möglicherweise werden deshalb in Ländern mit vielen Kindern mehr Personen behandelt, als die rein rechnerische definierten Tagesdosen angibt. Auch die Bakterien-Antibiotika-Interaktion kann in solchen Assoziationsstudien nicht genügend berücksichtigt werden, ebenso wenig wie beispielsweise die Bevölkerungsdichte. Wenn sich trotz dieser Unzulänglichkeiten aber dennoch eine Korrelation wie in dieser Studie ergibt, so muss dieser Zusammenhang sehr stark sein. Die Berechnung ist also effizient, aber grob. Interventionen, so die Kommentatoren, werden sinnvollerweise erst dann möglich sein, wenn die Analysen differenzierter durchgeführt werden, beispielsweise unter besserer Berücksichtigung der komplexen Resistenz-Ökologie, der Diagnosegewohnheiten der Ärzte und der gezielten Vermarktung einzelner neuer Antibiotika.
Quellen
Goossens H, et al. Outpatient antibiotic use in Europe and association with resistance: a cross-national database study. Lancet 2005;365:579–87.
Turnidge J, Christiansen K. Antibiotic use and resistance – proving the obvious. Lancet 2005;365:548–9.

Abb. 1. Antibiotika-Verbrauch in 26 europäischen Ländern (ambulanter Bereich, 2002) [nach Goossens H, et al.]
Arzneimitteltherapie 2006; 24(04)