Hans Christoph Diener, Essen, für die Expertengruppe**
Korrekturhinweis
Im Abschnitt „Migräneprophylaxe bei Kindern“ (Seite 133) heißt es: Propranolol in einer Dosis von 10 mg/kg KG.
Richtig ist: Propranolol in einer Dosis von 1–2 mg/kg Körpergewicht.
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Was gibt es Neues?
Migräneattacke
- Serotonin-5-HT1B/1D-Rezeptoragonisten („Triptane“) wirken besser, wenn sie zu Beginn einer Migräneattacke eingenommen werden, solange der Kopfschmerz noch leicht oder mittelschwer ist (⇑⇑). Die Empfehlung einer Einnahme von Serotonin-Rezeptoragonisten, wenn der Kopfschmerz leicht ist, gilt nur für Patienten, die Migräneattacken von Spannungskopfschmerzen differenzieren können.
- Das Vorhandensein einer Allodynie (Berührung wird als schmerzhaft empfunden) im Bereich von Gesicht und Kopf während der Migräneattacke kann auf eine verminderte Wirkung von Serotonin-Rezeptoragonisten hinweisen (⇑).
- Zolmitriptan ist als Nasenspray mit 5 mg erhältlich. Diese Anwendungsform wirkt rascher als die orale Form (⇑).
- Sumatriptan steht als Tablette mit raschem Zerfall im Magen-Darm-Trakt zur Verfügung. Ob ein rascherer Wirkungseintritt als bei der normalen Tablette erfolgt, ist nicht bekannt (⇔).
- Ergotamin als Monosubstanz steht nur noch als 2-mg-Tablette zur Verfügung.
- Die Kombination von Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Coffein ist wirksamer als die Kombination ohne Coffein und wirksamer als die Einzelsubstanzen (⇑⇑).
- Acetylsalicylsäure in löslich gepufferter Form (1 000 mg) ist in ihrer Wirksamkeit Ibuprofen 400 mg und Sumatriptan 50 mg vergleichbar (⇑⇑).
- Cyclooxygenase-2-Hemmer („Coxibe“) haben bei der Therapie der Migräneattacke eine ähnliche Wirksamkeit wie Ibuprofen oder Sumatriptan (⇑). Bisher ist kein Cyclooxygenase-2-Hemmer zur Behandlung der Migräneattacke zugelassen. Angesichts des Risikos, vaskuläre Ereignisse hervorzurufen, können sie zur Behandlung von Migräneattacken nicht empfohlen werden.
Migräneprophylaxe
- Die Behandlung mit Topiramat ist eine wirksame Migräneprophylaxe (⇑⇑). Die Dosis liegt zwischen 25 und 100 mg täglich. Limitierend sind zentrale Nebenwirkungen.
- Pizotifen, Methysergid und Lisurid stehen in Deutschland nicht mehr zur Migräneprophylaxe zur Verfügung.
- Pestwurz (⇑) und Mutterkraut (⇑) sind in der Migräneprophylaxe möglicherweise wirksam.
- Cyclandelat ist wahrscheinlich nicht wirksam (⇔).
Die wichtigsten Empfehlungen auf einen Blick
- Die 5-HT1B/1D-Agonisten (in alphabetischer Reihenfolge) Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan sind die Substanzen mit der besten Wirksamkeit bei akuten Migräneattacken (A).
- Ergotamin ist bei Migräne wirksam. Allerdings ist die Wirksamkeit in prospektiven Studien schlecht belegt (B).
- Nichtopioidanalgetika und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind bei der Behandlung der Migräne wirksam (A).
- Die Wirksamkeit nichtmedikamentöser Verfahren wurde in kontrollierten Studien kaum untersucht (C).
- Bei häufigen Migräneattacken sollte eine Migräneprophylaxe begonnen werden (A).
- Migräneprophylaktika der ersten Wahl sind die Betablocker (A) Metoprolol und Propranolol, der Calciumkanalblocker Flunarizin (A) und die Antikonvulsiva Valproinsäure (A) und Topiramat (A).
- Migräneprophylaktika der zweiten Wahl sind der Betablocker Bisoprolol (B), Naproxen (B), Acetylsalicylsäure (C), Magnesiumsalz (C), Pestwurz (B), Mutterkraut (B) und Amitriptylin (B).
- Die medikamentöse Therapie sollte durch nichtmedikamentöse Verfahren der Verhaltenstherapie (A) und durch Ausdauersport (B) ergänzt werden.
- Patienten mit einer hochfrequenten Migräne (≥ 3 Attacken/Monat) sowie erheblicher Einschränkung der Lebensqualität sollten einer psychologischen Therapie zugeführt werden (A).
Definition des Gesundheitsproblems
Bei der Migräne kommt es attackenweise zu heftigen, häufig einseitigen pulsierend-pochenden Kopfschmerzen, die bei körperlicher Betätigung an Intensität zunehmen [106]. Bei einem Drittel der Patienten bestehen holokranielle Kopfschmerzen. Die einzelnen Attacken sind begleitet von Appetitlosigkeit (fast immer), Übelkeit (80 %), Erbrechen (40–50 %), Lichtscheu (60 %) und Lärmempfindlichkeit (50 %) sowie Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Gerüchen (10 %). Wenn die Kopfschmerzen einseitig sind, können sie innerhalb einer Attacke oder von Attacke zu Attacke die Seite wechseln. Die Dauer der Attacken beträgt nach der Definition der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft zwischen 4 und 72 Stunden [105]. Bei Kindern sind die Attacken kürzer und können auch ohne Kopfschmerzen nur mit heftiger Übelkeit, Erbrechen und Schwindel einhergehen [96].
Epidemiologie
Migräne ist eine der häufigsten Kopfschmerzformen. Etwa 6 bis 8 % aller Männer und 12 bis 14 % aller Frauen leiden unter einer Migräne [90, 113, 117, 124]. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei Frauen bei > 25%. Vor der Pubertät beträgt die Häufigkeit der Migräne 4 bis 5 %. Jungen und Mädchen sind gleich häufig betroffen. Die höchste Inzidenz der Migräneattacken tritt zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr auf. In dieser Lebensphase sind Frauen dreimal häufiger betroffen als Männer.
Ziele und Anwendungsbereich
Definition der Ziele
Ziel dieser Leitlinie ist eine Optimierung der Behandlung akuter Migräneattacken und der medikamentösen und nichtmedikamentösen Prophylaxe der Migräne. Die Leitlinie ist Evidenz-basiert und eine Fortentwicklung der folgenden Leitlinien und Empfehlungen:
- Leitlinie der DGN 2003 [41],
- Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft [36],
- Empfehlungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (3. Auflage 2001),
- Practice Parameters of the American Academy of Neurology [126].
Definition des Anwendungsbereichs (Zielgruppe)
Diese Leitlinie wendet sich überwiegend an Ärzte und Psychologen, die im ambulanten oder Klinikbereich Patienten mit Migräne betreuen.
Zusammenfassung der Empfehlungen
Diagnostik
Die Diagnose stützt sich auf die typische Anamnese und einen normalen neurologischen Untersuchungsbefund (Einzelheiten siehe Leitlinie „Diagnostik von Kopfschmerzen“). Zusatzdiagnostik und insbesondere eine Bildgebung sind nur notwendig bei Auftreten im Charakter ungewöhnlicher Kopfschmerzen (Ausschluss Blutung, Subarachnoidalblutung) und bei Kopfschmerzen mit persistierenden neurologischen oder psychopathologischen Ausfällen (A) [112].
Medikamentöse Therapie der Migräneattacke
- Die 5-HT1B/1D-Agonisten (in alphabetischer Reihenfolge) Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan sind die Substanzen mit der besten Wirksamkeit bei akuten Migräneattacken (A).
- Ergotamin ist bei Migräne wirksam. Allerdings ist die Wirksamkeit in prospektiven Studien schlecht belegt (B).
- Nichtopioidanalgetika und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind bei der Behandlung der Migräne wirksam (A).
- Die Wirksamkeit nichtmedikamentöser Verfahren wurde in kontrollierten Studien kaum untersucht (C).
- Erfolgskriterien für eine erfolgreiche Behandlung einer Migräneattacke in klinischen Studien sind
- Freiheit von Kopfschmerzen nach 2 Stunden,
- Besserung der Kopfschmerzen von schwer oder mittelschwer auf leicht oder kopfschmerzfrei innerhalb zwei Stunden nach Applikation des entsprechenden Präparats [111],
- reproduzierbare Wirkung bei 2 von 3 Migräneattacken.
Therapie
Medikamentöse Behandlung
5-HT1B/1D-Agonisten
Die Serotonin-5-HT1B/1D Rezeptoragonisten (Tab. 1) Sumatriptan, Zolmitriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Almotriptan, Eletriptan und Frovatriptan sind spezifische Migränemittel, die beim Spannungskopfschmerz unwirksam sind. Alle Serotonin-Rezeptoragonisten haben ihre Wirkung in großen Plazebo-kontrollierten Studien belegt [55, 62]. Für Sumatriptan [137, 143] und Zolmitriptan [61] gibt es Vergleichsstudien zu oraler Acetylsalicylsäure (ASS) in Kombination mit Metoclopramid. In diesen Vergleichsstudien waren die Serotonin-Rezeptoragonisten nicht oder nur gering besser wirksam als Acetylsalicylsäure. Bei etwa 60 % von Nonrespondern für nichtsteroidale Antirheumatika sind Serotonin-Rezeptoragonisten wirksam [29]. Sumatriptan 6 mg s. c. war etwas besser wirksam als 1 000 mg Acetylsalicylsäure i. v., hatte aber mehr Nebenwirkungen [35]. Ergotamin war in Vergleichsstudien mit Sumatriptan [142] und Eletriptan [40] weniger wirksam. Serotonin-Rezeptoragonisten wirken im Gegensatz zu Ergotamintartrat zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Attacke, d. h. sie müssen nicht notwendigerweise unmittelbar zu Beginn der Attacke genommen werden. Sie wirken aber umso besser, je früher sie in einer Migräneattacke eingenommen werden [15, 49]. Um der Entwicklung eines medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes vorzubeugen, kann eine frühe Einnahme nur empfohlen werden, wenn die Attacken nicht zu häufig sind (< 10 Kopfschmerztage/Monat) und wenn der Patient eindeutig seine Migräne von Spannungskopfschmerzen unterscheiden kann.
Bei lange dauernden Migräneattacken können gegen Ende der pharmakologischen Wirkung eines Migränemittels die Migränekopfschmerzen wieder auftreten (sog. „headache recurrence“). Recurrence wird definiert als eine Verschlechterung der Kopfschmerzintensität von Kopfschmerzfreiheit oder leichter Kopfschmerz auf mittelschwere oder schwere Kopfschmerzen in einem Zeitraum von 2 bis 24 Stunden nach der ersten wirksamen Medikamenteneinnahme [54]. Dieses Problem ist bei den Serotonin-Rezeptoragonisten ausgeprägter als bei Ergotamintartrat oder bei Acetylsalicylsäure. So kommt es bei 15 bis 40 % der Patienten nach oraler Gabe von Serotonin-Rezeptoragonisten zu einem Wiederauftreten der Kopfschmerzen, wobei eine zweite Gabe der Substanz wieder wirksam ist [53]. Ist die erste Gabe eines Serotonin-Agonisten unwirksam, ist es sinnlos, in derselben Migräneattacke eine zweite Dosis zu applizieren. Alle Serotonin-Rezeptoragonisten können wie Ergotamin bei zu häufiger Einnahme zu einer Erhöhung der Attackenfrequenz und letztlich zu medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen oder einer chronischen Migräne führen [79, 87]. Serotonin-Rezeptoragonisten sollten daher an nicht mehr als 10 Tagen im Monat eingesetzt werden. Lebensbedrohliche Nebenwirkungen (Myokardinfarkt, schwere Herzrhythmusstörungen, Schlaganfall) wurden bei der Applikation von Sumatriptan in einer Häufigkeit von 1 : 1 000 000 beobachtet [103, 154]. Bei fast allen Patienten lagen entweder eindeutige Kontraindikationen vor (z. B. vorbestehende koronare Herzkrankheit) oder die Diagnose Migräne war falsch. Für die anderen Serotonin-Rezeptoragonisten gibt es noch keine publizierten Daten. Da der Wirkungsmechanismus der verschiedenen Serotonin-Rezeptoragonisten gleich ist, ist bei einer ähnlichen Inzidenz mit lebensbedrohlichen Nebenwirkungen zu rechnen (bezogen auf Nebenwirkungsmeldungen haben orale Applikationsformen ein geringeres Risiko als die subkutane Gabe). Aus Sicherheitsgründen sollten Patienten, die unter einer Migräne mit Aura leiden, ein Triptan erst nach Abklingen der Aura und mit Einsetzen der Kopfschmerzen applizieren. Darüber hinaus sind Serotonin-Rezeptoragonisten nicht wirksam, wenn sie während der Aura appliziert werden [7, 106]. Populationsbezogene Studien zeigen aber kein erhöhtes Risiko für vaskuläre Ereignisse bei der Anwendung von Serotonin-Rezeptoragonisten, verglichen mit Analgetika [67, 150].
Vergleich der Serotonin-Rezeptoragonisten
Die kürzeste Zeit bis zum Wirkungseintritt besteht für die subkutane Gabe von Sumatriptan (10 Minuten; [136]). Orales Sumatriptan, Almotriptan und Zolmitriptan wirken nach 45 bis 60 Minuten [55]. Rizatriptan und Eletriptan sind am raschesten wirksam (nach 30 Minuten). Naratriptan und Frovatriptan benötigen bis zu 4 Stunden bis zum Wirkungseintritt [63, 93]. Zolmitriptan 5 mg als Nasenspray hat einen rascheren Wirkungseintritt als orales Zolmitriptan [20]. Sumatriptan steht als Tablette mit raschem Zerfall im Magen-Darm-Trakt zur Verfügung [25]. Ob ein rascherer Wirkungseintritt als bei der normalen Tablette erfolgt, ist nicht bekannt.
Die Besserung der Kopfschmerzen nach zwei Stunden, der wichtigste Parameter klinischer Studien für die Wirksamkeit von Migränemitteln, ist am höchsten bei der subkutanen Applikation von Sumatriptan (70–80 %; [144]). Das Sumatriptan-Nasenspray ist ebenso wirksam wie Sumatriptan-Tabletten. Das Sumatriptan-Zäpfchen kommt für Patienten mit frühem Erbrechen in der Attacke in Betracht [8, 115, 133]. 25 mg Sumatriptan oral sind weniger wirksam als 50 und 100 mg (etwa 50–60 %), weisen dafür aber auch weniger Nebenwirkungen auf [55]. Naratriptan und Frovatriptan (je 2,5 mg) sind für die Besserung der Kopfschmerzen nach 2 Stunden weniger wirksam als Sumatriptan, zeigen aber auch weniger Nebenwirkungen und eine etwas geringere Rate an wieder auftretenden Kopfschmerzen. Der Wirkungseintritt von Naratriptan und Frovatriptan ist im Vergleich zu den anderen Serotonin-Rezeptoragonisten verzögert. Im mittleren Wirkungsbereich liegen Zolmitriptan 2,5 bis 5 mg und Almotriptan 12,5 mg. Rizatriptan 10 mg ist etwas wirksamer als 100 mg Sumatriptan [65, 138, 139]. Eletriptan ist in einer Dosierung von 80 mg das effektivste orale „Triptan“, hat aber auch die meisten Nebenwirkungen. Almotriptan hat eine Nebenwirkungsquote, die sich nicht von Plazebo unterscheidet.
Die Häufigkeit des Wiederauftretens der Kopfschmerzen liegt bei den verschiedenen Serotonin-Rezeptoragonisten zwischen 15 % und 40 %. Es gibt Hinweise, dass durch eine initiale Kombination eines Triptans mit einem lang wirkenden nichtsteroidalen Antirheumatikum [84, 85] das Wiederauftreten der Migränesymptomatik zum Teil verhindert werden kann. Alternativ kann das nichtsteroidale Antirheumatikum auch zeitlich verzögert gegeben werden. Ist ein Serotonin-Rezeptoragonist bei drei konsekutiv behandelten Attacken nicht wirksam, kann ein anderes Triptan wirksam sein.
Mutterkornalkaloide
Es gibt nur sehr wenige prospektive Studien zum Einsatz der Mutterkornalkaloide bei der Migräne [140]. In allen Studien, in denen Serotonin-Rezeptoragonisten mit Mutterkornalkaloiden verglichen wurden, waren Erstere signifikant besser wirksam [21, 39, 142]. Die Behandlung mit Ergotamintartrat sollte sehr langen Migräneattacken oder solchen mit multiplen „recurrences“ vorbehalten bleiben. Patienten, die ihre Migräneattacken erfolgreich mit einem Mutterkornalkaloid behandeln, keine Nebenwirkungen und keine Dosissteigerung haben, können diese Akuttherapie beibehalten. Die gehäufte Einnahme von Ergotamin kann zu Dauerkopfschmerzen führen, die in ihrer Charakteristik kaum von den Migränekopfschmerzen zu differenzieren sind [33, 74]. Daher muss die Einnahmefrequenz auf 10 Tage/Monat begrenzt werden (Tab. 2).
Antiemetika und Analgetika
Die meisten Patienten leiden während der Migräneattacke unter gastrointestinalen Symptomen. Die Gabe von Antiemetika wie Metoclopramid oder Domperidon (Tab. 3) bessert nicht nur die vegetativen Begleitsymptome, sondern führt bei einigen Patienten über eine Wiederanregung der zu Beginn der Migräneattacke zum Erliegen gekommenen Magenperistaltik zu einer besseren Resorption und Wirkung von Analgetika und Serotonin-Rezeptoragonisten [114, 122, 151]. Metoclopramid hat auch eine geringe analgetische Wirkung bei Migräne [50]. Die Überlegenheit einer Kombination von Antiemetika mit Migränemitteln wurde bisher in großen randomisierten Studien nicht belegt.
Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Diclofenac und Paracetamol sind die Analgetika erster Wahl bei leichten und mittelgradigen Migränekopfschmerzen (Tab. 4) [19, 24, 70, 78, 81, 88, 100, 137, 141]. Wahrscheinlich sind auch Metamizol und Phenazon wirksam [43, 146]. Die älteren Studien zu den Analgetika entsprechen meistens nicht den Anforderungen, die an moderne Studien gestellt werden. Die Kombination von Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Coffein wurde in den USA untersucht und war wirksamer als Plazebo [89]. Eine in Deutschland durchgeführte Studie ergab, dass die Kombination von Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Coffein wirksamer ist als die Kombination ohne Coffein und wirksamer als die Einzelsubstanzen [47]. Die optimale Dosis beträgt bei alleiniger oraler Anwendung für Acetylsalicylsäure und Paracetamol mindestens 1 000 mg, für Ibuprofen 400 bis 600 mg und für Diclofenac 50 bis 100 mg. Analgetika sollten bevorzugt in Form einer Brausetablette oder einer Kautablette eingenommen werden (schnellere Resorption). Lysinierte Acetylsalicylsäure in Kombination mit Metoclopramid ist fast genauso wirksam wie Sumatriptan [137]. Lösliche gepufferte Acetylsalicyclsäure (1 000 mg) ist genau so wirksam wie 400 mg Ibuprofen oder 50 mg Sumatriptan [42, 44]. Paracetamol wird besser nach rektaler als nach oraler Gabe resorbiert (rektale Gabe bei initialer Übelkeit und Erbrechen). Nichtsteroidale Antirheumatika wie Naproxen und Diclofenac sind ebenfalls wirksam. Auch Analgetika können bei zu häufiger Einnahme zu medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen führen. Daher sollte die Einnahme bei < 15 Tagen im Monat liegen.
Die COX-2-Inhibitoren werden derzeit in klinischen Studien untersucht. Eine Zulassung ist bisher nicht erfolgt. Die Frage, ob es bei episodischer Einnahme zu einer Häufung vaskulärer Ereignisse kommt, ist bisher nicht geklärt. Daher kann die Anwendung dieser Substanzen zur Behandlung von Migräneattacken nicht empfohlen werden.
Opioide und Tranquilizer sollten zur Behandlung der Migräneattacke nicht eingesetzt werden. Opioide haben eine begrenzte Wirksamkeit, führen häufig zu Erbrechen und haben eine hohe Suchtpotenz.
Behandlung von Migräneattacken bei Kindern
Migräneattacken bei Kindern werden mit Paracetamol 15 mg/kg KG oder Ibuprofen 10 mg/kg KG behandelt. Bei Kindern wurde nach Behandlung der Migräne mit Acetylsalicylsäure bisher kein Reye-Syndrom beobachtet. Wenn Antiemetika notwendig sind, sollte Domperidon und nicht Metoclopramid Verwendung finden. Kinder unter 12 Jahren scheinen, anders als Heranwachsende, von einer Therapie mit Serotonin-Rezeptoragonisten (noch) nicht zu profitieren. Die kritische Grenze der Wirksamkeit liegt individuell unterschiedlich zwischen dem 10. und 13. Lebensjahr. Orale Serotonin-Rezeptoragonisten, insbesondere Sumatriptan 50 bis 100 mg und Rizatriptan 5 mg, sind bei Kindern und Jugendlichen nicht besser wirksam als Plazebo [68, 157]. Diese Studien leiden allerdings alle unter ungewöhnlich hohen Plazebo-Werten (etwa 50 %). Studien mit Sumatriptan 5, 10 und 20 mg Nasenspray bei Jugendlichen ergaben eine statistische Überlegenheit gegenüber Plazebo [1, 147, 156]. Positive Ergebnisse erbrachten Post-hoc-Analysen von Studien mit oralem Zolmitriptan in einer Dosierung von 2,5 bis 5 mg [128, 134] bei Heranwachsenden und Jugendlichen (12–17 Jahre). Aufgrund dieser Datenlage ist derzeit in Deutschland ausschließlich Sumatriptan-Nasenspray in der Dosis von 10 mg zur Behandlung von Jugendlichen zugelassen. Ergotamin und orale Serotonin-Rezeptoragonisten sind für das Kindesalter nicht zugelassen.
Migränetherapie in Schwangerschaft und Stillzeit
In der Schwangerschaft sind die vielfältigen Therapieoptionen stark eingeschränkt. Vor einer möglichen Therapie sollte eine sorgfältige Güterabwägung getroffen und mit der Patientin besprochen werden. Als Mittel der ersten Wahl der Akuttherapie gilt Paracetamol 1 g p. o. oder als Suppositorium. Der Einsatz von 1 g Acetylsalicylsäure (z. B. ASS-Brause) sollte lediglich als Alternative und nur dem 2. Trimenon vorbehalten bleiben. Bei therapierefraktären Situationen kann i. v. Methylprednisolon (allerdings nach Rücksprache mit dem Gynäkologen) verabreicht werden. Nach wie vor sind Serotonin-Rezeptoragonisten und Ergotamin in der Schwangerschaft nicht zugelassen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass für den ersten Serotonin-Agonisten, Sumatriptan, bereits direkt nach der Zulassung ein Schwangerschaftsregister eingerichtet wurde, in dem alle gemeldeten Fälle von Triptan-Einnahme während der Schwangerschaft erfasst wurden. Auch wenn diese Daten nicht ausreichend sind, um gesicherte Schlussfolgerungen zu ziehen, weisen die bisherigen Befunde nicht auf ein erhöhtes Risiko angeborener Missbildungen oder vermehrter Komplikationen bei Schwangerschaft oder Geburt hin [56, 75, 104]. Als Prophylaxe kann Magnesiumsalz in einer Dosierung von 2 x 300 mg/d zum Einsatz kommen. In der Schwangerschaft ist auch eine Prophylaxe mit Metoprolol möglich. Grundsätzlich sollte jedoch vor einer geplanten Schwangerschaft eine nichtmedikamentöse Prophylaxe wie z. B. Jacobson-Training erlernt werden.
In der Stillzeit sollten Medikamente zum Einsatz kommen, die in der Muttermilch nicht oder nur in geringen Mengen nachzuweisen sind [123]. Beim Einsatz von Betablockern sei an die Milchgängigkeit gedacht, die bei Säuglingen zu ausgeprägten Bradykardien führen kann. Bewährt hat sich hierbei Valproinsäure als Prophylaxe.
ProphylaxeEmpfehlung
- Bei häufigen Migräneattacken sollte eine Migräneprophylaxe begonnen werden (A).
- Migräneprophylaktika der ersten Wahl sind die Betablocker (A) Metoprolol und Propranolol, der Calciumantagonist Flunarizin (A) und die Antikonvulsiva Valproinsäure (A) (Off-Label-Gebrauch) und Topiramat (A).
- Migräneprophylaktika der zweiten Wahl sind der Betablocker Bisoprolol (B), Naproxen (B), Acetylsalicylsäure (C), Magnesium (C), Pestwurz (B), Mutterkraut (B) und Amitriptylin (B).
- Die medikamentöse Therapie sollte durch nichtmedikamentöse Verfahren der Verhaltenstherapie (A) und durch Ausdauersport (B) ergänzt werden.
- Patienten mit einer hochfrequenten Migräne (≥ 3 Attacken/Monat) sowie erheblicher Einschränkung der Lebensqualität sollten einer psychologischen Therapie zugeführt werden (A).
Die Indikation zu einer medikamentösen Prophylaxe der Migräne ergibt sich bei besonderem Leidensdruck und Einschränkung der Lebensqualität:
- Drei und mehr Migräneattacken pro Monat,
- Migräneattacken, die regelmäßig länger als 72 Stunden anhalten,
- Attacken, die auf eine Therapie entsprechend den oben gegebenen Empfehlungen (inklusive Serotonin-Rezeptoragonisten) nicht ansprechen und/oder wenn Nebenwirkungen der Akuttherapie nicht toleriert werden,
- bei Zunahme der Attackenfrequenz und Einnahme von Schmerz- oder Migränemitteln an mehr als 10 Tagen im Monat,
- bei komplizierten Migräneattacken mit lang anhaltenden Auren.
Sinn der medikamentösen Prophylaxe ist eine Reduzierung von Häufigkeit, Schwere und Dauer der Migräneattacken und die Prophylaxe des medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes. Von einer Wirksamkeit einer Migräneprophylaxe spricht man bei einer Reduktion der Anfallshäufigkeit von mindestens 50 %. Zunächst soll der Patient über vier Wochen einen Kopfschmerzkalender führen, um die Anfallsfrequenz und den Erfolg oder Misserfolg der jeweiligen Attackenmedikation zu dokumentieren.
Substanzen zur Migräneprophylaxe
Sicher wirksam für die Prophylaxe der Migräne sind der nichtselektive Betablocker Propranolol [30, 60, 69, 73, 76, 92, 98, 135] und der Beta-1-selektive Betablocker Metoprolol ([76, 107, 129, 130, 158]; Tab. 5). Bisoprolol ist wahrscheinlich ebenfalls wirksam, wurde aber nur in wenigen Studien untersucht [149, 158]. Aus der Gruppe der „Calciumantagonisten“ ist, soweit derzeit beurteilbar, nur Flunarizin sicher wirksam [2, 5, 6, 12, 18, 32, 31, 57, 60, 91, 129]. Eine Dosis von 5 mg ist wahrscheinlich genauso wirksam wie 10 mg [39]. Die Studienergebnisse zu Cyclandelat sind widersprüchlich [34, 38, 99]. Wahrscheinlich ist die Substanz nicht wirksam.
In mehreren prospektiven Studien hat sich das Antikonvulsivum Valproinsäure in der Migräneprophylaxe bewährt ([58, 77, 80, 125]; Tab. 5). Die Tagesdosis beträgt 500–600 mg. Gelegentlich sind höhere Dosierungen notwendig. Valproinsäure hat in Deutschland keine Zulassung für die Migräneprophylaxe (Off-Label-Gebrauch). Topiramat hat seine migräneprophylaktische Wirkung in drei großen Plazebo-kontrollierten Studien belegt [13, 46, 127]. Die wirksame Tagesdosis liegt zwischen 25 und 100 mg. Die Aufdosierung muss langsam erfolgen (25 mg/> Woche). Limitierend sind kognitive Nebenwirkungen. Bei 10 % der Patienten kommt es zu einem Gewichtsverlust, der manchmal therapielimitierend sein kann.
Acetylsalicylsäure hat in einer Dosis von 300 mg/Tag wahrscheinlich eine geringe migräneprophylaktische Wirkung ([37]; Tab. 6). Naproxen war in Dosierungen von 2 x 500 mg besser wirksam als Plazebo. Limitierend sind hier die gastrointestinalen Nebenwirkungen bei Langzeitanwendung. Die Serotonin-Antagonisten Pizotifen und Methysergid sind ebenfalls prophylaktisch wirksam, in Deutschland aber nicht mehr erhältlich und zugelassen. Die Wirksamkeit von Magnesium ist umstritten [108, 109]. Wenn überhaupt wirksam, ist die Reduktion der Attackenfrequenz nicht sehr ausgeprägt.
Amitriptylin ist ein trizyklisches Antidepressivum. Allein gegeben ist es bei der Migräne wirksam [22, 23, 159]. Amitriptylin sollte bevorzugt zur Prophylaxe gegeben werden, wenn eine Kombination mit einem Spannungskopfschmerz vorliegt, oder wenn, wie häufig bei chronischen Schmerzen, eine zusätzliche Depression besteht. Das Antiepileptikum Gabapentin hatte in einer Studie in Tagesdosierungen von 1 200 bis 1 600 mg eine geringe prophylaktische Wirkung [95]. Hier müssen allerdings weitere Studien abgewartet werden. Lamotrigin ist in der Reduktion der Häufigkeit von Migräneattacken nicht wirksam, reduziert aber die Häufigkeit von Auren [86, 131]. Von den Dopamin-Agonisten ist wahrscheinlich Alpha-dihydroergocryptin wirksam [16]. Ob Candesartan [145] oder Lisinopril [121] wirksam sind, kann nach dem derzeitigen Stand der Studien nicht beurteilt werden. Zu hoch dosiertem Vitamin B2 gibt es nur zwei kleine monozentrische Studien, die eine Wirksamkeit vermuten lassen [118–120]. Die Substanz ist in der verwendeten Tagesdosis (400 mg) in Deutschland nicht erhältlich und nicht zugelassen.
Die meisten Plazebo-kontrollierten Studien zeigten keine migräneprophylaktische Wirkung von lokalen Injektionen mit Botulinumtoxin [52]. Dies gilt sowohl für Injektionen in vorgegebene Regionen wie bei Injektion an Triggerpunkten („Follow the pain“). Zwei bisher unveröffentlichte Studien haben eine Wirksamkeit bei der chronischen Migräne gezeigt. Dieses Ergebnis muss in einer Phase-III-Studie reproduziert werden, bevor die Therapie empfohlen werden kann.
Pestwurz hat seine Wirksamkeit in zwei Plazebo-kontrollierten Studien belegt [45]. In sehr seltenen Fällen kommt es zu schwerwiegenden Leberfunktionsstörungen. Mutterkraut [48, 110] ist ebenfalls wirksam.
Bei der zyklusgebundenen Migräne kann eine Prophylaxe mit 2 x 500 mg Naproxen sieben Tage vor bis sieben Tage nach der Periode versucht werden (⇔) [116]. Als Alternative für die Kurzzeitprophylaxe kommen Estrogen-Pflaster (100 mg) in der Phase mit Hormonabfall zum Einsatz (⇔) [26, 28]. Serotonin-Rezeptoragonisten wie 2 x 1 mg Naratriptan, 2 x 25 mg Sumatriptan oder 1 bzw. 2 x 2,5 mg Frovatriptan über 5 Tage sind ebenfalls bei der menstruellen Migräne wirksam (off-label) (⇑⇑) [101, 102].
Migräneprophylaxe bei Kindern
Bei Kindern und Jugendlichen kann zur Migräneprophylaxe Propranolol in einer Dosis von 1-2 mg/kg Körpergewicht oder Flunarizin in einer Dosis von 5 mg gegeben werden.
Verhaltenstherapie der Migräne
Patienten mit einer episodischen oder hochfrequenten Migräne (3 und mehr Attacken/Monat) können alternativ oder in Kombination mit einer medikamentösen Behandlung einer psychologischen Therapie zugeführt werden [17]. Die in der Migränetherapie angewandten psychologischen Verfahren entstammen überwiegend der Verhaltenstherapie (VT). Für diese Verfahren ist eine zur Beurteilung der Evidenz ausreichende Studienlage verfügbar. Andere Schulen bleiben die Evaluation ihrer Konzepte schuldig. Die wichtigsten unimodalen Verfahren sind die thermale, die EMG-Biofeedback-Therapie und die progressive Muskelrelaxation (PMR). Als multimodales Verfahren kommt das kognitiv-verhaltenstherapeutische Schmerzbewältigungstraining zur Anwendung. Die Therapieverfahren werden in der Migränebehandlung sowohl schmerzspezifisch (z. B. als Entspannungsverfahren bei der PMR) als auch schmerzunspezifisch angewandt. Schmerzunspezifische Verfahren zielen auf unspezifische Größen wie „Stärkung der Selbstkontrollkompetenz“ (unimodal) oder „Minimierung der Beeinträchtigung bzw. verbesserte Schmerzbewältigung“ (multimodal).
Das im Kopfschmerzbereich am besten untersuchte Entspannungsverfahren ist die progressive Muskelrelaxation (PMR, auch Jacobson-Training; [9]). Die Beurteilung der Wirksamkeit weiterer Entspannungsverfahren in der Kopfschmerzbehandlung, insbesondere von autogenem Training, Hypnose, Imagination, Meditation und Yoga, ist aufgrund fehlender Datenbasis nicht möglich.
Biofeedback
Biofeedback ermöglicht dem Patienten die exakte und bewusste Wahrnehmung von Körperfunktionen und damit die Fähigkeit zur bewussten Steuerung und Veränderung derselben. Eine unspezifische Wirkung lässt sich durch Biofeedback-gestützte Entspannung erzielen, die durch Messung der Muskelspannung (elektromyographische Biofeedback-Therapie), des Hautwiderstandes (elektrodermale Biofeedback-Therapie) oder der peripheren Körpertemperatur (thermale Biofeedback-Therapie) ermöglicht werden kann.
Wegen des hohen methodischen Aufwandes liegen für spezifische Verfahren (z. B. Neurofeedback) bei der Migräne jedoch zu wenig kontrollierte wissenschaftliche Studien für eine Evidenz-basierte Beurteilung vor.
Multimodale Verhaltenstherapie
Der multimodalen kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) liegt das biopsychosoziale Schmerzmodell zugrunde. Die KVT ist kognitiv-behavioral ausgerichtet und berücksichtigt alle Komponenten und Ebenen eines Menschen, in denen sich die Konsequenzen der Schmerzerkrankung im Einzelfall finden lassen. Das Hauptziel dieses Verfahrens ist die Minimierung der Beeinträchtigung durch den Schmerz sowie die Erhöhung der Selbstkontrolle [72]. KVT-Verfahren liegen für Kopfschmerzpatienten in gut ausgearbeiteten standardisierten Programmen vor [59], lassen sich zeit- und kostenökonomisch durchführen (unter 10 Sitzungen) und sind im Gruppensetting genauso wirksam wie im Einzelsetting.
Die Wirksamkeit (Index aus Intensität und Frequenz der Kopfschmerzen) der einzelnen Therapien und Therapiekombinationen ist Tabelle 7 zu entnehmen.
Verhaltenstherapie der chronischen Migräne
Patienten mit einem (fast) täglichen Kopfschmerz ohne Medikamenten-Abusus erzielen in einer behavioralen Behandlung geringere Erfolge als Patienten mit episodischen Kopfschmerzen (13 % vs. 52% Symptomreduktion; [4, 11]). Migränepatienten mit einem hohen Medikamentengebrauch (medikamenteninduzierter Kopfschmerz) profitieren von alleinigen verhaltenstherapeutischen Ansätzen ebenfalls in geringerem Ausmaß als Patienten mit einem „normalen“ Gebrauch (29 % vs. 52 % Symptomreduktion; [97]).
In der Behandlung von Entzugspatienten hat sich die Kombination von behavioralen und pharmakologischen Verfahren bewährt. Mathew et al. [94] fanden in einer Studie mit 200 Patienten eine bessere Effektivität für eine kombinierte versus einer unimodalen medikamentösen Behandlung (72%–86 % resp. 58 %). Blanchard et al. [10] berichteten für diese Patientengruppe eine Reduktion der Kopfschmerzaktivität von mehr als 50 %, die noch nach einem Jahr nachweisbar war. Die 61 kombiniert behandelten Migränepatienten mit medikamenteninduziertem Kopfschmerz aus der Studie von Grazzi et al. [66] berichteten noch drei Jahre nach der Behandlung weniger Kopfschmerztage, einen reduzierten Medikamentenverbrauch und eine geringere Rückfallrate als nur medikamentös behandelte Patienten.
Verhaltenstherapie der kindlichen Migräne
Metaanalysen [71] und Reviews [83] auf der Basis von Effektstärken, die Prä-Post-Veränderungen wiedergeben, zeigen die beste Wirksamkeit für tBFB- und tBFB/PMR-Verfahren. PMR als Einzelverfahren und KVT-Programme für Kinder sind im Prä-Post-Vergleich weniger wirksam, erreichen jedoch ähnliche Effekte wie prophylaktische Medikationen (serotonerge Präparate, Calciumblocker, Betablocker). KVT-Programme haben die längste Wirkungsdauer (bis zu 10 Jahren; ein validiertes multimodales Programm, das kognitiv-behaviorale und Entspannungsbausteine integriert, ist deutschsprachig von Denecke und Kröner-Herwig [27], vorgelegt worden). Alle anderen in der Behandlung der kindlichen Migräne eingesetzten Verfahren, inklusive der in Deutschland verbreiteten Migräne-Diät (oligoantigene Ernährung) und der Homöopathie, haben einen ungeklärten Stellenwert.
Alternative Therapien
Die Wirkung aerober Ausdauersportarten [82] wie Schwimmen, Joggen oder Fahrradfahren ist wissenschaftlich belegt (⇑). Physiotherapie alleine ist nicht wirksam, verbessert aber in Kombination die Rate der Betroffenen, die auf verhaltenstherapeutische Verfahren ansprechen. Für die Homöopathie liegen bei Erwachsenen randomisierte, Plazebo-kontrollierte Studien vor, die keine Wirksamkeit belegten (⇓⇓) [51, 152, 153, 155]. Akupunktur reduziert die Häufigkeit von Migräneattacken. Scheinakupunktur hat dabei dieselbe Wirksamkeit wie klassische Akupunktur.
Es besteht ein Zusammenhang zwischen einem persistierenden Foramen ovale (PFO) und Migräne mit Aura. Wahrscheinlich liegt eine gemeinsame genetische Disposition vor. Es ist nicht gerechtfertigt, einen PFO-Verschluss zur Prophylaxe der Migräne durchzuführen.
Unwirksam sind nach Auffassung der Konsensusgruppe: Manualtherapie, zervikale Manipulation, chiropraktische Therapie, lokale Injektionen in den Nacken oder die Kopfhaut, Neuraltherapie, autogenes Training, Hypnose, klassische Psychoanalyse, TENS, hyperbare Sauerstofftherapie, Ozontherapie, Gebisskorrektur, Aufbiss-Schienen, Zahnextraktion, Entfernung von Amalgamfüllungen, Diäten, Frischzelltherapie, Reizströme, Magnetströme, Psychophonie, Tonsillektomie, Fußreflexmassage, Sanierung vermeintlicher Pilzinfektionen des Darms, Hysterektomie und Corrugatorchirurgie.
Unwirksame medikamentöse Therapien
Unwirksam in der medikamentösen Therapie an Hand von Studien sind Bromocriptin, Carbamazepin, Diphenylhydantoin, Primidon, Diuretika, Clonidin, Estrogene und Gestagene, Lithium, Neuroleptika, Proxibarbal, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer [132], Diamox [148], Clomipramin, Montelukast [14] und Lanepitant [64].
Verfahren zur Konsensbildung
Korrigiert durch die Kommission Leitlinien der DGN und den Vorstand der DGN. Als Entwurf publiziert in der Zeitschrift „Kopfschmerz-News“ mit Möglichkeit des Feedbacks an die Autorengruppe. Endgültig verabschiedet in einer Sitzung der Autorengruppe am 17.12.2004 in Frankfurt.
Kooperationspartner und Sponsoren
Diese Leitlinie entstand ohne Einflussnahme oder Unterstützung durch die Industrie. Die Kosten wurden von der DGN getragen. Mit Unterstützung des BMBF im Rahmen des Deutschen Kopfschmerzkonsortiums (01EM0117).
Therapy of migraine attacks and prophylaxis of migraine
This article describes the recommendations of the Germany Society of Neurolgy for the therapy of migraine attacks and for the prophylaxis of migraine.
Literatur
Im Internet unter www.arzneimitteltherapie.de > Inhalt > 2006 > Heft 4
*Nachdruck aus: Kommission „Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie“. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2005.
**Expertengruppe
Für die DGN
Hans Christoph Diener, Universitätsklinik für Neurologie Essen
Volker Limmroth, Universitätsklinik für Neurologie Essen
Günther Fritsche, Universitätsklinik für Neurologie Essen
Kay Brune, Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Erlangen
Volker Pfaffenrath, Neurologe, München
Für die DMKG
Peter Kropp, Institut für Medizinische Psychologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Arne May, Neurologische Universitätsklinik Hamburg
Andreas Straube, Klinikum Großhadern, Neurologische Klinik der Universität München
Stefan Evers, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster
Federführend: Prof. Dr. Hans Christoph Diener, Universitätsklinik für Neurologie, Hufelandstr. 55, 45147 Essen, E-Mail: h.diener@uni-essen.de
Evidenzklassen
⇑⇑ Aussage zur Wirksamkeit wird gestützt durch mehrere adäquate, valide klinische Studien (z. B. randomisierte klinische Studien) oder durch eine oder mehrere valide Metaanalysen oder systematische Reviews. Positive Aussage gut belegt.
⇑ Aussage zur Wirksamkeit wird gestützt durch zumindest eine adäquate, valide klinische Studie (z. B. randomisierte klinische Studie). Positive Aussage belegt.
⇓⇓ Negative Aussage zur Wirksamkeit wird gestützt durch eine oder mehrere adäquate, valide klinische Studien (z. B. randomisierte klinische Studie), durch eine oder mehrere Metaanalysen bzw. systematische Reviews. Negative Aussage gut belegt.
⇔ Es liegen keine sicheren Studienergebnisse vor, die eine günstige oder ungünstige Wirkung belegen. Dies kann bedingt sein durch das Fehlen adäquater Studien, aber auch durch das Vorliegen mehrerer, aber widersprüchlicher Studienergebnisse.
Empfehlungsstärken
A Hohe Empfehlungsstärke aufgrund starker Evidenz oder bei schwächerer Evidenz aufgrund besonders hoher Versorgungsrelevanz
B Mittlere Empfehlungsstärke aufgrund mittlerer Evidenz oder bei schwacher Evidenz mit hoher Versorgungsrelevanz oder bei starker Evidenz und Einschränkungen der Versorgungsrelevanz
C Niedrige Empfehlungsstärke aufgrund schwächerer Evidenz oder bei höherer Evidenz mit Einschränkungen der Versorgungsrelevanz
Die Einstufung der Empfehlungsstärke kann neben der Evidenzstärke die Größe des Effekts, die Abwägung von bekannten und möglichen Risiken, Aufwand, Verhältnismäßigkeit, Wirtschaftlichkeit oder ethische Gesichtspunkt berücksichtigen.
Tab. 1. Therapie der akuten Migräneattacke mit Serotonin-Agonisten (Reihenfolge nach dem Jahr der Zulassung)
INN (Handelspräparat®) |
Dosis |
Nebenwirkungen |
Kontraindikationen |
|
Sumatriptan |
(⇑⇑) |
50–100 mg p. o. |
Engegefühl im Bereich der Brust und des Halses, Parästhesien der Extremitäten, Kältegefühl |
Hypertonie, koronare Herzerkrankung, Angina pectoris, Myokardinfarkt in der Vorgeschichte, Morbus Raynaud, arterielle Verschlusskrankheit der Beine, TIA oder Schlaganfall, Schwangerschaft, Stillzeit, Kinder (< 12 Jahre), schwere Leber- oder Niereninsuffizienz, multiple vaskuläre Risikofaktoren, gleichzeitige Behandlung mit Ergotamin, innerhalb von 2 Wochen nach Absetzen eines MAO-Hemmers |
Zolmitriptan |
(⇑⇑) |
2,5–5 mg p. o. |
Wie Sumatriptan |
Wie Sumatriptan |
Naratriptan |
(⇑⇑) |
2,5 mg p. o. |
Etwas geringer als Sumatriptan |
Wie Sumatriptan |
Rizatriptan |
(⇑⇑) |
10 mg p. o. oder als Schmelztablette |
Wie Sumatriptan |
Wie Sumatriptan, Dosis 5 mg bei Einnahme von Propranolol |
Almotriptan |
(⇑⇑) |
12,5 mg p. o. |
Etwas geringer als Sumatriptan |
Wie Sumatriptan |
Eletriptan* |
(⇑⇑) |
20, 40 mg p. o. |
Wie Sumatriptan |
Wie Sumatriptan |
Frovatriptan |
(⇑⇑) |
2,5 mg p. o. |
Etwas geringer als Sumatriptan |
Wie Sumatriptan |
* Bei Unwirksamkeit von 40 mg können auch 80 mg Eletriptan gegeben werden.
Tab. 2. Ergotamin für die Behandlung der akuten Migräneattacke
INN (Handelspräparat®) |
Dosis |
Nebenwirkungen |
Kontraindikationen |
|
Ergotamintartrat |
(⇑) |
2 mg p. o. |
Erbrechen, Übelkeit, Kältegefühl, Muskelkrämpfe, Dauerkopfschmerz, Ergotismus |
Schwangerschaft, Stillzeit, Kinder unter 12 Jahren, Patienten mit multiplen vaskulären Risikofaktoren, schlecht eingestellte Hypertonie, koronare Herzerkrankung, Angina pectoris, Myokardinfarkt in der Vorgeschichte, Morbus Raynaud, arterielle Verschlusskrankheit der Beine, TIA oder Schlaganfall, schwere Leber- oder Niereninsuffizienz, multiple vaskuläre Risikofaktoren |
Tab. 3. Antiemetika in der Migränetherapie
INN (Handelspräparat®) |
Dosis |
Nebenwirkungen |
Kontraindikationen |
|
Metoclopramid |
(⇑) |
10–20 mg p. o. |
Früh-dyskinetisches Syndrom, Unruhezustände |
Kinder unter 14 Jahren, Hyperkinesen, Epilepsie, Schwangerschaft, Prolaktinom |
Domperidon |
(⇔) |
20–30 mg p. o. |
Seltener als bei Metoclopramid |
Kinder unter 10 Jahren, sonst siehe Metoclopramid, aber |
Tab. 4. Analgetika zur Behandlung der Migräneattacke
INN |
Dosierung |
Nebenwirkungen |
Kontraindikationen |
|
Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin) |
(⇑⇑) |
1 000 mg |
Magenschmerzen, Übelkeit, Gerinnungsstörungen |
Magen-Darm-Ulzera, hämorrhagische Diathese, Schwangerschaft Monat 6–9 |
Ibuprofen (z. B. Aktren) |
(⇑⇑) |
200–600 mg |
Wie Acetylsalicylsäure, Ödeme |
Wie Acetylsalicylsäure (Blutungsneigung geringer), Niereninsuffizienz, LE |
Naproxen (z. B. Proxen) |
(⇑⇑) |
500–1 000 mg |
Wie Ibuprofen |
Wie Ibuprofen |
Diclofenac (Voltaren) |
(⇑⇑) |
50–100 mg |
Wie Ibuprofen |
Wie Ibuprofen |
Metamizol (z. B. Novalgin) |
(⇑) |
1 000 mg |
Allergische Reaktion, |
Erkrankungen des hämatopoetischen Systems |
Paracetamol (z. B. ben-u-ron) |
(⇑) |
1 000 mg |
Leberschäden |
Leberschäden, Niereninsuffizienz |
Acetylsalicylsäure + Paracetamol + Coffein (Thomapyrin) |
(⇑⇑) |
2-mal 250 + 200 |
Siehe Acetylsalicylsäure und Paracetamol |
Siehe Acetylsalicylsäure und Paracetamol |
Tab. 5. Substanzen zur Migräneprophylaxe
Substanzen |
Dosis |
Nebenwirkungen* |
Kontraindikationen* |
|
Metoprolol |
(⇑⇑) |
50–200 mg |
H: Müdigkeit, arterielle Hypotonie |
A: AV-Block, Bradykardie, Herzinsuffizienz, Sick-Sinus-Syndrom, Asthma bronchiale |
Flunarizin |
(⇑⇑) |
5–10 mg |
H: Müdigkeit, Gewichtszunahme |
A: fokale Dystonie, Schwangerschaft, Stillzeit, Depression |
Valproinsäure |
(⇑⇑) |
500–600 mg |
H: Müdigkeit, Schwindel, Tremor |
A: Leberfunktionsstörungen, Schwangerschaft (Neuralrohrdefekte), Alkoholmissbrauch |
Topiramat |
(⇑⇑) |
25–100 mg |
H: Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Gewichtsabnahme, Parästhesien |
A: Niereninsuffizienz, Nierensteine, Engwinkelglaukom |
* Nebenwirkungen gegliedert in H = häufig, G = gelegentlich, S = selten; Kontraindikationen gegliedert in A = absolut, R = relativ
Tab. 6. Substanzen zur Migräneprophylaxe der 2. Wahl
INN |
Dosis |
Nebenwirkungen* |
Kontraindikationen* |
|
Amitriptylin (z. B. Saroten) |
(⇑⇑) |
50–150 mg |
H: Mundtrockenheit, Müdigkeit, Schwindel, Schwitzen |
A: Engwinkelglaukom, Prostataadenom mit Restharn |
Gabapentin (Neurontin) |
(⇔) |
2 400 mg |
H: Müdigkeit, Schwindel |
Schwere Leber- oder Nierenfunktionsstörungen |
Naproxen (Proxen) |
(⇑) |
2 x 250 mg |
H: Magenschmerzen |
A: Ulkus, Blutungsneigung |
Pestwurz (Petadolex) |
(⇑) |
2 x 75 mg |
G: Aufstoßen, Magenschmerzen |
A: Schwangerschaft, Stillzeit |
Acetylsalicylsäure |
(⇔) |
300 mg |
G: Magenschmerzen |
A: Ulkus, Blutungsneigung |
Magnesiumsalz |
(⇔) |
2 x 300 mg |
H: Durchfall bei zu rascher Aufdosierung |
Keine |
Mutterkraut |
(⇑) |
3 x 6,25 mg |
S: Hautausschlag |
Keine |
Botulinumtoxin |
(⇓⇓) |
Muskelschwäche, Ptosis |
Myasthenie |
*Nebenwirkungen gegliedert in H = häufig, G = gelegentlich, S = selten; Kontraindikationen gegliedert in A = absolut, R = relativ
Tab. 7. Übersicht über die nichtmedikamentösen Therapieverfahren bei Migäne [3, 17]
Therapieverfahren |
Verbesserung der Migräneaktivität [%] |
Effektstärke |
Evidenzklasse |
Progressive Muskelrelaxation (PMR) |
32–37 |
0,55 |
(⇑⇑) |
Thermales Finger-Biofeedback (tBFB) |
35–37 |
0,38 |
(⇑⇑) |
PMR + tBFB |
33–50 |
0,40 |
(⇑) |
PMR + tBFB + Propranolol |
50–70 |
– |
(⇔) |
Muskuläres Feedback (EMG-BFB) |
40 |
0,77 |
(⇔) |
Kognitiv-behaviorale Therapie (KVT) |
35–49 |
0,44 |
(⇑⇑) |
KVT + tBFB |
38 |
0,37 |
(⇑) |
Plazebo-Medikament |
14–30 |
– |
– |
Keine Behandlung |
2 |
– |
– |
Propranolol |
44 |
– |
– |
Arzneimitteltherapie 2006; 24(04)