Schmerztherapie

Was ist beim neuropathischen Schmerz wirksam?


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Prof. Dr. med. H. C. Diener, Essen

In einer umfangreichen Metaanalyse randomisierter Studien konnte gezeigt werden, dass eine Reihe medikamentöser Therapien mit unterschiedlichen Angriffspunkten beim chronischen neuropathischen Schmerz wirksam ist.

Von chronisch neuropathischen Schmerzen spricht man, wenn ein neuropathischer Schmerz länger als 3 bis 6 Monate besteht. Es gibt eine Vielzahl von Therapieansätzen und auch viele Studien, so dass eine Metaanalyse der publizierten Daten an der Zeit war. Die Autoren aus Dänemark und England führten eine solche Analyse auf der Basis von Number needed to treat (NNT, siehe Kasten) für die Wirksamkeit und Number needed to harm (NNH) für die Verträglichkeit der Therapie durch. Die Metaanalyse bezieht sich auf alle publizierten Studien bis zum Jahr 2005, wobei die Publikationen aufgenommen wurden, die in englischer Sprache publiziert waren und bei denen es sich um doppelblinde Studien bei Patienten mit neuropathischem Schmerz handelte.

105 randomisierte, doppelblinde und Plazebo-kontrollierte Studien wurden in die Analyse aufgenommen. Bei 59 Studien wurde ein Cross-over-Design und bei 46 Studien ein Parallelgruppendesign angewandt. Es gibt 31 Studien zu Antidepressiva, 39 zu Antikonvulsiva, 11 zu Opioiden, 7 zu NMDA-Antagonisten, 9 zu Mexiletin, 4 zu topischem Lidocain, 3 zu Cannabinoiden, 11 zu Capsaicin und eine Studie zu einem Glycin-Antagonisten.

Eingeschlossen in die Studien wurden Patienten mit zentralem Schmerz nach Schlaganfall, Rückenmarksverletzung oder multipler Sklerose sowie mit postherpetischer Neuralgie, postoperativen Schmerzen, Trigeminusneuralgie und Polyneuropathien.

Die NNT, um bei einem Patienten eine mehr als 50%ige Schmerzreduktion zu erhalten, beträgt für

  • trizyklische Antidepressiva 3,1,
  • kombinierte Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer 5,5 und
  • reine Serotonin-Wiederaufnahmehemmer 6,8.

Nimmt man alle Antidepressiva zusammen, liegt die NNT bei 3,3 und die NNH bei 16.

Carbamazepin wurde fast nur bei der Trigeminusneuralgie untersucht und hat dort eine NNT von 2. Valproinsäure hat eine NNT von 2,8, wurde aber insgesamt nur bei 83 Patienten untersucht. Gabapentin und Pregabalin haben eine NNT von 4,7 und wurden bei über 1 000 Patienten untersucht. Die Opioide haben eine NNT von 2,5 und Tramadol von 3,9. NMDA-Antagonisten sind in Deutschland nicht verfügbar. Die NNT für Cannabinoide war nicht signifikant. Die topische Anwendung von Lidocain, die nur in den Vereinigten Staaten verfügbar ist, hatte eine NNT von 4,4. Bei zentralen neuropathischen Schmerzen wurden an kleinen Patientenzahlen trizyklische Antidepressiva, Carbamazepin, Lamotrigin und Valproinsäure untersucht, hier liegt die jweilige NNT zwischen 3 und 10.

Kommentar

Diese große Metaanalyse ist die derzeit beste Übersicht, um dem klinisch tätigen Arzt die Wahl verschiedener Substanzen zur Behandlung peripherer und zentraler neuropathischer Schmerzen auf einer gewissen evidenzbasierten Grundlage zu ermöglichen.

Die Autoren schlagen vor, bei peripheren neuropathischen Schmerzen die Behandlung zunächst mit trizyklischen Antidepressiva oder kombinierten Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern zu beginnen und bei nicht ausreichender Wirksamkeit zusätzlich Gabapentin oder Pregabalin einzusetzen. Wenn auch dies nicht ausreichend wirksam ist oder wenn Kontraindikationen gegen den Einsatz von trizyklischen Antidepressiva bestehen, kommen Opioide wie Tramadol oder Oxycodon zum Einsatz.

Für zentrale neuropathische Schmerzen sind am besten wirksam trizyklische Antidepressiva und Lamotrigin.

Obwohl es in der Zwischenzeit viele Studien zur Behandlung neuropathischer Schmerzen gibt, gibt es bisher keine oder nur wenige Studien, die einen direkten Vergleich der einzelnen Substanzen ermöglichen.

Quelle

Finnerup MB, et al. Algorithm for neuropathic pain treatment: an evidence based proposal. Pain 2005;118:289–305.

Number needed to treat (NNT): Die NNT gibt an, wie viele Patienten behandelt werden müssen, um bei einem Patienten ein definiertes Behandlungsziel zu erreichen (reziproker Wert der absoluten Risikoreduktion für ein bestimmtes Ereignis)

Number needed to harm (NNH): Die NNH gibt an, wie viele Patienten behandelt werden müssen, bis ein definiertes unerwünschtes Ereignis auftritt.

Arzneimitteltherapie 2006; 24(10)