Der stolze Preis des Fortschritts


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Keine Frage, die moderne Krebstherapie ist im Wandel, und zwar weg von der unspezifisch wirkenden Chemotherapie hin zu gezielt angreifenden Therapieprinzipien. Als besonders erfolgversprechend gelten Substanzen, die die gestörten Signaltransduktionsketten in der Tumorzelle an mehreren Stellen hemmen oder die Gefäßneubildung blockieren. Zur Zeit wird die Onkologie von einer Lawine solcher neuer molekular gezielter Krebstherapien quasi überrollt.

Diese Entwicklung trifft ein Gesundheitssystem, das defizitär ist und mit einer ständig steigenden Ausgabendynamik konfrontiert wird. Welche finanziellen Auswirkungen neben der demographischen Entwicklung der medizinische Fortschritt gerade im Bereich der Onkologie hat, wird an der Entwicklung der Krankenhausbudgets besonders deutlich. Waren es 1995 noch etwa 5 % des Medikamentenbudgets, die für Krebsmedikamente ausgegeben wurden, so sind es heute rund 20 %. Die Onkologie ist dabei, die Medikamentenbudgets aufzufressen, so der Kommentar eines nicht-onkologischen Chefarzts.

Zwar haben die neuen Therapieprinzipien bisher nicht immer den großen Durchbruch bei der Behandlung onkologischer Erkrankungen gebracht. Doch man wird sie kaum einem betroffenen Patienten vorenthalten können, da er mit einer Krebserkrankung immer noch einen tödlichen Ausgang assoziiert und deshalb erwartet, dass jede Innovation genutzt wird. Dies hat bereits bei einer Reihe von Tumorerkrankungen zu einer mehr als 10fachen Steigerung der Therapiekosten geführt.

Somit drängt sich die Frage auf, wie das Gesundheitssystem diese Kostenexplosion bewältigen kann. Vorrangige Aufgabe der Wissenschaft ist es, Kriterien zur Erkennung der Patienten zu erarbeiten, die wirklich von einer solchen Behandlung profitieren. Ein anderer Gesichtspunkt ist die richtige, die ausreichende Dosierung. Erste klinische Beobachtungen signalisieren, dass eventuell geringere Dosen und eine kürzere Therapiedauer die Ergebnisse nicht verschlechtern. Angesichts der hohen Medikamentenkosten ist immer wieder auf eine wirtschaftliche Anwendung hinzuweisen und darauf zu achten, dass teure Abfälle infolge unpassender Ampullengrößen vermieden werden. Ein anderer Gesichtspunkt ist die Frage, inwieweit amerikanische Richtlinien unkritisch auf Europa übertragen werden können. Wer sich die amerikanischen Leitlinien ansieht, muss zwangsläufig den Eindruck gewinnen, dass Kosten offenbar keine Rolle spielen, und dies, obwohl etwa 40 Mio. Amerikaner gar nicht oder unterversichert sich. Doch kein Gesundheitssystem der Welt wird sich der Beantwortung einer entscheidenden Frage entziehen können, nämlich was letztendlich die Lebensverlängerung um ein Jahr kosten darf.

Undiskutabel, um nicht zu sagen unethisch ist es allerdings, wenn der Arzt aufgrund des Budgetrahmens zur individuellen heimlichen Rationierung gezwungen wird. Eine Diskussion mit dem Patienten über die Kosten und die Qualität eines lebensverlängernden Jahres muss die Vertrauensbasis der Arzt-Patienten-Beziehung nachhaltig zerstören. Auch käme eine altersspezifische Rationierung in einem wohlhabenden Land wie Deutschland einer Bankrotterklärung gleich.

Aber auch die Pharmaindustrie muss bei ihrer Preisgestaltung die ökonomischen Realitäten sehen und darf die Solidargemeinschaft nicht überstrapazieren.

Sollte dies alles nicht ausreichen, wird man auch über den heute gültigen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen reden müssen. Der Ausschluss von Bagatellerkrankungen zur Finanzierung einer innovativen Tumortherapie ist keine Rationierung, sondern eine Priorisierung. Und um die wird unser Gesundheitssystem in den nächsten Jahren wohl nicht herumkommen. Dies ist der Preis, den wir für den Fortschritt zu zahlen haben, und die Politik ist gut beraten, dies den Menschen auch offen zu sagen.

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