Dr. Annemarie Musch, Stuttgart
Die zielgerichtete Therapie von Tumorerkrankungen basiert darauf, dass die Zielstruktur auf bzw. in allen Tumorzellen exprimiert wird und eine entscheidende Rolle in der Entstehung und beim Fortschreiten der Erkrankung spielt. Weiterhin muss sie selektiv durch das Therapeutikum beeinflusst werden.
CML
Bei mehr als 95 % der Patienten mit CML ist das so genannte Philadelphia-Chromosom in Knochenmarksstammzellen nachweisbar: Aufgrund chromosomaler Translokation zwischen den Chromosomen 9 und 22 wird ein Fusionsgen gebildet, das für die Expression eines Fusionsproteins mit gesteigerter Tyrosinkinase-Aktivität (BCR-ABL) kodiert.
Der Tyrosinkinase-Hemmer Imatinib (Glivec®) ermöglicht eine zielgerichtete Therapie der CML. Imatinib bindet an die ATP-Bindungsstelle der Tyrosinkinase BCR-ABL, hemmt damit die Phosphorylierung von Mediatoren der Signaltransduktion über dieses Protein und unterbricht die Signaltransduktion, was zum Zelltod (Apoptose) führt.
Mit der Zulassung von Imatinib hat sich die Prognose von CML-Patienten entscheidend verbessert. Dies konnte nach Auswertung der 5-Jahres-Daten der IRIS-Studie bestätigt werden (IRIS = International randomized interferon vs. STI571). In dieser Studie wurden 1 106 Patienten mit neu diagnostizierter CML randomisiert mit Imatinib (400 mg/d; n = 553) oder der damaligen Standardtherapie Interferon alfa plus Cytarabin (5 Mio. I.E./m2 bzw. 20 mg/m2 pro Tag an 10 Tagen im Monat; n = 553) behandelt. Nach 5 Jahren waren noch 72 % der Patienten in der Imatinib-Gruppe, 3 % hatten in die Interferon-Cytarabin-Gruppe gewechselt. Umgekehrt hatten 69 % der Patienten der Interferon-Cytarabin-Gruppe in die Imatinib-Gruppe gewechselt. Die Gründe für die Behandlungsumstellungen waren Unwirksamkeit und Unverträglichkeit der Therapie.
Nach 5 Jahren zeigten 98 % der mit Imatinib behandelten Patienten ein komplettes hämatologisches und 87 % ein komplettes zytogenetisches Ansprechen – Normalisierung des Blutbilds oder Elimination des Philadelphia-Chromosoms in Knochenmark-Zellen – gegenüber 96 % und 69 % nach einem Jahr. Das Gesamtüberleben betrug 89,4 %. Die Sterblichkeit in Folge der Erkrankung lag bei 4,6 %.
Auffallend war, dass mit zunehmender Therapiedauer das Risiko für ein Fortschreiten der Erkrankung abnahm. Weiterhin zeigte sich, dass zytogenetisches und molekulares Ansprechen (Reduktion der BCR-ABL-Transkripte) auf die Therapie nach 12 und 18 Monaten mit einer deutlichen Risikoreduktion für ein Fortschreiten der Erkrankung korrelierten. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie beispielsweise hämatologische Grad-3- und -4-Toxizitäten nahmen mit zunehmender Therapiedauer ab.
Die Therapie mit Imatinib wird in der aktualisierten europäischen Behandlungsleitlinie als First-Line-Therapie bei neu diagnostizierter CML empfohlen (Zulassung besteht seit 2003) [Baccarani M, et al. 2006]. Bei Gabe der Standarddosierung von 400 mg Imatinib täglich ist nach drei Monaten ein komplettes hämatologisches, nach 12 Monaten ein komplettes zytogenetisches und nach 18 Monaten ein molekulares Ansprechen auf die Therapie zu erwarten. Andernfalls sollte die Dosis erhöht (600 oder 800 mg/d) oder eine allogene Stammzelltransplantation durchgeführt werden. Bei Resistenzen gegenüber Imatinib wird eine allogene Stammzelltransplantation empfohlen, oder aber eine Dosissteigerung. Weitere Alternativen sind nur im Rahmen von derzeit laufenden Studien erhältlich (z. B. Nilotinib).
Bereits seit 5 Jahren ist Imatinib zur Therapie von therapierefraktären CML-Patienten in der späten chronischen Phase der Erkrankung sowie in der akzelerierten Phase oder der Blastenkrise zugelassen.
GIST
Etwa die Hälfte der Patienten mit GIST ist zum Zeitpunkt der Diagnose bereits in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium. In frühen Erkrankungsstadien ist die vollständige Resektion des Tumors die Therapie der Wahl. Im fortgeschrittenen Stadium, bei nicht operablen und/oder metastasierten Tumoren, war die Prognose der Patienten sehr ungünstig, da nur sehr wenige Patienten auf eine Chemotherapie ansprachen. Das mediane Überleben der Patienten betrug nicht mal 1 Jahr.
Durch die Therapie mit Imatinib kann das Überleben dieser Patienten um vier bis viereinhalb Jahre auf knapp fünf Jahre verlängert werden. Dies konnte in einer Langzeitnachbeobachtung über im Median 52 Monate gezeigt werden.
Imatinib hemmt die Tyrosinkinase des c-KIT-Rezeptors, eines Rezeptors für den Stammzellfaktor. Bei etwa 90 % der Patienten mit GIST konnten Mutationen im für c-KIT kodierenden Gen gefunden werden. Diese Mutationen führen zu gesteigerter Tyrosinkinase-Aktivität von
c-KIT und so zu unkontrollierter Zellproliferation.
In die randomisierte Phase-II-Studie (STIB2222) wurden 147 Patienten mit nicht resezierbaren oder metastasierten GIST eingeschlossen. Sie erhielten Imatinib in einer Dosis von 400 mg (n = 73) oder 600 mg (n = 74) täglich.
Rund 84 % der Patienten zeigten einen klinischen Nutzen der Therapie (Tab. 1).
Ein Therapieansprechen wurde nach im Median 18 Wochen erreicht und dauerte über 118 Wochen an. Das mediane Gesamtüberleben betrug 58 Monate. Patienten mit partieller Remission und Stabilisierung der Erkrankung hatten ähnliche 4-Jahres-Überlebensraten (64 vs. 62 %). Zwischen den beiden Dosierungen wurden keine Wirksamkeitsunterschiede festgestellt.
Auffallend war, dass Patienten mit Mutationen in Exon 11 des c-KIT-Gens (dies ist die häufigste Mutation) am besten auf die Therapie ansprechen. Patienten mit Exon-9-Mutationen, der zweithäufigsten Mutation im c-KIT-Gen, profitierten insbesondere von der Gabe der höheren Imatinib-Dosis.
Als Therapieerfolg bei GIST sollte entsprechend diesen Ergebnissen auch eine Stabilisierung der Erkrankung, d. h. keine weitere Zunahme des Tumorvolumens, gesehen werden. Erkennbar werden Veränderungen des Tumorgewebes wie eine Abnahme der Stoffwechselaktivität und eine Veränderung der Gewebedichte durch Umwandlung von Tumorgewebe in zystisches Gewebe.
Die Therapie mit Imatinib wird unmittelbar nach der Diagnose fortgeschrittener GIST (nicht resezierbar und/oder metastasiert) empfohlen [Blay JY, et al. 2005]. Die empfohlene Dosierung beträgt 400 mg Imatinib täglich. Kommt es zum Fortschreiten der Erkrankung kann die Dosis auf 800 mg erhöht werden. Weitere medikamentöse Therapien stehen bislang nur im Rahmen von klinischen Studien zur Verfügung: Kombination mit anderen Substanzen (z. B. RAD001, PKC412, Nilotinib) oder Therapieumstellung auf Sunitinib oder AMG706.
Quellen
Priv.-Doz- Dr. Peter Reichardt, Berlin, Prof. Dr. Thomas Fischer, Mainz, Dr. Gregor Dresemann, Dülmen. Post-ASCO-Pressegespräch „5 Jahre Imatinib – Eine Substanz, viele Optionen“, Frankfurt/Main, 27. Juni 2006, veranstaltet von der Novartis Pharma GmbH.
Baccarani M, et al. Evolving concepts in the management of chronic myeloid leukemia. Recommendations from an expert panel on behalf of the European Leukemianet. Blood 2006;[Epub ahead of print].
Blay JY, et al. Consensus meeting for the management of gastrointestinal stromal tumors. Report of the GIST Consensus Conference of 20–21 March 2004, under the auspices of ESMO. Ann Oncol. 2005;16:566–78.
Tab. 1. Ansprechen auf die Therapie mit Imatinib bei Patienten mit nicht resezierbaren oder metastasierten GIST
Imatinib 400 mg/d (n = 73) |
Imatinib 600 mg/d (n = 74) |
Alle Patienten (n = 147) |
|
Komplettes Ansprechen [n] |
0 |
2 (2,7 %) |
2 (1,4 %) |
Partielles Ansprechen [n] |
50 (68,5 %) |
48 (64,9 %) |
98 (66,7 %) |
Stabilisierung der Erkrankung [n] |
10 (13,7 %) |
13 (17,6 %) |
23 (15,6 %) |
Fortschreiten der Erkrankung [n] |
11 (15,1 %) |
6 (8,1 %) |
17 (11,6 %) |
Nicht auswertbar/unbekannt [n] |
2 (2,7 %) |
5 (6,8 %) |
7 (4,8 %) |
Nach Kriterien der Southwest Oncology Group (SWOG)
Arzneimitteltherapie 2006; 24(11)