Philadelphia-Chromosom-positive ALL

Zulassungserweiterung für Imatinib


Andrea Warpakowski, Itzstedt

Seit September 2006 ist der orale Tyrosinkinase-Hemmer Imatinib (Glivec®) in Europa auch zur Behandlung erwachsener Patienten mit Philadelphia-Chromosom-positiver akuter lymphatischer Leukämie (Ph+ ALL) in Kombination mit Chemotherapie in der Erstlinientherapie und bei rezidivierter oder refraktärer Ph+ ALL als Monotherapie zugelassen. Aktuelle Daten präsentierte die Firma Novartis Pharma auf einer Pressekonferenz anlässlich der Zulassungserweiterung in Frankfurt im Oktober 2006.

Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist mit einer Inzidenz von 1 bis 2 pro 100 000 Erwachsenen und 6,5 pro 100 000 Kindern in Deutschland eine eher seltene, dafür aber aggressiv verlaufende Krebserkrankung. Eine besonders schlechte Prognose hat die häufigste genetische Unterart der ALL, die Philadelphia-Chromosom-positive akute lymphatische Leukämie (Ph+ ALL). So überlebt die Hälfte der Erkrankten mit ALL etwa zwei Jahre, mit Ph+ ALL sind es nur acht bis neun Monate.

Das Philadelphia-Chromosom entsteht durch eine reziproke Translokation zwischen Chromosom 9 und 22 und kann bei 20 % bis 30 % der ALL-Patienten nachgewiesen werden. Die Folge dieser Translokation ist das onkogene Fusionsgen bcr-abl. Das entsprechende Protein BCR-ABL zeichnet sich durch eine gesteigerte Tyrosinkinase-Aktivität aus, die zu einer Überproduktion von Leukozyten führt. Der Tyrosinkinase-Hemmer Imatinib hemmt gezielt dieses Protein und unterdrückt so die unkontrollierte Zellproliferation.

Patienten mit neu diagnostizierter Ph+ ALL sollten wegen der rasch fortschreitenden Erkrankung so schnell wie möglich intensiv behandelt werden. In den drei Phasen der Behandlung – Induktion, Konsolidierung und Erhaltung – bildet nach wie vor die Chemotherapie die Grundlage der Therapie.

Bisher war eine allogene Stammzelltransplantation der einzige kurative Behandlungsansatz, der jedoch nicht für jeden Patienten in Frage kommt. Vor allem für ältere Patienten sind Transplantation und intensive Chemotherapie eine große Belastung.

Bei älteren Patienten primär besser Imatinib als Chemotherapie

In einer randomisierten Phase-II-Studie der German Multicenter ALL Study Group (GMALL) erhielten 52 Patienten im Alter über 55 Jahre mit neu diagnostizierter Ph+ ALL in der Induktion entweder für vier Wochen täglich 600 mg Imatinib (n = 25) oder eine altersangepasste Chemotherapie (n = 27). Die Patienten waren im Median 68 Jahre alt (Bereich 58–79 Jahre). In der Imatinib-Gruppe erreichten 96 % der Patienten eine komplette hämatologische Remission (< 5 % Blasten, ≥ 1,5 × 109/l Neutrophile, ≥ 100 × 109/l Thrombozyten) und 4 % eine partielle hämatologische Remission (unvollständige Erholung des peripheren Blutbilds, 5 % bis 25 % Blasten). In der Chemotherapie-Gruppe waren es 50 % komplette und 8 % partielle Remissionen, 35 % der Patienten sprachen nicht auf die Chemotherapie an und 8 % verstarben. Von den elf Patienten, die nur teilweise oder gar nicht auf die Chemotherapie ansprachen, hatten neun nach einer weiteren Induktionsbehandlung mit Imatinib eine komplette Remission, zwei sprachen wiederum nicht an. Schwerwiegende Infektionen traten bei 12 % der Patienten unter Imatinib und 57 % der Patienten unter Chemotherapie auf. Bei 80 bzw. 85 % der Patienten konnte eine Stammzelltransplantation vorgenommen werden.

Erstlinientherapie mit Chemotherapie plus Imatinib

Eine andere GMALL-Studie mit 92 neu diagnostizierten Patienten mit Ph+ ALL belegte, dass die gleichzeitige (n = 45) im Vergleich zur sequenziellen (n = 47) Gabe von Imatinib und Chemotherapie als Erstlinientherapie wirksamer war. Nach Abschluss der Induktion erreichten mit der parallelen Gabe und mit zwei sequenziellen Induktionszyklen jeweils 95 % der Patienten eine komplette hämatologische Remission. Eine komplette molekulare Remission – mit der PCR sind keine bcr-abl-Transkripte mehr nachweisbar – erreichten dagegen 52 % der Patienten mit gleichzeitiger und 19 % mit sequenzieller Verabreichung.

Bessere Prognose bei kompletter molekularer Remission

Haben Patienten nach einer Stammzelltransplantation noch eine minimale Resterkrankung, liegt die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs bei mehr als 90 %. Sprechen diese Patienten auf eine Monotherapie mit Imatinib früh mit einer kompletten molekularen Remission an, kann das krankheitsfreie Überleben verlängert werden. Das belegte eine Studie mit 27 Patienten mit Ph+ ALL, bei denen nach einer Transplantation noch bcr-abl-Transkripte nachgewiesen werden konnten. Bei 52 % der Patienten trat nach im Median 1,5 Monaten eine komplette molekulare Remission auf, die unter Imatinib-Therapie weiter anhielt. Von ihnen überlebten 91 % bzw. 54 % 12 bzw. 24 Monate krankheitsfrei; ohne molekulares Ansprechen waren es nach 12 Monaten nur 8 % (Abb. 1). Ist eine minimale Resterkrankung auch noch nach zwei bis drei Monaten nachweisbar, reicht die Monotherapie mit Imatinib für ein molekulares Ansprechen nicht aus und eine zusätzliche Therapie sollte eingeleitet werden.

Quelle

Priv.-Doz. Dr. Oliver Ottmann, Frankfurt; Pressekonferenz „Wendepunkt in der Therapie der Ph+ ALL: Zulassungserweiterung von Imatinib“, Frankfurt, 13. Oktober 2006, veranstaltet von Novartis Pharma.

Abb. 1. Krankheitsfreies Überleben und Gesamtüberleben mit und ohne minimale Resterkrankung unter Imatinib (nach Stammzelltransplantation)

Arzneimitteltherapie 2007; 25(02)