Diabetes mellitus Typ 2

DPP-IV-Hemmer Sitagliptin – viel versprechend


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. Annemarie Musch, Stuttgart

Der DPP-IV-Hemmer Sitagliptin führte sowohl in der Monotherapie als auch in Kombination mit Metformin oder Pioglitazon bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 zu einer deutlichen Verbesserung der glykämischen Kontrolle. Entsprechend dem Wirkungsmechanismus, der Steigerung der Spiegel von aktivem GLP-1, welches als Inkretin Glucose-abhängig zu einer gesteigerten Insulin-Sekretion durch die pankreatischen Beta-Zellen führt, war das Hypoglykämie-Risiko nicht erhöht. Aktuelle Daten der klinischen Entwicklung wurden bei einem von MSD Sharp & Dohme veranstalteten Symposium im Rahmen der 42. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Kopenhagen im September 2006 vorgestellt.

Bei der Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 wird eine normnahe Einstellung der Blutzucker-Werte angestrebt, die entsprechenden Zielwerte der Deutschen Diabetesgesellschaft sind 80 bis 120 mg/dl für präprandiale oder Nüchternblutzucker-Werte und < 6,5 % für den HbA1c-Wert. Kann dieses Ziel nicht mit einer Lebensstilumstellung bei den Patienten erreicht werden, ist eine zusätzliche medikamentöse Therapie notwendig. Denn durch die konsequente glykämische Kontrolle kann das Risiko für Folgeerkrankungen und Komplikationen gesenkt werden. Allerdings wird das Fortschreiten der Erkrankung nicht gestoppt, wie aus Ergebnissen der UKPDS hervorgeht: Nüchternblutzucker- und HbA1c-Wert verschlechtern sich im Verlauf, die Beta-Zellfunktion nimmt ab.

Eine neue Klasse antidiabetisch wirksamer Arzneistoffe setzt hier an: Arzneistoffe, die den Inkretin-Effekt verstärken, können die Funktion pankreatischer Beta-Zellen, das heißt die Glucose-abhängige Insulin-Sekretion, steigern. Dieses neue Wirkungsprinzip basiert auf der Beobachtung, dass bei Typ-2-Diabetikern der Inkretin-Effekt vermindert ist, was bedeutet, dass bei den Patienten nach oraler Glucose-Gabe im Vergleich zur intravenösen Gabe von Glucose keine rasche und deutliche Steigerung der Insulin-Sekretion festgestellt werden kann. Bei Gesunden werden postprandial Dünndarmhormone – „Gastric inhibitory peptide“ und „Glucagon-like-peptide-1“ (GIP bzw. GLP-1, Inkretine) – freigesetzt, die die Insulin-Sekretion der Beta-Zellen steigern.

Die Ursache für den verminderten Inkretin-Effekt scheint unter anderem eine verminderte GLP-1-Sekretion und eine verminderte Sensitivität der Beta-Zellen gegenüber GLP-1-zu sein. Dem kann aktuellen Daten zufolge durch die Hemmung der Dipeptidylpeptidase-IV (DPP-IV) begegnet werden. Die DPP-IV sorgt für einen außerordentlich raschen Abbau von endogenem GLP-1. DPP-IV-Hemmer bewirken daher eine Erhöhung der endogenen Spiegel an aktivem GLP-1.

Die klinische Entwicklung des oralen DPP-IV-Hemmers Sitagliptin ist bereits weit vorangeschritten. Die pharmakokinetischen Daten sind in Tabelle 1 zusammengestellt.

Monotherapie

In zwei randomisiert, doppelblind und Plazebo-kontrolliert durchgeführten Phase-III-Studien wurden die Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Sitagliptin-Monotherapie bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 über den Zeitraum von 18 bzw. 24 Wochen untersucht. In beiden Studien erhielten die Patienten (n = 512 bzw. n = 741), die nach einer zweiwöchigen einfachblinden „Run-in“-Phase – in der sie Plazebo erhielten – einen HbA1c-Wert im Bereich von ≥ 7 und ≤ 10 % aufwiesen, entweder 100 bzw. 200 mg Sitagliptin täglich oder Plazebo.

Die Kriterien für die Wirksamkeit der Behandlung waren der Einfluss auf den HbA1c-Wert sowie Nüchtern- und postprandiale Blutzucker-Spiegel.

In beiden Studien wurde der HbA1c-Wert durch die Gabe von Sitagliptin im Vergleich zur Plazebo-Gabe signifikant gesenkt:

  • Nach 18 Wochen sank der HbA1c-Wert von durchschnittlich 8,1 % Plazebo-korrigiert um 0,60 Prozentpunkte in der 100-mg- und um 0,48 Prozentpunkte in der 200-mg-Gruppe (jeweils p < 0,001)
  • Nach 24 Wochen zeigte sich eine Reduktion des HbA1c-Werts von im Mittel 8,0 % Plazebo-korrigiert um 0,79 bzw. 0,94 Prozentpunkte in der 100-mg- bzw. der 200-mg-Gruppe (jeweils p < 0,001)

Bei Patienten mit einem höheren Ausgangs-HbA1c-Wert (≥ 9 %) zeigte sich dieser Effekt stärker als bei Patienten mit niedrigerem Ausgangswert (z. B. < 8 %).

Die Nüchtern- und die postprandialen (sofern Daten der 18-wöchigen Studie vorlagen, n = 180) Blutzucker-Spiegel konnten in beiden Studien durch die Therapie mit Sitagliptin im Vergleich zu Plazebo signifikant gesenkt werden (Tab. 2). Weiterhin wurde in beiden Studien eine Verbesserung der Beta-Zellfunktion festgestellt, beispielsweise gemessen an einem signifikant niedrigeren Proinsulin-Insulin-Verhältnis.

Die Therapie wurde gut vertragen, es wurde keine deutliche Zunahme von Hypoglykämien und gastrointestinalen Nebenwirkungen beobachtet. Die Patienten nahmen in allen Studiengruppen leicht ab. In der 24-wöchigen Studie wurde in der Plazebo-Gruppe eine gegenüber den Sitagliptin-Gruppen signifikante Gewichtsreduktion festgestellt (–1,1 kg bei Gabe von Plazebo vs. –0,2 und –0,1 kg bei der Gabe von 100 mg bzw. 200 mg Sitagliptin, p < 0,01).

Es konnten keine signifikanten Unterschiede in der Wirksamkeit und Verträglichkeit der verschiedenen Sitagliptin-Dosierungen ausfindig gemacht werden.

Kombination mit Metformin oder Pioglitazon

Neue Ergebnisse zur Kombinationstherapie mit Sitagliptin bei Typ-2-Diabetikern, bei denen bislang keine zufrieden stellende Einstellung des Blutzucker-Spiegels erreicht wurde (HbA1c-Wert ≥ 7 und ≤ 10 %), liegen aus zwei randomisierten, doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Phase-III-Studien vor:

  • Kombination mit Metformin (n = 701): 100 mg Sitagliptin täglich wurden über 24 Wochen zusätzlich zu einer laufenden Metformin-Therapie gegeben (≥ 1 500 mg/d,
    maximal wirksame Dosis)
  • Kombination mit Pioglitazon (n = 353): 100 mg Sitagliptin pro Tag wurden über 24 Wochen zusätzlich zu einer laufenden Therapie mit Pioglitazon (stabile Dosierung seit 8 bis 14 Wochen) gegeben

In beiden Studien konnte durch die zusätzliche Gabe von Sitagliptin eine signifikante Reduktion des HbA1c-Werts nach 24 Wochen im Vergleich zur Ausgangssituation gezeigt werden (Abb. 1).
Weiterhin erreichte ein signifikant größerer Anteil der Patienten, die zusätzlich Sitagliptin erhielten, den HbA1c-Zielwert von < 7 % (47 vs.18 % in der Sitagliptin-Metformin-Studie und 45 vs. 23 % in der Sitagliptin-Pioglitazon-Studie; jeweils p < 0,001).

Die Kombinationstherapie führte zu einer deutlichen Reduktion im Nüchtern-Blutzucker-Spiegel; bei der Sitagliptin-Metformin-Kombinationstherapie wurde auch über eine deutliche Reduktion postprandialer Blutzucker-Spiegel berichtet. Außerdem wurde mit der Kombinationstherapie eine signifikante Verbesserung der Beta-Zellfunktion beobachtet (z. B. niedrigeres Proinsulin-Insulin-Verhältnis).

Die zusätzliche Gabe von Sitagliptin erhöhte das Risiko für Hypoglykämien nicht, auch gastrointestinale Nebenwirkungen traten nicht signifikant häufiger auf. Es wurde kein zusätzlicher Effekt auf das Körpergewicht der Patienten festgestellt.

In einer weiteren Phase-III-Studie über 52 Wochen konnten die positiven Effekte der Kombinationstherapie mit Sitagliptin bestätigt werden. Die eingeschlossenen Typ-2-Diabetiker (n = 1 172), die zusätzlich zu einer Metformin-Therapie (stabile Dosis ≥ 1 500 mg/d) randomisiert 100 mg Sitagliptin oder bis zu 20 mg Glipizid täglich erhielten, zeigten eine mit der aktiven Kontrolle vergleichbare Einstellung des Blutzucker-Spiegels, gemessen an der durchschnittlichen Reduktion des HbA1c-Werts gegenüber der Ausgangssituation um 0,67 Prozentpunkte in beiden Gruppen (p < 0,001 gegenüber der Ausgangssituation). 62,8 % der Patienten in der Sitagliptin-Metformin-Gruppe und 58,9 % der Patienten in der Glipizid-Metformin-Gruppe erreichten einen HbA1c-Wert < 7 %.

Die eingeschlossenen Patienten litten seit durchschnittlich 6 Jahren an Diabetes mellitus Typ 2 und hatten bislang nicht ausreichend von der Gabe von Metformin profitiert: Der mittlere HbA1c-Wert lag zu Studienbeginn bei 7,5%.

Auffallend war der deutlich unterschiedliche Effekt auf das Körpergewicht der Patienten: Die Gewichtsreduktion bei Patienten der Sitagliptin-Metformin-Gruppe um durchschnittlich 1,5 kg und die Gewichtszunahme bei den Patienten der Glipizid-Metformin-Gruppe um durchschnittlich 1,1 kg führten zu einem signifikanten Unterschied im Körpergewicht der Patienten (p < 0,001). Weiterhin traten bei der Kombination von Metformin mit dem Sulfonylharnstoff Glipizid deutlich häufiger Hypoglykämien auf: 32 vs. 4,9 %; p < 0,001).

Fazit

Bislang konnte gezeigt werden, dass die Therapie mit Sitagliptin den Blutzucker-Spiegel positiv beeinflussen kann, sowohl in der Mono- als auch in der Kombinationstherapie. In einem direkten Vergleich der Kombinationstherapie mit Metformin und Sitagliptin einerseits und Metformin und Glipizid andererseits konnte eine vergleichbare Wirksamkeit gezeigt werden. Hierbei wurde bislang – dem Wirkungsmechanismus entsprechend (GLP-1 steigert die Insulin-Sekretion der pankreatischen Beta-Zellen Glucose-abhängig) – kein gesteigertes Hypoglykämie-Risiko durch die Gabe von Sitagliptin beobachtet. Vielmehr bestand im direkten Vergleich der Kombinationstherapie ein gegenüber der Kombination von Metformin mit Glipizid niedrigeres Hypoglykämie-Risiko. Gastrointestinale Nebenwirkungen, wie sie in Studien mit GLP-1-Analoga auftraten, wurden nicht vermehrt festgestellt.

Besonders viel versprechend ist die nachgewiesene Verbesserung der Beta-Zellfunktion, ebenso wie die Beobachtung, dass die Therapie nicht zu einer Gewichtszunahme bei den Patienten führt, vielmehr (sofern nicht „gewichtsneutral“) eine leichte Reduktion beobachtet wurde.

Ende März 2007 wurde Sitagliptin (Januvia®) von der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA zur Therapie von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 zugelassen: Sitagliptin darf zusätzlich zur Therapie mit Metformin oder Thiazolidindionen bei Patienten eingesetzt werden, die trotz der Einnahme von Metformin oder einem Thiazolidindion und einer Lebensstiländerung bislang keine zufriedenstellende Blutzucker-Kontrolle erreichten.

In Mexiko und in den USA erfolgte die Zulassung für Sitagliptin bereits im letzten Jahr, hier ist es zugelassen zur Behandlung von Patienten (Monotherapie oder Kombination mit Metformin oder Thiazolidindionen) mit nicht zufriedenstellender Blutzucker-Kontrolle trotz Lebensstiländerung.

Quellen

Prof. Dr. med. Michael Nauck, Deutschland, Prof. Dr. Philip Home, Großbritannien, Prof. Dr. Steven Kahn, USA, Prof. Dr. Jens Juul Holst, Dänemark, Prof. Dr. Peter Stein, USA. Symposium „Clinical Experience with DPP-4 Inhibitors: A New and Different Approach for Treating Type 2 Diabetes Through Incretin Enhancement“, veranstaltet von MSD Sharp & Dohme im Rahmen der 42. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD), Kopenhagen, 13. September 2006.

U.K. prospective diabetes study 16. Overview of 6 years’ therapy of type II diabetes: a progressive disease. U.K. Prospective Diabetes Study Group. Diabetes 1995;44:1249–58.

Herman G, et al. Sitaglitpin, a DPP-4 inhibitor: an overview of the pharmacokinetic (PK) profile and the propensity for drug-drug interactions (DDI). 42nd EASD Annual Meeting, Copenhagen – Malmoe, 14–17 September 2006: Abstract 0795.

Raz I, et al. Efficacy and safety of sitagliptin over 18 weeks in patients with type 2 diabetes. 42nd EASD Annual Meeting, Copenhagen – Malmoe, 14–17 September 2006: Abstract 0794.

Aschner P, et al. Sitagliptin in monotherapy improved glycemic control in patients with type 2 diabetes. 42nd EASD Annual Meeting, Copenhagen – Malmoe, 14–17 September 2006: Abstract 0005.

Charbonnel B, et al. Efficacy and safety of sitagliptin added to ongoing metformin therapy in type 2 diabetes patients who were inadequately controlled on metformin alone. 42nd EASD Annual Meeting, Copenhagen – Malmoe, 14–17 September 2006: Abstract 0006

Rosenstock J, et al. Addition of sitagliptin to pioglitazone improved glycemic control with neutral weight effect over 24 weeks in inadequately controlled type 2 diabetes. 42nd EASD Annual Meeting, Copenhagen – Malmoe, 14–17 September 2006: Abstract 0039.

Tab. 1. Pharmakokinetische Daten von Sitagliptin [nach Herman G, et al. 2006]

Pharmakokinetik: dosisabhängig, keine Beeinflussung durch Nahrungsaufnahme

Bioverfügbarkeit: 87 %

Verteilungsvolumen: 198 l

Halbwertszeit: 10–12 h (ermöglicht einmal tägliche Gabe)

Plasmaproteinbindung: gering (38 %)

Metabolismus: zu einem geringen Anteil über Cytochrom-P450(CYP)-Isoenzym 3A4 und CYP2C8

Elimination: überwiegend unverändert über die Nieren (Substrat für P-Glykoprotein)

Wechselwirkungen: bislang keine bedeutenden Hinweise

Tab. 2. Einfluss der Sitagliptin-Therapie auf Nüchtern- und postprandiale Blutzucker-Spiegel (angegeben ist die durchschnittliche Plazebo-korrigierte Änderung gegenüber der Ausgangssituation) [nach Raz I, et al 2006; Schner P, et al. 2006]

100 mg Sitagliptin

200 mg Sitagliptin

Reduktion der Nüchtern-Blutzucker-Spiegel:
nach 18 Wochen
nach 24 Wochen


–1,09 mmol/l*
–1,0 mmol/l*


–0,94 mmol/l*
–1,2 mmol/l*

Reduktion der postprandialen Blutzucker-Spiegel (2 h nach einer Mahlzeit):
nach 18 Wochen
nach 24 Wochen



–2,57 mmol/l*
–2,6 mmol/l*



–2,92 mmol/l*
–3,0 mmol/l*

* signifikant im Vergleich mit Plazebo (jeweils p < 0,001)

Abb. 1. Einfluss der zusätzlichen Sitagliptin-Gabe (100 mg täglich) zu einer bereits laufenden Therapie mit Metformin oder Pioglitazon auf den HbA1c-Wert von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 (angegeben sind Mittelwert und Standardabweichung, Plazebo-korrigierte Veränderung gegenüber der Ausgangssituation) [nach Rosenstock J, et al 2006; Charbonnel B, et al. 2006]

Arzneimitteltherapie 2007; 25(05)