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Das multiple Myelom ist eine lymphoproliferative Erkrankung des B-Zellsystems, die vor allem das Knochenmark betrifft. Die Erkrankungsursache ist unklar. Charakteristisch ist die monoklonale, gesteigerte Proliferation entarteter Plasmazellen im Knochenmark. Durch die gesteigerte Proliferation der Myelomzellen kommt es zur Verdrängung blutbildenden Gewebes aus dem Knochenmark, als Folge können bei den Patienten Anämie, Infekt-anfälligkeit und verstärkte Blutungsneigung auftreten. Weiterhin kann es zur Zerstörung des umliegenden Knochens durch die Aktivierung von Osteoklasten und zu Durchblutungsstörungen und/oder Nierenschäden unter anderem durch die Freisetzung und Ablagerung von Paraproteinen (d. h. monoklonalen Immunglobulinen ohne Antikörperfunktion, die von den Myelomzellen produziert werden) in den Nieren kommen.
Die Prognose der Erkrankung ist schlecht, unbehandelt liegt das mediane Überleben unter einem Jahr. Eine dauerhafte Heilung der Patienten ist nach derzeitigem Wissensstand vermutlich nicht möglich. Als Standardtherapie wird in der Leitlinie zur Behandlung des multiplen Myeloms bei jüngeren Patienten, d. h. bei Patienten unter 65 Jahren, wann immer möglich eine autologe Blutstammzelltransplantation nach Hochdosischemotherapie mit Melphalan empfohlen. Die mediane Überlebenszeit der Behandelten beträgt vier bis fünf Jahre. Für Patienten über 65 Jahre wird die Gabe von Melphalan und Prednison (MP, „Alexanian-Schema“; oder Bendamustin/Prednison [BP]) empfohlen, alternativ kann eine Kombination von Vincristin, Adriamycin (= Doxorubicin [INN]) und Dexamethason gegeben werden (= VAD-Schema). Die mediane Überlebenszeit beträgt hier zwei bis drei Jahre.
In derzeitigen Forschungsansätzen wird unter anderem der Einsatz neuer Substanzen wie Lenalidomid (siehe Kasten) untersucht, sowohl in der Erstlinienbehandlung der Patienten, als auch in der Erhaltungstherapie nach einer Stammzelltransplantation oder die Kombination verschiedener neuer Substanzen bei Patienten mit rezidivierter oder therapierefraktärer Erkrankung.
Viel versprechende Ergebnisse zur Therapie mit Lenalidomid liegen bereits aus zwei Phase-III-Studien bei Patienten mit multiplem Myelom, die entweder ein Rezidiv erlitten oder aber auf eine vorangegangene Therapie nicht ansprachen, vor.
Die beiden Phase-III-Studien (MM-009 n = 354; MM-010 n = 351) wurden multizentrisch durchgeführt, in beiden Studien wurde die Gabe von Lenalidomid plus Dexamethason mit einer Dexamethason-Monotherapie verglichen. Die Einschlusskriterien dieser Studien waren maximal 3 vorangegangene Behandlungen, keine Dexamethason-Resistenz und eine normale Leber- und Nierenfunktion.
Die Patienten der Lenalidomid-Dexamethason-Gruppe erhielten jeweils 4 Zyklen Lenalidomid in einer Dosierung von 25 mg täglich (Tag 1–21), gefolgt von Plazebo (Tag 22–28) sowie Dexamethason in einer täglichen Dosis von 40 mg (Tag 1–4, 9–12, 17–20). Die Patienten der Dexamethason-Gruppe erhielten jeweils 4 Zyklen Dexamethason in dem beschriebenen Applikationsmuster und Plazebo an den Tagen 1 bis 28.
Die Behandlung erfolgte bis zum Fortschreiten der Erkrankung.
Primärer Endpunkt war die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung (Bladé-Kriterien). Sekundäre Endpunkte waren unter anderem das Gesamtüberleben und die Ansprechraten.
Durch die kombinierte Gabe von Lenalidomid und Dexamethason konnte bei den zu einem großen Teil umfassend vorbehandelten Patienten die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung gegenüber der alleinigen Gabe von Dexamethason signifikant verlängert werden (Tab. 1). Hierbei konnte zudem gezeigt werden, dass die Kombinationstherapie im Vergleich zur Dexamethason-Monotherapie in der MM-010-Studie unabhängig von der Zahl der Vorbehandlungen (1, 2 oder ≥ 3) die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung deutlich verlängerte (Tab. 2).
Unerwünschte Wirkungen vom Schweregrad 3 und 4 waren insbesondere Neutropenie und thromboembolische Ereignisse. Beide traten in der MM-010-Studie bei Patienten, die Lenalidomid plus Dexamethason erhielten, häufiger auf als bei Patienten mit Dexamethason-Monotherapie (16,5 % vs. 1,2 % und 8,5 % vs. 4,5 %). Ein ähnliches Bild zeigte sich auch in der MM-009-Studie.
Das Sicherheitsprofil wird insgesamt als beherrschbar beurteilt. Es sollte an eine Prophylaxe thromboembolischer Komplikationen mit Heparin bei den Patienten gedacht werden.
Lenalidomid ist in den USA seit 2006 zur Behandlung von Patienten mit multiplem Myelom, die bereits eine Standardtherapie erhalten hatten, zugelassen in Kombination mit Dexamethason. Die Zulassung wurde in Europa beantragt.
Quellen
Prof. Dr. med. Arnold Ganser, Hannover, Priv.-Doz. Dr. med. Axel Glasmacher, München, Prof. Dr. med. Norbert Gattermann, Düsseldorf, Dr. med. Aristoteles Giagounidis, Duisburg, Prof. Dr. med. Hermann Einsele, Würzburg, Prof. Dr. med. Heinz Ludwig, Wien, Satellitensymposium „Neue Paradigmen in der Behandlung der Myelodysplastischen Syndrome und Multiplen Myelome”, veranstaltet von der Celgene Deutschland GmbH im Rahmen der Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie 2006, Leipzig, 5. November 2006.
Weber DM, et al. Lenalidomide plus high-dose dexamethasone provides improved overall survival compared to high-dose dexamethasone alone for relapsed or refractory multiple myeloma (MM): results of a North American phase III study (MM-009). J Clin Oncol 2006;24:Abstract 7521.
Weber D, et al. Lenalidomide plus high-dose dexamethasone provides improved overall survival compared to high-dose dexamethasone alone for relapsed or refractory multiple myeloma (MM): results of 2 phase III studies (MM-009, MM-010) and subgroup analysis of patients with impaired renal function. Blood 2006;108:Abstract#3547.
Dimopoulos M, et al. Study of Lenalidomide plus dexamethasone versus dexamethasone alone in relapsed or refractory multiple myeloma (MM): results of a phase 3 study (MM-010). Blood 2005;106:Abstract 6.
Dimopoulos M, et al. Lenalidomide (Revlimid) combination with dexamethasone (dex) is more effective than dex alone in patients with relapsed or refractory multiple myeloma and independent of number of previous treatments. Haematologica 2006;91:Abstract 0494.
Lenalidomid
Lenalidomid (CC-5013) gehört zu einer Gruppe patentgeschützter immunmodulatorisch wirkender Arzneistoffe (IMiD® = immunomodulatory drugs), die bei der systematischen chemischen Modifikation von Thalidomid – zunächst mit dem Ziel, den TNF-α inhibierenden Effekt von Thalidomid zu verstärken – entstanden. Zytokine wie TNF-α scheinen eine wichtige Rolle für das Wachstum und Überleben von multiplen Myelomzellen zu spielen. Lenalidomid wirkt immunmodulierend, hemmt aber beispielsweise auch die Angiogenese und die Zellproliferation. Weiterhin wurde eine entzündungshemmende Wirkung nachgewiesen. Die Wirkungsweise ist aber noch nicht vollständig verstanden.
Tab. 1. Wirksamkeit der Therapie mit Lenalidomid in Kombination mit Dexamethason bei Patienten mit rezidiviertem oder therapierefraktärem multiplem Myelom im Vergleich zur Gabe von Dexamethason plus Plazebo – Ergebnisse von zwei Phase-III-Studien (Auswahl; im Median 17,1 [MM-009] und 16,5 Monate [MM-010] nach Randomisierung)
MM-009 |
MM-010 |
|||||
Len/Dex (n = 170) |
Dex (n = 171) |
p-Wert |
Len/Dex (n = 176) |
Dex (n = 175) |
p-Wert |
|
Primärer Endpunkt |
||||||
Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung, median [Monate] |
11,1 |
4,7 |
< 0,001 |
11,3 |
4,7 |
< 0,001 |
Sekundäre Endpunkte |
||||||
Gesamtüberleben, median [Monate] |
29,6 |
20,5 |
< 0,001 |
n. b. |
20,6 |
< 0,001 |
Therapieansprechen [%]* |
|
|
|
|
|
|
*Ansprechen nach den Kriterien der European Group for Blood and Marrow Transplantation (EBMT)
Len/Dex = Lenalidomid/Dexamethason; Dex = Dexamethason
n. b. = nicht bestimmbar
Tab. 2. Wirksamkeit der Therapie mit Lenalidomid und Dexamethason bei Patienten mit multiplem Myelom im Vergleich zur Dexamethason-Monotherapie – Ergebnisse im primären Endpunkt, der Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung, abhängig von der Anzahl der Vortherapien
Vorbehandlungen [n] |
Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung, median [Wochen] |
||
Lenalidomid/Dexamethason |
Dexamethason |
p-Wert |
|
1 |
Nicht erreicht |
20,1 |
0,003 |
2 |
78,0 |
20,1 |
< 0,001 |
≥ 3 |
40,9 |
20,1 |
< 0,001 |
Arzneimitteltherapie 2007; 25(07)