Hyponatriämie durch Antidepressiva?


Gerd Luippold, Tübingen

Eine 69-jährige Patientin wird mit zunehmender Vigilanzminderung und Verschlechterung des Allgemeinzustands in die internistische Notfallaufnahme eines Krankenhauses gebracht. Bekannt ist eine schwere Depression, die seit zwei Wochen mit dem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Citalopram (20 mg 1–0–0) behandelt wird. Laborchemisch wird eine schwere Hyponatriämie von 110 mmol/l festgestellt. Die Plasmaosmolalität ist erniedrigt, während die Urinosmolalität mit 410 mosmol/kg im oberen Normbereich liegt. Die Patientin weist keine Zeichen einer Überwässerung auf.
Welches therapeutische Vorgehen zum Ausgleich der Hyponatriämie ist sinnvoll?
Mit welchen unerwünschten Arzneimittelwirkungen ist bei selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) zu rechnen? 
Welche Medikamente können eine Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) verursachen?

Ausgleich der Hyponatriämie

Unter der Verdachtsdiagnose eines SIADH wurde eine Flüssigkeitsrestriktion mit vorsichtiger Diuretika-Gabe (Furosemid [Lasix®] 20 mg 1–0–0) sowie die Substitution des Natriumdefizits mit 0,9%-iger NaCl-Lösung vorgenommen. Alternativ wird gerade beim SIADH die kontrollierte Infusion von hypertoner Kochsalzlösung empfohlen. Die Korrektur des Serum-Natriumwerts sollte langsam erfolgen und sollte um maximal 10 mmol/l pro Tag angehoben werden (Gefahr der pontinen Myelinolyse). Differenzialdiagnostisch konnten paraneoplastische oder pulmonale Grunderkrankungen, Störungen des ZNS oder eine Hypothyreose ausgeschlossen werden. Ursächlich für das SIADH erschien die kürzlich begonnene Medikation mit Citalopram, die umgehend abgesetzt wurde.

Unerwünschte Wirkungen von SSRI

Citalopram (z. B. Cipramil®) gehört wie zum Beispiel Paroxetin (z. B. Seroxat®, Tagonis®), Sertralin (z. B. Gladem®) und Fluoxetin (z. B. Fluctin®) zur Substanzklasse der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Gegenwärtig werden die SSRI wegen des günstigen Nebenwirkungsprofils häufig zur Behandlung von Depressionen eingesetzt [1]. Gegenüber den früher weit verbreiteten trizyklischen Antidepressiva weisen sie praktisch keine anticholinergen oder kardiotoxischen Effekte auf. Sie wirken nicht sedierend und verursachen in der Regel keine Gewichtszunahme. Zu Therapiebeginn sind Übelkeit und Erbrechen sowie andere gastrointestinale Störungen wie Diarrhö oder Appetitlosigkeit häufig. Diese Nebenwirkungen sind über eine Aktivierung der 5-HT3-Rezeptoren zu erklären. Gehäuft treten auch Kopfschmerzen auf. Seltener wird über Schwindel, Schlafstörungen und Agitiertheit berichtet. Für die sexuellen Funktionsstörungen wie Libidoverlust, Anorgasmie und Impotenz ist ursächlich die Aktivierung von 5-HT2A-Rezeptoren verantwortlich. Intoxikationen mit SSRI führen zum sogenannten Serotonin-Syndrom, das mit Hyperthermie, Übelkeit, Erbrechen, Verwirrtheit, psychomotorischer Unruhe, Tremor, Myoklonus und eventuell Krämpfen einher geht [2]. Bei Kindern und Jugendlichen ist die Anwendung von SSRI möglicherweise mit Suizidgedanken und feindseligem Verhalten assoziiert. Elektrolytstörungen kommen bei der Behandlung mit SSRI eher selten vor. Es liegen etwa 30 Kasuistiken über schwere Hyponatriämien unter SSRI vor [3]. Die Inzidenz wird bei älteren Patienten mit 4,7/1 000 Patienten pro Jahr angegeben [4].

Wie entsteht eine Hyponatriämie?

Die Hyponatriämie (Serum-Natriumkonzentration < 135 mmol/l) ist eine häufige Elektrolytstörung. Klinisch stehen neurologische Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerz, Lethargie und Muskelkrämpfe im Vordergrund. Man unterscheidet hypoosmolale, isoosmolale und hyperosmolale Formen. Fälle mit niedriger Serumosmolalität können durch ein SIADH, das auch Schwartz-Bartter-Syndrom genannt wird, hervorgerufen werden. Kennzeichen des SIADH sind Wasserretention und Verdünnungshyponatriämie. Es entsteht durch eine pathologisch erhöhte ADH-Sekretion. Das antidiuretische Hormon (ADH) wird im Hypophysenhinterlappen ausgeschüttet und bewirkt eine Harnkonzentrierung durch Aufnahme von freiem Wasser aus dem Urin in die distalen Nierentubuli und die Sammelrohre. Für das SIADH wegweisend sind eine Hyponatriämie und Hypoosmolalität des Serums bei gleichzeitig hyperosmolalem Urin.

Auslöser für ein SIADH können Krebserkrankungen, Lungenerkrankungen, AIDS, Nebenniereninsuffizienz, akute Psychosen und neurologische Störungen wie Meningitis oder Enzephalitis sein. Darüber hinaus kann ein SIADH durch zahlreiche Arzneimittel hervorgerufen werden [5, 6]. Die verschiedenen Substanzklassen sind in Tabelle 1 aufgeführt.

Einige Pharmaka wirken über eine Stimulation der ADH-Freisetzung (Phenothiazine, trizyklische Antidepressiva, Carbamazepin, Clofibrat, Ifosfamid, Vincristin), andere weisen direkte renale Effekte (Vasopressin, Desmopressin, Oxytocin) oder eine Potenzierung der ADH-Wirkung auf (Cyclophosphamid, NSAR, Paracetamol). Für die SSRI scheint eine Dysregulation der serotonergen Kontrolle der ADH-Freisetzung ursächlich verantwortlich zu sein, da Serotonin-synthetisierende Neuronen auch im Nucleus supraopticus und Nucleus paraventricularis, dem Ort der Synthese des ADH-Prohormons gefunden wurden. Risikofaktoren, die für die Entwicklung eines SIADH prädisponieren, sind höheres Alter, weibliches Geschlecht, niedriges Gewicht, Rauchen, vorbestehende Nierenerkrankungen sowie eine Komedikation mit Pharmaka, die zu einer Verminderung der Serum-Natriumkonzentration führen (z. B. Diuretika oder NSAR).

Zusammengefasst sollte die Verwendung der genannten Medikamente und insbesondere auch der SSRI bei entsprechender klinischer Symptomatik an die Komplikation einer Hyponatriämie infolge eines SIADH denken lassen.

Literatur

1. Aktories K, Förstermann U, Hofmann F, Starke K. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 9. Auflage, Urban und Fischer, München Jena 2005.

2. Masand PS, Gupta S. Selective serotonin-reuptake inhibitors: an update. Harv Rev Psychiatry 1999;7:69–84.

3. Seiderer J, Rust C, Menth M, Pusl T, Jung M. Vigilanzminderung und Hyponatriämie bei einer 67-jährigen Patientin. Internist 2006;47:623–8.

4. Wilkinson TJ, Begg EJ, Winter AC, Sainsbury R. Incidence and risk factors for hyponatremia following treatment with fluoxetine or paroxetine in elderly people. Br J Clin Pharmacol 1999;47:211–7.

5. Adrogue HJ, Madias NE. Hyponatremia. N Engl J Med 2000;342:1581–9.

6. Dendorfer U, Mann J. Volumen- und Elektrolytstörungen bei medikamentöser Therapie. Internist 2006;47:1121–8.


Prof. Dr. med. Gerd Luippold, Medizinische Fakultät, Universität Tübingen,
E-Mail: gerd.luippold@uni-tuebingen.de

Tab. 1. Arzneimittel, die eine Hyponatriämie auslösen können

Substanzklassen

Vertreter

Opiate

Barbiturate

Antidepressiva

SSRI

Citalopram, Fluoxetin, Paroxetin

Trizyklische Antidepressiva

Amitriptylin

Antikonvulsiva

Carbamazepin, Lamotrigin, Oxcarbazepin

Neuroleptika

Butyrophenone

Haloperidol

Phenothiazine

Thioridazin

MAO-Inhibitoren

Selegilin, Moclobemid

Dopamin-Rezeptoragonisten

Bromocriptin

Dopamin-Rezeptorantagonisten

Metoclopramid

Analgetika

Nichtsteroidale Antirheumatika, Paracetamol

Fibrate

Clofibrat

Protonenpumpenhemmer

Omeprazol

Antiinfektiva

Ciprofloxacin

Chemotherapeutika

Vincristin, Cisplatin, Cyclophosphamid, Ifosfamid

Exogene Hormon-Zufuhr

Vasopressin, Desmopressin, Oxytocin

Arzneimitteltherapie 2007; 25(08)