Dr. Birgit Schindler Freiburg
Relative Risikoangaben beschreiben einen Behandlungseffekt in Relation zur Kontrollgruppe. Für die Beurteilung des therapeutischen Nutzens sind sie allerdings wenig aussagekräftig, da anhand relativer Werte die Grundanfälligkeit einer Patientengruppe für ein unerwünschtes Ereignis nicht erfasst wird und dadurch der Nutzen einer Behandlung leicht überschätzt werden kann. So kann ein relatives Risiko von 0,5 eine Änderung des Letalitätsrisikos von 20 % auf 10 %, von 1 % auf 0,5 % oder auch von 0,0004 % auf 0,0002 % bedeuten.
Verschiedene Initiativen wie beispielsweise CONSORT (Consolidated standards of reporting trials) bemühen sich daher, die Angabe von Absolutwerten (absoluten Risiken) bei der Publikation klinischer Studien als Standard zu etablieren. Vor diesem Hintergrund wurden Publikationen in sechs führenden medizinischen Zeitschriften (Annals of Internal Medicine, British Medical Journal, Journal of the American Medical Association, Journal of the National Cancer Institute, Lancet, New England Journal of Medicine) auf ihre Darstellung absoluter Messwerte hin untersucht.
Studiendesign
Zwischen Juni 2003 und April 2004 wurden in diesen Zeitschriften 320 Artikel, die in ihren Abstracts mindestens einen relativen Messwert angaben, veröffentlicht. 98 dieser Artikel (52 Fall-Kontroll-Studien und 46 Metaanalysen) wurden nicht in die Analyse eingeschlossen, da aufgrund des Studiendesigns absolute Messwerte nicht direkt berechnet werden konnten. Eingeschlossen wurden 222 Artikel, 61 randomisierte Studien und 161 Kohortenstudien. Untersucht wurde, ob der absolute Wert der ersten erwähnten relativen Messgröße angegeben wurde.
Ergebnisse
68 % der analysierten Artikel (150/222) erwähnten die zugrunde liegenden absoluten Risikowerte nicht im Abstract. Bei rund der Hälfte dieser Artikel (32 %, n = 72) wurde das absolute Risiko an anderer Stelle erwähnt, bei der anderen Hälfte waren jedoch weder im Text noch in Tabellen oder Abbildungen Angaben dazu zu finden. Von den Artikeln, die keine absoluten Risikowerte angaben, konnte bei 49 Artikeln (22 %) das absolute Risiko anhand der dargestellten Daten berechnet werden, bei den restlichen 29 Artikeln (13 %) fehlte aber auch diese Möglichkeit (Abb. 1).
Auch Studiendesign und vorgenommene Korrekturen (basierend auf Modellen, die Kovariate mit einbezogen) beeinflussten die Bereitschaft zur Angabe der absoluten Risikowerte: Bei randomisierten Studien wurden häufiger als bei Kohortenstudien Absolutwerte im Abstract angegeben (62 % vs. 21 %; relatives Risiko 3,0; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 2,1–4,2). Die Angabe absoluter Messwerte erfolgte außerdem häufiger bei Studien, die keine korrigierten Ratios angaben (62 % vs. 21 %; relatives Risiko 3,0; 95%-KI: 2,1–4,3).
Zusammenfassung
In den sechs untersuchten Zeitschriften waren die absoluten Risiken häufig nicht sofort zugänglich oder überhaupt nicht angegeben. Die Autoren dieses Reviews sind daher der Ansicht, dass die Angabe absoluter Messwerte verpflichtend vorgeschrieben werden sollte, um zu verhindern, dass neue Behandlungen vorschnell übertriebene Hoffnungen wecken.
Quelle
Schwartz LM, et al. Ratio measures in leading medical journals: structured review of accessibility of underlying absolute risks. BMJ 2006;333:1248–50.

Abb. 1. Aufschlüsselung der Artikel, bei denen im Abstract der absolute Wert der ersten erwähnten relativen Messgröße nicht angegeben war
Relativ und absolut – von Prozenten und Prozentpunkten
Die relative Risikoreduktion errechnet sich aus der Risikodifferenz zwischen Verum- und Vergleichsgruppe, die dann ins Verhältnis zum Risiko bei Gabe des Vergleichs gesetzt wird. Die Angabe erfolgt in der Regel in Prozent. Ein Prozent ist der hundertste Teil eines Ganzen, also 1 % = 0,01. Prozentangaben erfüllen eine ähnliche Funktion wie die Formulierungen „ein Drittel“ oder „ein Viertel“, man kann damit jedoch sehr viel differenziertere Mengenverhältnisse ausdrücken, z. B. 44,5 von 100 = 44,5 %. Prozentangaben müssen sich immer auf eine Bezugsgröße beziehen. Es muss also angegeben sein, was 100 % sind.
Die Wirkung einer Behandlung kann durch die Angabe der relativen Risikoreduktion zwar quantifiziert werden, der Wert ist jedoch häufig irreführend, da er nichts über das Ausgangsrisiko in der Vergleichsgruppe aussagt. Deshalb wird heute verstärkt auf die Angabe der absoluten Risikoreduktion geachtet. Allerdings wird diese fast immer ebenfalls in Prozent angegeben.
Bei genauer Betrachtung handelt es sich jedoch um Prozentpunkte, also die Differenz der beiden Prozentzahlen der Verum- und der Vergleichsgruppe.
Beispiel: Der Mehrwertsteuersatz ist nicht um 3 % gestiegen, sondern um 3 Prozentpunkte. Tatsächlich wurde der Mehrwertsteuersatz, bezogen auf den früheren Satz von 16 %, um 18,75 % auf den neuen Satz von 19 % erhöht.
Bei der relativen und der absoluten Risikoreduktion resultiert die „relative“ Verwirrung des Lesers aus der ungenauen Verwendung des Begriffs Prozent im Zusammenhang mit der absoluten Risikoreduktion – denn unbewusst erwartet man eine Bezugsgröße, die es aber in diesem Fall nicht gibt.
Und noch verwirrender wird es, wenn beispielsweise angegeben ist, dass der HbA1c-Wert um 1 %, nämlich von 7 % auf 6 % gesunken ist. Hier handelt es sich jedoch um Prozentpunkte.
Eindeutiger ist dann wieder die NNT, die Number needed to treat, der reziproke Wert der absoluten Risikoreduktion. Sie gibt den spezifischen Effekt einer Behandlung wieder. Hier sind aber auf jeden Fall die Dauer der Behandlung und der Wirksamkeitsparameter, auf den sich die NNT bezieht, bei der Beurteilung zu berücksichtigen.
Susanne Heinzl
Arzneimitteltherapie 2007; 25(11)