Was Hypertonie-Studien uns nicht sagen!


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Eigentlich müssten Hypertensiologen sich wie in einem wissenschaftlichen Paradies fühlen. Denn für kein anderes Krankheitsbild stehen so viele gut wirksame und auch verträgliche Substanzen zur Verfügung wie für die Behandlung der arteriellen Hypertonie. Und mit all diesen Substanzen wurden zahlreiche Studien durchgeführt, teilweise mit harten, teilweise mit weichen Endpunkten, auch Surrogatparameter genannt. Auf der Suche nach einer Substanz, die nicht nur den Blutdruck numerisch senkt, sondern auch einen über die Blutdrucksenkung hinausgehenden Endorganschutz bietet, wird der verordnende Arzt deshalb mit einer unüberschaubaren Fülle von Studiendaten konfrontiert, so dass er diese Wahlmöglichkeiten weniger als Luxus, sondern vielmehr als die Qual der Wahl empfindet.

Dazu kommt, dass die vorliegenden Interventionsstudien viele Fragen offen lassen oder gar Antworten auf Fragen geben, die sich so im klinischen Alltag gar nicht stellen. Daher bleiben insbesondere viele Fragen zu alltäglichen Versorgungsaspekten unbeantwortet. Dies liegt sicherlich auch daran, dass Hypertonie-Studien fast ausschließlich von Herstellern konzipiert und finanziert werden, die legitimerweise auch Marketingaspekte zu berücksichtigen haben. Wie lückenhaft unser Weltbild in Sachen Hypertonie-Behandlung ist, zeigt auch die leidige Diskussion zwischen Wissenschaft und Industrie auf der einen Seite und dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitssystem (IQWiG) auf der anderen Seite zu der Frage, mit welchem Medikament die Behandlung begonnen werden sollte.

Diese Defizite zu thematisieren, ist ebenso ungewöhnlich, um nicht zu sagen mutig, wie notwendig. Professor Dr. med. Manfred Anlauf, Bremerhafen/Cuxhaven, sicherlich ein sehr erfahrener Hypertonie-Experte, gebührt deshalb Anerkennung, sich dieses Themas einmal im Rahmen einer wissenschaftliche Tagung, nämlich des diesjährigen Nephrologie-Kongresses (22. bis 25. September 2007 in München) angenommen zu haben. Er sieht bei den vorliegenden Studiendaten eine Reihe „von Auffälligkeiten des Beweismaterials“. So werde in Studien nur selten der „nächstliegende Konkurrent“ als Vergleichspartner gewählt. Es fehle beispielsweise ein direkter Vergleich zwischen ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptorantagonist. Obwohl fast jeder zweite Hypertoniker einer Kombinationstherapie bedürfe, werde bei der Propagierung der Ergebnisse der Effekt meist der primären Monotherapie zugeschrieben. Auch fehlten Studien zu den gefährlichsten Hochdruckformen wie maligne oder therapieresistente Hypertonie, ja diese seien in den meisten Studien sogar Ausschlusskriterien. Die Chance, über eine individuelle epikritische Analyse von Therapieversagern zu weiteren Erkenntnissen zu kommen, werde nicht genutzt. Und last but not least, finde eine Kosten-Nutzen-Analyse kaum statt.

Diese wissenschaftlichen Defizite werden jedem Arzt in praktischen therapeutischen Entscheidungssituationen begegnen. So stößt gerade bei der Hypertonie-Behandlung der „gewissenhafte, klare und einsichtige Gebrauch der verfügbaren besten Evidenz“ schnell an seine Grenzen. Doch wie lassen sich diese Lücken schließen? Die Antwort ist einfach: Wir brauchen zusätzlich öffentlich finanzierte Studien, in denen vorrangig Fragen der Versorgungssituation nachgegangen wird. Doch bisher wurde nicht eine einzige solche Studie in Deutschland auf den Weg gebracht. Somit werden wir wohl weiter mit dem Dilemma leben müssen, dass Studienlyrik auch in der Hypertoniebehandlung etwas anderes ist als Alltagsepik.

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