Multiple Sklerose

Wirksamkeit von Glatirameracetat in der Langzeittherapie ist belegt


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Die multiple Sklerose ist eine entzündliche und degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems, wobei eine Fehlfunktion des Immunsystems pathogenetisch die zentrale Rolle spielt. Für die Therapie sollten daher neben einer antiinflammatorischen Strategie auch regenerative und neuroprotektive Mechanismen genutzt werden. Mit Glatirameracetat (Copaxone®) steht ein Immunmodulator mit neuroprotektiver Wirkung zur Verfügung, dessen Langzeitwirksamkeit belegt ist, so das Fazit eines von den Firmen Sanofi-Aventis und TEVA veranstalteten Fachpressegesprächs am 7. Juli 2007.

Die multiple Sklerose gehört mit einer Prävalenz von 150/100 000 Einwohner zu den selteneren neurologischen Erkrankungen. Das Durchschnittsalter bei Erkrankungsbeginn liegt zwischen 15 und 40 Jahren, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer.

Duale Erkrankung

Bei der Pathogenese der Erkrankung spielen sowohl entzündliche als auch degenerative Mechanismen eine Rolle. Das klinische Bild ist charakterisiert durch akute Schübe und einen schleichenden Axonverlust. Die daraus resultierenden Funktionsstörungen sind vielgestaltig. Dazu gehören:

  • Ermüdbarkeit
  • Sensibilitätsstörungen
  • Sehstörungen (Doppelbilder, Verschwommensehen, einseitiger Sehverlust)
  • Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen (Schwindel, Tremor, Ataxie)
  • Beweglichkeitsstörungen mit nachlassender Muskelkraft und Muskelverspannung, Spastizität, Lähmungen
  • Sprachstörungen
  • Störungen der Blasen- oder Darmfunktion
  • Sexuelle Funktionsstörungen (Impotenz, verminderte Libido)
  • Psychische Veränderungen (Depressionen, Konzentrationsmangel)
  • Schmerzen

Fehlfunktion des Immunsystems

Die Ursachen der multiplen Sklerose sind bisher nicht eindeutig geklärt. Nach neueren Erkenntnissen muss man davon ausgehen, dass es sich um eine T-Lymphozyten-vermittelte Autoimmunerkrankung des Gehirns und Rückenmarks handelt, die zu einer Zerstörung von Myelin, Oligodendrozyten und Axonen führt. Ausgangspunkt dürfte eine frühe periphere Immunisierung im Kindesalter gegen eine hochspezifische DNS-Sequenz sein, die mit einem Abschnitt eines oder mehrerer Proteine des Myelins oder dendritischer Zellen übereinstimmt. Die spezifischen Antigene, die den inflammatorischen Prozess induzieren, sind bis heute jedoch nicht identifiziert. Nach einer späteren Aktivierung dieser spezifischen T-Lymphozyten überwinden diese die Blut-Hirn-Schranke und initiieren beim Zusammentreffen mit der Antigen-präsentierenden Struktur im Gehirn und Rückenmark eine spezifische inflammatorische Reaktion, wobei weitere proinflammatorische Komponenten wie Mast- und Plasmazellen beteiligt sind. Dies führt zu einer vermehrten Synthese und Freisetzung von Zytokinen, exzitatorischen Aminosäuren wie Glutamat, NO, freien Radikalen und anderen gewebsschädigenden Substanzen.

Neuroprotektive Mechanismen

Neben diesen inflammatorischen Mechanismen kommt es jedoch auch zur Stimulation regenerativer und remyelinisierender Vorgänge, die dem neurodegenerativen Krankheitsprozess entgegenwirken. Hierbei spielen antiinflammatorische Zytokine wie Interleukin 4 oder Interleukin 10 ebenso eine Rolle wie Wachstumsfaktoren und die Aktivierung von T-Zell-regulativen Zellen. Im weiteren Krankheitsverlauf kommt es zu einer Änderung des immunologischen Geschehens, indem die zu Beginn der Erkrankung im Vordergrund stehenden inflammatorischen Prozesse an Bedeutung verlieren und stattdessen neurodegenerative Prozesse, die T-Zell-unabhängig sind, stärker werden.

Protektion durch Immunmodulator

Aus diesen neueren pathogenetischen Erkenntnissen ergeben sich Konsequenzen für die Therapie. Unbestritten ist bei der Behandlung des akuten Schubs eine hoch dosierte intravenöse Gabe von Glucocorticoiden über drei bis fünf Tage unverzichtbar. Ansonsten empfiehlt sich bei schubförmig remittierenden Verlaufsformen eine immunmodulatorische Stufentherapie. Als Mittel der ersten Wahl gelten Glatirameracetat (Copaxone®) und die drei in Deutschland zugelassenen Interferon-beta-Präparate (Avonex®, Betaferon®, Rebif®). Bei Unverträglichkeit, Kontraindikationen oder Komorbidität mit anderen Autoimmunerkrankungen kommen auch Azathioprin (z. B. Imurek®) oder intravenöse Immunglobuline („off-label“ in Deutschland) zum Einsatz. Bei nicht ausreichendem Ansprechen auf diese Basistherapien sollte der Einsatz von Mitoxantron (Ralenova®) oder Natalizumab (Tysabri®) diskutiert werden.

Für den primär progredienten Verlauf steht bisher keine gesicherte immunmodulatorische Therapie zur Verfügung.

Glatirameracetat ist seit den 90er Jahren für die Behandlung der schubförmigen multiplen Sklerose zugelassen. Im Rahmen von Zulassungsstudien wurde die Wirksamkeit und Sicherheit über eine Zeitspanne von zwei bis drei Jahren erfasst. Diese Zulassungsstudien wurden zwischenzeitlich als prospektive Beobachtungsstudien über weitere zehn Jahre fortgeführt. Dabei zeigte sich, dass durch eine solche Langzeittherapie bei einer mittleren Behandlungsdauer von acht Jahren ein deutlicher Rückgang der Entzündungsaktivität von 1,2 Schüben pro Jahr vor Therapiebeginn auf weniger als 0,2 Schübe im zwölften Therapiejahr erreicht werden kann, und dies bei guter Verträglichkeit.

Fazit

Bei der multiplen Sklerose handelt es sich um eine Erkrankung, die sowohl durch entzündliche als auch durch degenerative Mechanismen charakterisiert ist. Bei der Therapie kommen antientzündliche und neuroprotektive Strategien zum Einsatz. Mit Glatirameracetat steht eine wirksame Basistherapie zur Verfügung, die sich auch in der Langzeittherapie als wirksam und gut verträglich erwiesen hat.

Quellen

Priv.-Doz. Dr. Volker Limmroth, Köln „Multiple Sklerose verstehen: Neurodegeneration – Neuroregeneration“, Priv.-Doz. Dr. Michael Haupts, Bielefeld „Multiple Sklerose behandeln: Glatirameracetat: Starke Langzeitwirkung von Anfang an“, Fachpressegespräch „Aktiver leben mit multipler Sklerose“, Bühl, 7. Juli 2007, veranstaltet von Sanofi-Aventis und TEVA Pharma.

Ford CC, et al. A prospective open-label study of glatiramer acetate: over a decade of continuous use in MS patients. Multiple Sclerosis 2006;12:309–20.

Multiple Sklerose Therapie Konsensus Gruppe (MSTKG). Immunmodulatorische Stufentherapie der multiplen Sklerose. Aktuelle Therapieempfehlungen (Stand 2006). Nervenarzt 2006;77:1506–18.

Arzneimitteltherapie 2007; 25(11)