Bettina Martini,Memmingen
Hintergrund
Patienten mit chronischer Nierenerkrankung haben häufig eine Anämie, die die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität der Patienten stark beeinträchtigt und auch mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert ist. Ursache dieser Anämien ist die reduzierte endogene Erythropoetin-Produktion. Eine Erythropoese-stimulierende Therapie mit Epoetin alfa (Erypo®), Epoetin beta (NeoRecormon®) oder Darbepoetin alfa (Aranesp®) ist daher plausibel.
In jüngster Zeit gab es allerdings Hinweise auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bei hoch dosierter Erythropoetin-Therapie. Bisher gibt es keine konkreten Empfehlungen, ab welchen Hämoglobin-Werten eine Therapie indiziert ist und welche Hämoglobin-Konzentration angestrebt werden soll.
Studiendesign
In einer Metaanalyse wurden neun randomisierte, kontrollierte Studien mit jeweils mindestens 100 Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und Anämie einbezogen. In den Studien wurde eine Erythropoetin-Substitution mit hohen Hämoglobin-Zielwerten mit einer Substitutionstherapie mit niedrigen Zielwerten oder mit Plazebo verglichen. Die Beobachtungszeit sollte mindestens zwölf Wochen betragen.
Analysiert wurden schließlich die Daten von 5 143 teilweise dialyse-pflichtigen Patienten, ob eine Therapie mit hohen Hämoglobin-Zielwerten mit erhöhter Sterblichkeit und vermehrten kardiovaskulären Ereignissen verbunden ist.
Ergebnisse
Es ergab sich ein signifikant erhöhtes Sterblichkeitsrisiko bei Patienten, bei denen Hämoglobin-Werte von mehr als 12 g/dl erreicht wurden (Risiko-Verhältnis: 1,17; 95%-Konfidenzintervall: 1,01–1,35, p = 0,031). Auch das Risiko für Thrombosen arterio-venöser Shunts war erhöht (Risiko-Verhältnis: 1,34; 95%-Konfidenzintervall: 1,16–1,54, p = 0,0001). Zudem war der Blutdruck in der Gruppe mit höheren Hämoglobin-Werten häufiger schwer einzustellen. Herzinfarkte waren aber in beiden Gruppen gleich häufig.
Diskussion und Fazit
Obwohl auch Hämoglobin-Werte von 12 bis 16 g/dl im physiologischen Bereich liegen, sind sie in der vorliegenden Studie mit einer erhöhten Letalität assoziiert. Warum die Sterblichkeit erhöht sein könnte, ist unklar. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten: Die eine ist, dass höhere Hämoglobin-Werte per se zu einer höheren Sterblichkeit führen. Oder aber die Erklärung ist in weiteren Wirkungen der Erythropoese-stimulierenden Substanzen zu suchen, die in den meisten Fällen in höheren Dosen eingesetzt werden.
Empfehlungen zur Erhöhung der Hämoglobin-Werte basieren bisher überwiegend auf Studien mit Fokus auf die Lebensqualität. Durch eine erhöhte Sterblichkeit würden positive Effekte auf die Lebensqualität allerdings negiert.
In den Empfehlungen der „Kidney Disease Outcomes Quality Initiative“ (NKF/KDOQI) der US-National Kidney Foundation wird zu einem Ziel-Hämoglobin-Wert von mindestens 11 g/dl geraten und vor Werten von über 13 g/dl eher gewarnt, eine absolute Obergrenze ist aber nicht definiert. Eine solche Obergrenze sollte den Studienergebnissen zufolge dringend definiert werden.
Quelle
Phrommintikul A, et al. Mortality and target haemoglobin concentration in anaemic patients with chronic kidney disease treated with erythropoietin: a meta-analysis. Lancet 2007;369:381–8.
Arzneimitteltherapie 2008; 26(02)