Fungämierisiko durch Gabe von S. boulardii bei Intensivpatienten?


Hardy-Thorsten Panknin, Berlin, und Matthias Trautmann, Stuttgart

Der in mehreren probiotischen Präparaten enthaltene Hefepilz Saccharomyces boulardii ist nach neueren Erkenntnissen mit Saccharomyces cerevisiae, der Bäckerhefe, identisch.Können die in der Vergangenheit wiederholt berichteten, teilweise klinisch schwer verlaufenden Fungämien durch S. cerevisiae bei Intensivpatienten dadurch erklärt werden, dass bei diesen Patienten S.-boulardii-Präparate zur unterstützenden Therapie einer Clostridium-difficile-Kolitis eingesetzt wurden?

Hintergrund

In den letzten beiden Jahren wurde in der internationalen Literatur eine erhebliche Zunahme von Antibiotika-assoziierten Diarrhöen, verursacht durch Clostridium difficile, beschrieben. Die Zunahme der Fälle betraf sowohl die USA und Kanada als auch europäische Länder wie England und Frankreich. In Deutschland fällt derzeit ebenfalls eine erheblich steigende Tendenz auf. Die Ursache für die Fallzunahme hängt auf dem amerikanischen Kontinent mit der Ausbreitung eines neuen, hypervirulenten Erregerstammes zusammen, der als Pulsotyp NAP 1 oder Ribotyp 027 bezeichnet wird [1]. Dieser Erregerstamm wurde allerdings in Deutschland noch nicht beschrieben.

Probiotische Begleittherapie der C.-difficile-Kolitis

Zur Therapie der Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö verwenden viele Kliniker zusätzlich zu den Standardantibiotika Metronidazol oder Vancomycin probiotisch aktive Präparate. Bevorzugt eingesetzt werden Kapseln, die in lyophilisierter Form Hefepilze der Spezies Saccharomyces boulardii enthalten (z. B. Perenterol®, Santax® S). S. boulardii wurde früher als eigene, avirulente Hefepilzspezies angesehen, ist aber aufgrund neuerer molekulargenetischer Untersuchungen der Spezies S. cerevisiae (Bäcker-, Bier- und Weinhefe) zuzuordnen [2]. Die Bezeichnung S. boulardii wird heute in probiotischen Präparaten nur aus historischen Gründen beibehalten. Untersuchungen zur Virulenz von S. boulardii/cerevisiae erbrachten neuerdings Hinweise dafür, dass es sich um eine Stammvariante handelt, die im Vergleich zu Stämmen aus der Nahrungsmittelindustrie etwas erhöhte Virulenzeigenschaften (z. B. Proteaseproduktion, Phospholipaseproduktion) besitzt [3].

Der Einsatz von S. cerevisiae/boulardii bei C.-difficile-Kolitis beruht auf mehreren Studien, die bei prophylaktischer Anwendung das Risiko einer Antibiotika-assoziierten Diarrhö verringerten. Zur Frage der Wirkung bei bereits eingetretener, klinisch manifester C.-difficile-Erkrankung existieren allerdings nur zwei klinische Studien mit geringer Fallzahl aus den Jahren 1994 und 2000.

In der ersten Studie verringerte sich das Rezidivrisiko nach einer Episode von C.-difficile-Kolitis von 45 % auf 26 %, wenn zusätzlich zu den Standardantibiotika Metronidazol oder Vancomycin ein S.-boulardii-Präparat in einer Dosierung von 1 g/Tag über vier Wochen verordnet wurde [4].

Dieser Unterschied beruhte allerdings nur auf einem statistisch signifikanten Effekt bei rezidivierender C.-difficile-Erkrankung (Reduktion des erneuten Rezidivrisikos von 64,7 % unter Plazebo auf 34,6 % unter S. boulardii, p = 0,04), während bei erstmaliger Manifestation kein nennenswerter Unterschied erkennbar war [4]. Es blieb unklar, worauf der protektive Effekt von S. boulardii beruhte und warum dieser nur ab dem ersten Rezidiv eintrat. Eine nachfolgende Studie der gleichen Arbeitsgruppe, mit der der Effekt von S. boulardii abgesichert werden sollte, zeigte keinen Einfluss auf das Rezidivrisiko, wenn S. boulardii in Kombination mit Metronidazol oder niedrig dosiertem Vancomycin (500 mg/Tag) eingesetzt wurde. Ein Effekt war lediglich erkennbar, wenn eine hohe orale Vancomycin-Dosis von 2 g/Tag zusammen mit S. boulardii eingesetzt wurde [5].

Eine genauere Betrachtung der Daten zeigt allerdings, dass die in der Originalpublikation postulierte statistische Signifikanz für diese Aussage nur begrenzt nachvollzogen werden kann (Tab. 1). Es ist durchaus denkbar, dass die Effekte von S. boulardii in beiden Studien lediglich auf Zufallsschwankungen beruhten.

Fungämie durch S. cerevisiae

Inzwischen wurden in den letzten Jahren immer mehr Fälle bekannt, in denen es zu einer Sepsis bzw. Fungämie durch S. cerevisiae kam. Eine Übersicht über die bis 2004 publizierten Fälle, einschließlich dreier von den Autoren selbst beobachteter Patienten, gaben im Jahre 2005 Dr. Patricia Munoz und Mitarbeiter aus der Universitätsklinik „Gregorio Maranon“ in Madrid [6]. Aus der Darstellung in Tabelle 2 wird ersichtlich, dass mehr als die Hälfte aller Patienten, bei denen eine Fungämie durch S. cerevisiae dokumentiert wurde, entweder eine Therapie mit S. boulardii erhalten hatte oder aber der Bettnachbar mit einem solchen Präparat therapiert wurde. Über 90 % der betroffenen Patienten waren zum Zeitpunkt der Erkrankung mit einem zentralen Venenkatheter versorgt. Die Erkrankung führte bei einigen Patienten zu metastatischen Absiedlungen im Gefäßsystem oder inneren Organen, bei drei Patienten war deshalb eine Operation erforderlich. Von den fünf Patienten mit gesicherter und einem Patienten mit wahrscheinlicher Endokarditis durch S. cerevisiae verstarb ein Patient trotz chirurgischer Exzision der betroffenen Klappe.

Aus Tabelle 2 ist ersichtlich, dass die Fungämie durch S. cerevisiae ein Problem darstellt, welches in erster Linie Intensivpatienten betrifft, die mit einem zentralen Venenkatheter versorgt sind.

Eine Immunsuppression scheint nicht bevorzugt mit S.-cerevisiae-Fungämie assoziiert zu sein. Die Verläufe sind offensichtlich in einem Teil der Fälle komplikationsreich, vor allem besteht in etwa 10 % der Fälle die Gefahr einer Endokarditis oder Gefäßprotheseninfektion.

Hypothesen zur Fungämie-Pathogenese

Es ist davon auszugehen, dass bisher vielen Klinikern der Zusammenhang zwischen einer oralen S.-boulardii-Therapie und dem Nachweis von S. cerevisiae in einer Blutkultur nicht geläufig war. Möglicherweise ist daher in einem Teil der in Tabelle 2 zusammengefassten Fälle ein Bezug zu einer solchen Therapie nicht hergestellt worden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stellt in der Mehrzahl der Fälle von S.-cerevisiae-Fungämie ein oral verabreichtes S.-boulardii-Präparat die Erregerquelle dar. Die molekulare Identität zwischen den Blutkulturisolaten von S. cerevisiae und dem im Präparat enthaltenen S.-boulardii-Stamm konnte in der spanischen Studie für die beobachteten drei Fälle bewiesen werden [6], ebenso wie bei einem kürzlich beschriebenen Ausbruch von sieben Fällen, die in einem Intensivbehandlungszimmer bei Nachbarpatienten einiger mit S. boulardii behandelter Patienten auftraten [7].

Als Hypothese zur Entstehung derartiger Erkrankungen wurden zwei Mechanismen diskutiert:

1. Bei Intensivpatienten werden die Kapseln des S.-boulardii-Präparates meist geöffnet und der Inhalt in Flüssigkeit suspendiert. Diese wird in eine Spritze aufgezogen und über die Magensonde verabreicht. Bei dieser Manipulation könnte es zu einer Kontamination der Finger und Hände des Intensivpflegepersonals kommen. Bei nachfolgenden Handgriffen am zentralen Venenkatheter könnten die Erreger in die Blutbahn inokuliert worden sein. Für diesen Weg spricht die Tatsache, dass in einzelnen Fällen auch Nachbarpatienten betroffen waren, die selbst kein S.-boulardii-Präparat erhielten [7, 8].

2. Die Einschwemmung der Erreger könnte durch intestinale Translokation zustande gekommen sein. Dass die orale Verabreichung von Hefen sehr leicht auf diesem Wege zu einer Fungämie führen kann, wurde durch Freiwilligenversuche bereits in den 1960er Jahren bewiesen [9].

Konsequenz für die Therapie

Welche Konsequenzen sind aus den klinischen Beobachtungen zu ziehen? Zum einen ist festzustellen, dass S. boulardii heute nicht als eigene Spezies, sondern als eine Variante von S. cerevisiae angesehen wird. Bei jeder Anzucht von S. cerevisiae aus einer Blutkultur sollte deshalb umgehend geprüft werden, ob der Patient – oder seine Bettnachbarn – ein S.-boulardii-Präparat erhalten. Die orale Verabreichung ist bei Auftreten einer Fungämie sofort zu beenden und eine antimykotische Therapie einzuleiten. Zum zweiten sollte aufgrund des offenbar nicht zu unterschätzenden Risikos einer ernsthaften Fungämie eine Verabreichung von geöffneten S.-boulardii-Kapseln bei Intensivpatienten mit zentralem Venenkatheter unterbleiben. In der Fachinformation der Präparate Perenterol® und Santax® S ist dieser Hinweis bereits enthalten, wird aber offenbar im klinischen Alltag nicht selten überlesen. Zum dritten sollte kritisch geprüft werden, welcher Wert einer solchen Therapie überhaupt beizumessen ist. Da nur zwei Studien mit kleiner Patientenzahl eine relativ schwache Evidenz für einen protektiven Effekt von S. boulardii bei der Indikation
C.-difficile-Kolitis zeigten und ein Mechanismus, über den die Hefezellen das Rezidivrisiko senken sollten, bisher nicht identifiziert wurde, stellt sich die Frage, ob diese Indikation überhaupt aufrecht zu halten ist.

Die Frage, ob eine Therapie mit S.-boulardii-Präparaten bei Durchfallerkrankungen anderer Genese wie beispielsweise einer akuten Diarrhö im Kindesalter sinnvoll ist, wird in neueren Übersichten eingeschränkt bejaht, wobei allerdings darauf hingewiesen wird, dass die Qualität der zugrunde liegenden Studien größtenteils zu wünschen übrig lässt [10, 11]. Ob der Einsatz zur Prävention der Reisediarrhö angesichts eines im Mittel erreichbaren Präventionseffektes von 15 % Sinn macht, muss dahingestellt bleiben [12].

Literatur

1. McDonald LC, et al. An epidemic, toxin gene-variant strain of Clostridium difficile. N Engl J Med 2005;353:2433–41.

2. Edwards-Ingram L, et al. Genotypic and physiological characterization of Saccharomyces boulardii, the probiotic strain of Saccharomyces cerevisiae. Appl Environ Microbiol 2007;73:2458–67.

3. de Llanos R, et al. A comparison of clinical and food Saccharomyces cerevisiae isolates on the basis of potential virulence factors. Antonie Van Leeuwenhoek 2006;90:221–31.

4. McFarland LV, et al. A randomized placebo-controlled trial of Saccharomyces boulardii in combination with standard antibiotics for Clostridium difficile disease. JAMA 1994;271:1913–8.

5. Surawicz CM, et al. The search for a better treatment for recurrent Clostridium difficile disease: use of high-dose vancomycin combined with Saccharomyces boulardii. Clin Infect Dis 2000;31:1012–7.

6. Munoz P, et al. Saccharomyces cerevisiae fungemia: an emerging infectious disease. Clin Infect Dis 2005;40:1625–34.

7. Cassone M, et al. Outbreak of Saccharomyces cerevisiae subtype boulardii fungemia in patients neighboring those treated with a probiotic preparation of the organism. J Clin Microbiol 2003;41:5340–3.

8. Herbrecht R, Nivoix Y. Saccharomyces cerevisiae fungemia: an adverse effect of Saccharomyces boulardii probiotic administration. Clin Infect Dis 2005;40:1635–7.

9. Volkheimer G, et al. On resorption and excretion of intact yeast cells. Zentrabl Bakteriol [Orig] 1964;192:121–5.

10. Johnston BC, et al. Probiotics for the prevention of pediatric antibiotic-associated diarrhoea. Cochrane Database Syst Rev 2007 (April 18) CD 004827.

11. Szajewska H, et al. Meta-Analysis: Saccharomyces boulardii for treating acute diarrhoea in children. Aliment Pharmacol Ther 2007;25:257–64.

12. McFarland LV. Meta-analysis of probiotics for the prevention of traveler’s diarrhoea.Travel Med Infect Dis 2007;5:97–105.

Prof. Dr. med. Matthias Trautmann, Leiter des Instituts für Krankenhaushygiene, Klinikum Stuttgart, Kriegsbergstraße 60, 70174 Stuttgart, E-Mail: m.trautmann@katharinenhospital.de
Hardy-Thorsten Panknin, Badensche Straße 49, 10715 Berlin, E-Mail ht.panknin@tiscali.de

Literatur


1. McDonald LC, et al. An epidemic, toxin gene-variant strain of Clostridium difficile. N Engl J Med 2005;353:2433–41.

2. Edwards-Ingram L, et al. Genotypic and physiological characterization of Saccharomyces boulardii, the probiotic strain of Saccharomyces cerevisiae. Appl Environ Microbiol 2007;73:2458–67.

3. de Llanos R, et al. A comparison of clinical and food Saccharomyces cerevisiae isolates on the basis of potential virulence factors. Antonie Van Leeuwenhoek 2006;90:221–31.

4. McFarland LV, et al. A randomized placebo-controlled trial of Saccharomyces boulardii in combination with standard antibiotics for Clostridium difficile disease. JAMA 1994;271:1913–8.

5. Surawicz CM, et al. The search for a better treatment for recurrent Clostridium difficile disease: use of high-dose vancomycin combined with Saccharomyces boulardii. Clin Infect Dis 2000;31:1012–7.

6. Munoz P, et al. Saccharomyces cerevisiae fungemia: an emerging infectious disease. Clin Infect Dis 2005;40:1625–34.

7. Cassone M, et al. Outbreak of Saccharomyces cerevisiae subtype boulardii fungemia in patients neighboring those treated with a probiotic preparation of the organism. J Clin Microbiol 2003;41:5340–3.

8. Herbrecht R, Nivoix Y. Saccharomyces cerevisiae fungemia: an adverse effect of Saccharomyces boulardii probiotic administration. Clin Infect Dis 2005;40:1635–7.

9. Volkheimer G, et al. On resorption and excretion of intact yeast cells. Zentrabl Bakteriol [Orig] 1964;192:121–5.

10. Johnston BC, et al. Probiotics for the prevention of pediatric antibiotic-associated diarrhoea. Cochrane Database Syst Rev 2007 (April 18) CD 004827.

11. Szajewska H, et al. Meta-Analysis: Saccharomyces boulardii for treating acute diarrhoea in children. Aliment Pharmacol Ther 2007;25:257–64.

12. McFarland LV. Meta-analysis of probiotics for the prevention of traveler’s diarrhoea.Travel Med Infect Dis 2007;5:97–105.


Prof. Dr. med. Matthias Trautmann, Leiter des Instituts für Krankenhaushygiene, Klinikum Stuttgart, Kriegsbergstraße 60, 70174 Stuttgart, E-Mail: m.trautmann@katharinenhospital.de
Hardy-Thorsten Panknin, Badensche Straße 49, 10715 Berlin, E-Mail ht.panknin@tiscali.de


Tab. 1. Effekt von S. boulardii bei rezidivierender C.-difficile-Kolitis [nach 5]

Rezidivrate unter Therapie mit:

Studiengruppe

Vancomycin, hohe Dosis (2 g/Tag)

Vancomycin, niedrige Dosis (500 mg/Tag)

Metronidazol (1 g/Tag)

Mit S. boulardii

3/18 (16,7 %)a

23/45 (51,1 %)

13/27 (48,1 %)

Mit Plazebo

7/14 (50,0 %)b

17/38 (44,7 %)

13/26 (50,0 %)

a versus b: In der Originalarbeit wurde ein zweiseitiger Chi-Quadrat-Test verwendet, der Signifikanz ergab (p = 0,04). Bei Fallzahlen < 10 wird jedoch die Verwendung des Chi-Quadrat-Tests mit Yates-Korrektur empfohlen. Bei Anwendung eines solchen Tests ergibt sich ein p-Wert von 0,1023 (nicht signifikant). Der exakte Test nach Fisher ergibt ebenfalls keine Signifikanz (p = 0,0623). (Nachberechnungen der Autoren, Chi-Square-Tests unter www.graphpad.com/quickcalcs/).

Tab. 2. Klinische Charakteristika bei S.-cerevisiae-Fungämie [nach 6]

Variable

Patienten
[n] (%)

Gesamtzahl bis 2004 publizierter Fungämie-Fälle

60 (100)

Zentraler Venenkatheter vorhanden

55 (91,7)

Intensivaufenthalt dokumentiert

29 (48,3)

Therapie mit S.-boulardii-Präparat

25 (41,7)

Therapie eines/mehrerer Bettnachbarn mit S.-boulardii-Präparat

7 (11,7)

Metastatische Pilzabszesse innerer Organe

2

Herz-/Gefäßkomplikationen

7

– Native Klappenendokarditis

1

– Neugeborenes mit Ductus-arteriosus-Endokarditis

1

– Prothesenklappen-Endokarditis

4

– Infektion einer Aortenprothese

1

Therapie

– Amphotericin-B-Monotherapie

24 (40,0)

– Monotherapie mit liposomalem Amphotericin B

2

– Amphothericin B in Kombination mit Flucytosin

2

– Miconazol plus Flucytosin

1

– Fluconazol

18 (30,0)

– Ketoconazol

1

Operation (z. B. Abszessexzision, Herzklappenersatz)

3

Verstorben

17 (28,3)

Arzneimitteltherapie 2008; 26(02)