Die Botschaft hör’ ich wohl, ........


Dr. Peter Stiefelhagen,Hachenburg

Die dauerhafte orale Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern gehört zu den Themen, bei denen im ärztlichen Alltag sicherlich eine deutliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht. Gerade von neurologischer Seite wird immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Alter von über 75 Jahren einen eigenständigen Risikofaktor für eine Hirnembolie darstellt und deshalb betagte Patienten in besonderer Weise von der Antikoagulation profitieren. Neuerdings wird auch die bisher gültige und für eine dauerhafte Antikoagulation durchaus relevante Einteilung in paroxysmales und permanentes Vorhofflimmern in Frage gestellt, nachdem eine Reihe von klinischen Studien zweifelsfrei belegen konnte, dass zwei Drittel der Vorhofflimmern-Episoden von den Betroffenen überhaupt nicht wahrgenommen werden. Wer kann da noch von einem stabilen Sinusrhythmus sprechen!

Die richtige Konsequenz aus dieser Tatsache ist, auch bei Patienten mit anfallsweise auftretendem Vorhofflimern die Indikation für eine Langzeitantikoagulation immer dann zu stellen, wenn die Risikostratifizierung nach dem CHADS2-Score mindestens 2 Punkte ergibt (siehe Kasten).

In der Praxis wird jedoch häufig aus Angst vor einer schweren Blutungskomplikation diese Empfehlung nicht umgesetzt, denn die Antikoagulation ist immer eine schmale Gratwanderung zwischen einer Embolie, die es zu verhindern gilt, und einer schweren Blutung. Letztere wird, wenn sie sich nicht im Gehirn manifestiert, im allgemeinen von den Neurologen jedoch nicht erlebt. Gerade in den letzten 4 Wochen habe ich 3 Patienten mit einer lebensbedrohlichen extrazerebralen Blutung (aus Blase, Dickdarm bei Divertikulose sowie Hämatothorax) erlebt. Bei all diesen Patienten war bei der Aufnahme der INR-Wert extrem hoch, wobei meist, aber nicht immer eine unzureichende Patientencompliance vorlag. Sie werden verstehen, dass solche Erlebnisse die Bereitschaft zur großzügigen Indikationsstellung nicht gerade fördern. Studienlyrik ist doch eben etwas anderes als Alltagsepik!

Daran werden wohl auch die Ergebnisse der kürzlich veröffentlichten BAFTA-Studie [Mant J, et al. 2007] nichts ändern können. Es handelt sich dabei um eine Studie, die ausschließlich in Hausarztpraxen durchgeführt wurde. Hier wurde bei betagten Patienten mit Vorhofflimmern (Durchschnittsalter 82 Jahre) vom Hausarzt die Indikation für die Antikoagulation gestellt und diese dann auch von ihm eingeleitet und überwacht. Als kombinierter Endpunkt der Studie wurde tödlicher oder nichttödlicher Schlaganfall, intrakranielle Blutung und periphere Embolie definiert. Die Patienten erhielten randomisiert 75 mg Acetylsalicylsäure oder eine orale Antikoagulation mit einem Ziel-INR-Wert von 2 bis 3. Nach einer mittleren Beobachtungsdauer von 2,7 Jahren trat in der Acetylsalicylsäure-Gruppe ein solches Ereignis bei 48 Patienten auf (44 ischämische Schlaganfälle, 1 intrazerebrale Blutung, 3 systemische Embolien). In der antikoagulierten Patienten-Gruppe wurden nur 24 Ereignisse dokumentiert (21 ischämische Schlaganfälle, 2 intrazerebrale Blutungen, 1 systemische Embolie). Während das absolute jährliche Risiko bei den antikoagulierten Patienten bei 1,8 % lag, betrug es in der Acetylsalicylsäure-Gruppe 3,8 %. Somit ergibt sich eine absolute Risikoreduktion von 2 %-Punkten und eine relative Risikoreduktion von 52 %. Mit anderen Worten: 50 Patienten müssen über 1 Jahr antikoaguliert werden, um ein 1 Ereignis zu verhindern.

Dies sind sicherlich sehr überzeugende Ergebnisse, die eigentlich doch alle Zweifler überzeugen müssten. Doch auch hierbei handelt es sich um eine Studie, die bei der Überwachung der Patienten eine besondere Sorgfalt vermuten lässt, die im Alltag nicht immer erwartet werden darf. Darüberhinaus wurde eine sehr starke Selektionierung durchgeführt, d. h. alle Patienten mit einem auch nur leicht erhöhten Blutungsrisiko wurden von der Studie ausgeschlossen, so dass schließlich nur 21 % der rekrutierten Patienten eingeschlossen wurden.

Somit bleiben bei mir doch gewisse Bedenken, dass diese Ergebnisse die alltägliche Situation in der Praxis widerspiegeln. Ob die breite Antikoagulation bei hochbetagten Patienten mit Vorhofflimmern in der Tat segensreich ist, auch für die Beantwortung dieser Frage bräuchten wir zuverlässige Daten aus der Versorgungsforschung. Und diese gibt es nicht. So bleibt doch eine gewisse Unsicherheit bei allen Ärzten, die tagtäglich mit der Frage der Antikoagulation bei älteren Patienten konfrontiert werden: Soll ich oder soll ich nicht? Jede Entscheidung kann retrospektiv gesehen falsch sein und darin liegt das Dilemma, das auch durch noch so schöne Studienergebnisse nicht zu lösen ist.

Quelle

Mant J, et al. Warfarin versus aspirin for stroke prevention in an elderly community population with atrial fibrillation (the Birmingham Atrial Fibrillation Treatment of the Aged Study, BAFTA): a randomised controlled trial. Lancet 2007;370:493–503.

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