Keine Wirkung ohne Nebenwirkung – iatrogenes Nierenversagen


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Von Gustav Kuschinsky, dem Nestor der deutschen Pharmakologie, stammt das Zitat: „Wenn behauptet wird, dass eine Substanz keine Nebenwirkungen zeigt, so besteht der dringende Verdacht, dass sie auch keine Hauptwirkung hat.“ An die Gültigkeit dieser Aussage werden wir in der täglichen Praxis immer wieder erinnert. Ob aber wirklich durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen jährlich mehr Menschen sterben als im Straßenverkehr, soll dahingestellt bleiben. Trotzdem ist es wichtig, sich das Problem immer wieder ins Bewusstsein zu rufen.

Neben Haut und Leber dürften die Nieren die Organe sein, die am häufigsten durch Medikamente geschädigt werden. Im schlimmsten Fall kommt es dann zu einem iatrogenen Nierenversagen. Dabei handelt es sich um eine heimtückische Komplikation, da sie meist zunächst asymptomatisch verläuft.

Die Pathomechanismen, über die Medikamente die Nierenfunktion beeinträchtigen können, sind vielgestaltig. Nur selten dürften Diuretika in hoher Dosierung bei unzureichender Flüssigkeitszufuhr zu einer schweren Hypovolämie und somit zu einem prärenalen Nierenversagen führen. Gleiches gilt für das postrenale Nierenversagen, nämlich, wenn Medikamente wie Morphin-Präparate, Anticholinergika oder Sympathomimetika beispielsweise bei einer vorbestehenden Prostatahyperplasie eine Blasenentleerungsstörung auslösen.

Am häufigsten ist sicherlich das intrarenale Nierenversagen. Dabei kann es sich um eine funktionelle oder um eine organische Schädigung handeln. Ein typisches Beispiel für ein funktionelles intrarenales Nierenversagen ist der herzinsuffiziente Patient, der mit einem ACE-Hemmer und einem Diuretikum behandelt wird, und plötzlich eine Gastroenteritis mit Diarrhöen und rezidivierendem Erbrechen entwickelt. Hier liegt kein prärenales Nierenversagen im eigentlichen Sinn vor. Vielmehr bleibt bei einer Therapie mit einem ACE-Hemmer das Vas efferens trotz Volumenmangel weitgestellt, konsekutiv sinkt der intraglomeruläre Druck, was zu einem Nierenversagen führen kann. Typisch für solche Patienten ist ein stark erhöhter Creatinin- und Harnstoffwert. Außerdem sind der Hämoglobinwert und die Proteinkonzentration leicht erhöht, die Natriumkonzentration im Sinn einer hypovolämischen Hyponatriämie erniedrigt und das Kalium noch normal bis leicht erhöht. Bei solchen Patienten muss die Therapie mit dem ACE-Hemmer und dem Diuretikum sofort pausiert werden. Nach ausreichender Flüssigkeitsgabe kommt es aber innerhalb weniger Tage meist zu einer vollständigen Normalisierung der Nierenretentionswerte.

Auch nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) können zu einem funktionellen Nierenversagen führen, insbesondere dann, wenn ein Volumenmangel oder eine vorbestehende Nierenschädigung vorliegt. Doch der Wirkungsmechanismus ist hier ein anderer als bei den ACE-Hemmern. Physiologischerweise wird bei Patienten mit Volumenmangel oder vorbestehender Nierenschädigung durch die endogenen Prostaglandine das Vas afferens des Glomerulus weitgestellt, um eine ausreichende Nierenperfusion zu garantieren. NSAR hemmen die Prostaglandin-Bildung mit der Folge, dass sich das Vas afferens verengt. Auch dies führt zu einer Abnahme des glomerulären Perfusionsdrucks mit konsekutivem Nierenversagen.

Medikamente können aber nicht nur über solche funktionellen Störungen im Bereich der Glomeruli ein akutes Nierenversagen auslösen, sondern auch zu einer tubulo-interstitiellen Nephritis führen. Eine solche wiederum kann allergischer oder toxischer Genese sein. Die häufigsten Ursachen für eine allergische tubulo-interstitielle Nephritis sind Antibiotika, NSAR, Diuretika und Protonenpumpenhemmer. Interessanterweise kann sogar eine lokale Therapie mit einem NSAR-Präparat in Form einer Salbe eine solche allergische tubulo-interstitielle Nephritis auslösen.

Nur selten zeigen betroffene Patienten bei der klinischen Untersuchung generalisierte Zeichen einer allergischen Reaktion an Haut oder Gelenken. Im Vordergrund stehen Ödeme und Oligoanurie. Sonographisch erscheinen die Nieren geschwollen und das Labor ergibt einen erhöhten Creatininwert und eine Eosinophilie. Richtungsweisend ist der Urinbefund. Dieser zeigt neben einer deutlichen Proteinurie und Leukozyturie auch eine leichte Hämaturie. Bei Verdacht auf eine solche allergische tubulo-interstitielle Nephritis empfiehlt sich immer die Nierenbiopsie. Die Therapie der Wahl sind Glucocorticoide.

Zu den Substanzen, die einen toxischen tubulo-interstitiellen Schaden anrichten können, gehören Aminoglykoside und Cisplatin. Dazu kommen Substanzen, die über eine Kristallbildung eine obstruktive Tubulusschädigung verursachen wie Aciclovir, Indinavir, Sulfonamide und Vitamin C.

Eine neuere Substanz, die ebenfalls über eine toxische tubulo-interstitielle Schädigung zu einem akuten Nierenversagen führen kann, ist das Bisphosphonat Zoledronsäure (Zometa®). Die Gefahr besteht jedoch nur dann, wenn es zu schnell, nämlich innerhalb von 15 Minuten, infundiert wird. Deshalb sollte dieser Arzneistoff immer langsam, mindestens über 30 Minuten, appliziert werden.

Auch neue, spezifisch in der Tumortherapie eingesetzte, monoklonale Antikörper wie Bevacizumab (Avastin®) können nach neueren Erkenntnissen eine glomeruläre Gefäßschädigung und somit ein Nierenversagen auslösen.

Das häufigste Problem im klinischen Alltag ist jedoch die Kontrastmittelnephropathie. Dabei können Kontrastmittel sowohl tubuläre als auch vaskuläre Schäden an der Niere verursachen. Entscheidend für das nephrogene Risiko sind die Osmolalität des Kontrastmittels, die Menge und eine etwaige renale Vorschädigung.Besondere Risikofaktoren sind Volumenmangel, Herzinsuffizienz, chronische Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus, höheres Alter und ein Plasmozytom. Die wirksamste Prophylaxe ist eine ausreichende Hydratation.

Doch kommt es nach einer angiographischen Untersuchung zu einem akuten Nierenversagen, so liegt dies nicht immer an dem Kontrastmittel. Dann, wenn das Nierenversagen erst nach einigen Tagen einsetzt, sollte auch immer an eine Cholesterinembolie gedacht werden. Diese Diagnose wird zu Lebzeiten nur bei einem Drittel der betroffenen Patienten korrekt gestellt.

Liebe Leserin, lieber Leser, dieser Artikel ist nur für Abonnenten der AMT zugänglich.

Sie haben noch keine Zugangsdaten, sind aber AMT-Abonnent?

Registrieren Sie sich jetzt:
Nach erfolgreicher Registrierung können Sie sich mit Ihrer E-Mail Adresse und Ihrem gewählten Passwort anmelden.

Jetzt registrieren