Dr. Annette Schlegel, Versmold
Die Erythropoese-stimulierenden gentechnisch hergestellten Faktoren Epoetin alfa und beta (z. B. Erypo®, Neo-Recormon®) und Darbepoetin (Aranesp®) werden unter anderem zur Behandlung der tumorassoziierten Anämie eingesetzt. Die dazu durchgeführten klinischen Studien zeigten allerdings zum Teil auch ein erhöhtes Risiko für venöse Thrombosen durch den Anstieg des Hämoglobin-Werts und ein erhöhtes Mortalitätsrisiko.
In einer Metaanalyse wurden die Daten sowohl unabhängiger als auch von der Industrie geförderter Studien der letzten 20 Jahre zusammengeführt und bewertet, um die genannten Risiken näher einzugrenzen. Zur Einschätzung des Mortalitätsrisikos wurden 51 Phase-III-Studien mit insgesamt 13 611 Tumorpatienten ausgewertet, zur Einschätzung der Thrombosegefahr 38 Phase-III-Studien mit insgesamt 8 172 Patienten. Die Studien variierten dabei hinsichtlich des verabreichten Medikaments, der Anzahl an Patienten, der Behandlungsdauer, der ergänzenden Therapie und der Tumordiagnose. Zusammenfassend erbrachte die Analyse für Patienten mit tumorassoziierter Anämie bei Behandlung mit Erythropoese-stimulierenden Faktoren
- ein 1,57fach erhöhtes Risiko für thrombotische Ereignisse (95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 1,31–1,87); betroffen waren 334/4 610 (7,2 %) Patienten mit Verum-Behandlung und 173/3 562 (4,9 %) Kontrollpatienten
- ein 1,10fach erhöhtes Mortalitätsrisiko (95%-KI 1,01–1,20)
Die Erythropoese-stimulierenden Faktoren stoßen in Abhängigkeit vom Tumor zwar verschiedene zelluläre Mechanismen an, der genaue Mechanismus der mit diesen Substanzen verbundenen Zunahme der Sterblichkeit ist jedoch nach wie vor ungeklärt.
Das erhöhte Thromboserisiko wurde in der Vergangenheit vielfach bestätigt. So wurde bei Patienten mit Nieren- oder Herzerkrankungen nach Gabe von Erythropoese-stimulierenden Faktoren ein bis zu 5fach erhöhtes Risiko für Myokardinfarkte und thromboembolische Ereignisse festgestellt, wenn die Faktoren auf einen Hämoglobin-Zielwert von 14 g/dl dosiert wurden. In der CHOIR-Studie (Correction of hemoglobin and outcomes in renal insufficiency) hatten Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz ein erhöhtes Risiko für Tod und Herzinsuffizienz, wenn sie mit Epoetin alfa auf einen Hämoglobin-Zielwert von 13,5 g/ dl statt 11,3 g/ dl eingestellt wurden; zwischen dem Hämoglobin-Wert und dem Thromboserisiko ergab sich dabei kein Zusammenhang.
Weitere Untersuchungen zur Arzneimittelsicherheit von Erythropoese-stimulierenden Faktoren sind sicherlich noch erforderlich. Die Ergebnisse der aktuellen Metaanalyse wecken jedenfalls Bedenken an der Sicherheit der Behandlung von Tumorpatienten mit diesen Faktoren.
Die Fachinformationen enthalten inzwischen Hinweise auf die genannten Risiken und empfehlen, bei Tumorpatienten mit Anämie den Hämoglobin-Wert auf maximal 12 g/dl zu erhöhen.
Quelle
Bennet CL, et al. Venous thromboembolism and mortality associated with recombinant erythropoietin and darbepoetin administration for the treatment of cancer-associated anaemia. JAMA 2008;299:914–24.
Arzneimitteltherapie 2008; 26(10)