Dr. Monika Neubeck, Kaiserslautern
Hintergrund
Aufgrund genetischer Polymorphismen sprechen Patienten unterschiedlich stark auf eine Behandlung mit Warfarin (Coumadin®) an. Sowohl das hauptsächlich für die Biotransformation des S-Enantiomers verantwortliche Cytochrom-P450(CYP)-Isoenzym 2C9 als auch das Zielenzym Vitamin-K-Epoxid-Reduktase (VKORC1) weisen genetische Variabilitäten auf. Die Elimination des Arzneimittels kann verzögert oder das Ansprechen auf das Medikament verstärkt sein. Aufgrund der geringen therapeutischen Breite von Warfarin besteht somit insbesondere während der initialen Phase der Antikoagulationstherapie ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Blutungen, da hier die jeweils sichere Dosierung zunächst empirisch ermittelt werden muss. Eine individuelle Einschätzung der Anfangsdosis anhand des genetischen Profils könnte wesentlich zur Arzneimittelsicherheit von Warfarin beitragen (siehe Kasten). Die klinische Relevanz von Polymorphismen speziell für diese frühe Behandlungsphase sollte daher in einer klinischen Studie überprüft werden.
Studiendesign
297 Patienten, die sich in den Jahren 2002 bis 2004 am medizinischen Zentrum der Vanderbilt-Universität (U.S.A.) einer initialen Antikoagulationstherapie mit Warfarin unterziehen mussten, wurden in die Studie einbezogen. Es erfolgte eine Identifizierung der VKORC1-Haplotypen A und non-A sowie der CYP2C9-Genotypen *1 (Wildtyp), *2 und *3. CYP2C9*2 und CYP2C9*3 treten zu 8 bis 19 % bzw. 3 bis 16 % in der weißen Bevölkerung auf. Die Warfarin-Dosis wurde anhand der INR-Werte individuell angepasst und lag durchschnittlich bei 4,8 ± 0,8 mg, die mittlere Beobachtungszeit betrug 43 Tage.
Primäre Endpunkte waren die Zeit bis zum erstmaligen Erreichen eines INR-Werts innerhalb des therapeutischen Bereichs (2–4), die Zeit bis zum erstmaligen Erreichen eines INR-Werts größer 4, die Dauer, über die der INR-Wert bei einem Wert größer 4 lag und die Unterschiede im Ansprechen auf die Therapie in den ersten beiden Wochen und in der Zeit ab Behandlungstag 29 bis zum Ende der Studie. Sekundäre Endpunkte waren die durchschnittliche Warfarin-Tagesdosis und das Auftreten von Blutungen.
Ergebnisse
Patienten mit VKORC1-Haplotyp-A/A oder -non-A/A erreichten sowohl einen INR-Wert im therapeutischen Bereich als auch einen entsprechenden Wert größer 4 schneller als non-A/non-A-Haplotypen (p = 0,02 bzw. p = 0,003) (Tab. 1). Die Enzymaktivität der Vitamin-K-Epoxid-Reduktase ist aufgrund der unterschiedlichen Empfindlichkeit gegenüber Warfarin bei Haplotyp A/A am höchsten, bei non-A/A geringer und bei non-A/non-A am schwächsten. Homozygote Patienten vom Haplotyp A kamen 2,4-mal schneller in den therapeutischen INR-Bereich und 2,5-mal schneller zu einem ersten INR-Wert größer 4 als homozygote non-A-Träger (p < 0,001 bzw. 0,009). Heterozygote Patienten (Haplotyp non-A/A) hatten zumindest ein erhöhtes Risiko, INR-Werte über 4 zu erreichen. Die INR von Patienten mit Haplotyp A/A lag über einen signifikant längeren Zeitraum oberhalb des therapeutischen Bereichs als die von non-A/non-A-Patienten (mittlerer Prozentsatz 18,8 % vs. 9,1 %, p = 0,02). Der INR-Wert wurde insbesondere in den ersten beiden Therapiewochen signifikant durch die Zugehörigkeit zum VKORC1-Haplotypus beeinflusst (p < 0,001). Die erforderliche Warfarin-Dosis war für die Haplotypen A/A und non-A/A signifikant reduziert (p < 0,001).
Tab. 1. Zeit bis zum erstmaligen Erreichen eines INR-Werts im therapeutischen Bereich (2–4) oder größer 4 nach initialer Therapie von Warfarin zur Antikoagulation bei verschiedenen Haplotypen des Zielenzyms Vitamin-K-Epoxid-Reduktase (VKORC1) oder Genotypen des Biotransformationsenzyms CYP2C9
Haplotyp oder Genotyp |
Mediane Dauer bis zum Erreichen eines INR-Werts im therapeutischen Bereich (Tage) |
Mediane Dauer bis zum Erreichen eines INR-Werts > 4 (Tage) |
|
VKORC1 |
non-A / non-A |
15 |
23 |
non-A / A |
11 |
20 |
|
A / A |
7 |
17 |
|
CYP2C9 |
*1 / *1 |
12 |
22 |
*1 / *2 oder *1 / *3 |
11 |
19 |
|
*2 / *2, *2 / *3 oder *3 / *3 |
9 |
18 |
Eine signifikante Vorhersage des Zeitpunkts für das erstmalige Erreichen des therapeutischen INR-Bereichs war aufgrund des CYP2C9-Genotyps nicht möglich (p = 0,57). Jedoch erreichten CYP2C9*2- und CYP2C9*3-Patienten signifikant früher einen INR-Wert größer 4 als CYP2C9*1-Patienten (p = 0,03) (Tab. 1). Der Zusammenhang zwischen dem CYP2C9-Genotyp und dem Auftreten eines INR-Werts oberhalb des therapeutischen Bereichs war nicht signifikant. Die Zugehörigkeit zum CYP2C9-Genotypus zeigte jedoch einen signifikanten Zusammenhang mit der Warfarin-Dosierung, wobei der Effekt nach den ersten beiden Behandlungswochen, in der Zeit von Tag 29 bis zum Ende der Studie, deutlicher ausgeprägt war als in den ersten beiden Wochen der Studie.
Schwerwiegende Blutungen wurden weder durch den VKORC1-Haplotyp noch durch bestimmte CYP2C9-Genotypen signifikant beeinflusst.
Diskussion
In den ersten beiden Wochen einer Warfarin-Therapie beeinflusste hauptsächlich der Haplotyp des Zielenzyms VKORC1 das Ansprechen auf die Behandlung. Der Genotyp des Biotransformationsenzyms CYP2C9 hatte in diesem Zeitintervall, im Gegensatz zu Erkenntnissen bei länger dauernder Therapie, kaum Auswirkungen. Träger von VKORC1-Haplotyp A wiesen trotz empirischer Dosisanpassung signifikant schneller signifikant höhere INR-Werte auf als homozygote non-A-Patienten. Erst nach zweiwöchiger Behandlungszeit war auch eine signifikante Beeinflussung in Abhängigkeit vom CYP2C9-Genotypus nachweisbar.
Insbesondere bei Substanzen mit kleinem therapeutischem Fenster wie Warfarin ist es sehr hilfreich, auf die Erkenntnisse der Pharmakogenetik zurückzugreifen.
Warfarin-Dosierungen in Abhängigkeit vom VKORC1-Haplotyp und CYP2C9-Genotyp
Haplotyp A: Niedrigdosis-Gruppe
Haplotyp B (= non-A-Haplotyp):
Hochdosis-Gruppe
Mittlere tägliche Erhaltungsdosis
[nach Rieder MJ, et al. 2005]:
A/A: 2,7 ± 0,2 mg
A/B: 4,9 ± 0,2 mg
B/B: 6,2 ± 0,3 mg
Mittlerer Unterschied in der Warfarin-Dosierung [nach Sanderson S, et al. 2005]:
CYP2C9*2: –17 %
CYP2C9*3: –37 %
Quellen
Schwarz UI, et al. Genetic determinants of response to warfarin during initial anticoagulation. N Engl J Med 2008;358:999–1008.
Rieder MJ, et al. Effect of VKORC1 haplotypes on transcriptional regulation and warfarin dose. N Engl J Med 2005;352:2285–93.
Sanderson S, et al. CYP2C9 gene variants, drug dose, and bleeding risk in warfarin-treated patients: a HuGEnet systematic review and meta-analysis. Genet Med 2005;7:97–104.
Arzneimitteltherapie 2008; 26(11)