Urologische Anticholinergika und die Blut-Hirn-Schranke


Andreas Wiedemann, Witten, und Ingo Füsgen, Wuppertal

Die überaktive Blase stellt ein zunehmendes medizinisches, soziales und ökonomisches Problem der alternden Bevölkerung dar. Die zur Dämpfung der Symptomatik eingesetzten Anticholinergika können ZNS-Nebenwirkungen verursachen – besonders auch vor dem Hintergrund, dass durch anticholinerge Nebenwirkungen einer Fülle von Arzneistoffen bereits eine anticholinerge „Last“ besteht. Zwei Substanzen, das „rezeptorsubselektive“ tertiäre Amin Darifenacin und die hydrophile, nicht liquorgängige quartäre Ammoniumverbindung Trospiumchlorid, sollen ein geringeres Gefährdungspotenzial im Hinblick auf zentralnervöse Nebenwirkungen besitzen. Darifenacin ist schwach rezeptorsubselektiv für den in der Harnblase für die Kontraktion verantwortlichen Muscarin-Rezeptor Subtyp 3 (M3-Rezeptor) gegenüber dem M1-Rezeptor, der mit der Kognition in Zusammenhang gebracht wird. In Anbetracht der Tatsache, dass jedoch auch zumindest im Tierversuch ebenfalls für eine fehlende Expression von M1-, M2- und M5-Rezeptoren kognitive Störungen nachgewiesen werden konnten, muss dieses vereinfachende Konzept in Zweifel gezogen werden. Im Fall von Trospiumchlorid, das aufgrund seiner Ladung und Molekülgröße als hydrophile Substanz die Blut-Hirn-Schranke im Normalfall nicht permeieren kann, könnten Störungen der Barrierefunktion, wie sie für dementive Erkrankungen, verschiedene neurologische Krankheitsbilder oder höheres Alter im Albumin-Modell nachgewiesen wurden, im Einzelfall doch dazu führen, dass die Substanz im Gehirngewebe anflutet. Jedoch erscheint auch diese Aussage der zunehmenden Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke für die primär nicht liquorgängige quartäre Ammoniumverbindung vor dem Hintergrund kürzlich entdeckter Arzneimitteltransporter, die Trospiumchlorid aus dem Gehirngewebe eliminieren können, und angesichts der fraglichen Übertragbarkeit der im Albumin-Modell nachgewiesenen Störungen der Blut-Hirn-Schranke auf Anticholinergika zweifelhaft. Die Klärung der Frage, ob sich die urologischen Anticholinergika hinsichtlich ihres Gefährdungspotenzials bei der Auslösung von ZNS-Nebenwirkungen unterscheiden, ist letztendlich nur durch Liquorkonzentrationsbestimmungen oder durch einheitliche kognitive Leistungstests, die auf alle Anticholinergika bei vergleichbaren Patientengruppen angewendet werden, zu erreichen. Solange diese nicht vorliegen, sollte bei der Behandlung der überaktiven Blase auf ZNS-Nebenwirkungen geachtet werden.
Arzneimitteltherapie 2008;26:414–9.

Liebe Leserin, lieber Leser, dieser Artikel ist nur für Abonnenten der AMT zugänglich.

Sie haben noch keine Zugangsdaten, sind aber AMT-Abonnent?

Registrieren Sie sich jetzt:
Nach erfolgreicher Registrierung können Sie sich mit Ihrer E-Mail Adresse und Ihrem gewählten Passwort anmelden.

Jetzt registrieren