Andreas Wiedemann, Witten, und Ingo Füsgen, Wuppertal
Einleitung
Erkenntnisse zu Arzneistoffen mit anticholinergen Haupt- oder Nebenwirkungen haben in den letzten Jahren gerade im Hinblick auf kognitive Beeinflussung zu der Empfehlung geführt, Anticholinergika bei Hochbetagten und Multimorbiden nur unter strenger Indikationsstellung und vorsichtig dosiert einzusetzen [1, 2]. Auslöser für die Diskussion war die Arbeit von Ancelin und Mitarbeitern [3], die darauf hinwiesen, dass unter der Einnahme von Substanzen mit anticholinerger Wirkung bei anderweitig gesunden, älteren Personen gehäuft kognitive Defizite messbar sind. Die Dimension des Problems wird deutlich, wenn man sich bewusst macht, wie viele Anticholinergika eingesetzt werden und wie viele Arzneistoffe anticholinerge Nebenwirkungen haben. Ihr Gebrauch ist insbesondere beim älteren multimorbiden Patienten weit verbreitet. Über 50 % von Heimbewohnern nehmen mehr als zwei anticholinerg wirksame Substanzen ein, 5 % sogar mehr als fünf solcher Einzelsubstanzen [4].
Urologische Spasmolytika mit anticholinerger Wirkung werden zur Behandlung der Harninkontinenz eingesetzt (Tab. 1). Die anticholinerge Wirkung dieser Arzneistoffe senkt einerseits in der Blase den Detrusortonus, reduziert aber auch die einschießenden Drangsymptome. 18 Präparate mit sieben direkt oder indirekt anticholinergen Wirkstoffen zählten 2008 zu den 3 000 meist verordneten Medikamenten [2]. Die gesamte Indikationsgruppe erfährt in den letzten Jahren eine deutliche Verordnungszunahme, die sich vermutlich auf die zunehmende Aufklärung des Tabuthemas Inkontinenz, aber auch auf die zunehmende Zahl Älterer mit Inkontinenz zurückführen lässt. Vor dem Hintergrund der „anticholinergen Last“ einer alternden Bevölkerung spielt dabei der jeweilige Einfluss auf die Kognition eine entscheidende Rolle. Anticholinergika können die Wirkung von Cholinesterasehemmern wie Donepezil (Aricept®) oder Rivastigmin (Exelon®), die zur Behandlung der Alzheimer-Demenz eingesetzt werden, abschwächen oder sogar unwirksam machen [5]. Damit kann die Behandlung eines Symptoms – die überaktive Blase – die Grunderkrankung selbst verschlechtern [6, 7]. Anticholinergika oder Pharmaka mit anticholinerger Begleitwirkung können so zu Einschränkungen der Kognition durch Beeinflussung des cholinergen Systems im Cortex führen. Dies legen für die Gruppe der sogenannten tertiären Amine innerhalb der urologischen Spasmolytika Tierversuche [8], rund 75 Kasuistiken [9, 10], zwei EEG-Untersuchungen [11, 12], zwei Schlaflaboruntersuchungen [13, 14] und eine kontrollierte Studie bei älteren Probanden [15] nahe. Das klinische Erscheinungsbild solcher kognitiven Störungen unter Anticholinergika-Therapie in den Kasuistiken umfasst Konzentrationsstörungen, Schläfrigkeit, Gedächtnisstörungen bis hin zu deliranten Zuständen.
Tab. 1. „Urologische“ Anticholinergika
Substanzklasse |
Wirkstoff |
Handelsname |
Tertiäre Amine |
Oxybutynin |
Z. B. Lyrinel® uno, Dridase®, viele Generika; Kentera® (Pflaster) |
Tolterodin |
Detrusitol® |
|
Solifenacin |
Vesikur® |
|
Propiverin |
Mictonorm® |
|
Darifenacin |
Emselex® |
|
Quartäre Ammoniumverbindungen |
Trospiumchlorid |
Spasmex®, Spasmolyt®, Spasmo-Rhoival® TC 20, Spasmo-Urgenin® TC, Trospi® |
Zwei Anticholinergika gelten im Hinblick auf die Auslösung von ZNS-Nebenwirkungen als weniger problematisch. Darifenacin soll als „rezeptorselektiv“ cholinerge Rezeptor-Subtypen, die im Cortex verantwortlich für die Kognition sind (M1-Rezeptoren), weniger dämpfen als solche, die die Detrusorkontraktionen auslösen (M3-Rezeptoren); Trospiumchlorid soll die Blut-Hirn-Schranke als natürliche Barriere für hydrophile Substanzen nicht überwinden können und damit keine relevanten ZNS-Nebenwirkungen auslösen.
Wie rezeptorselektiv ist Darifenacin? Kann Trospiumchlorid wirklich nicht in das ZNS gelangen? Was ist pharmakologisch gesichert? In der folgenden Zusammenstellung soll diesen Fragen nachgegangen werden.
Ist M3-Rezeptor-Subselektivität in der Harnblase ein Vorteil?
Im Gegensatz zu Oxybutynin, Tolterodin, Solifenacin und Trospiumchlorid beeinflusst Darifenacin muscarinerge M3-Rezeptoren rund 9-mal stärker als M1-Rezeptoren; M3-Rezeptoren werden 59-mal stärker als M2-Rezeptoren gehemmt [16, 17]. Unter der Vorstellung, dass M3-Rezeptoren für die physiologische Detrusorkontraktion verantwortlich sind [18], ließe sich ausgehend von der Rezeptor-Selektivität der Substanz ein Vorteil gegenüber anderen Anticholinergika postulieren. Die Reduktion der Pathophysiologie der überaktiven Blase auf diesen einen Rezeptor-Subtyp wird jedoch den komplexen und vielfach noch unklaren Vorgängen nicht gerecht. In der Detrusormuskulatur stellen M2-Rezeptoren mit rund drei Viertel aller Rezeptoren die Mehrheit aller Rezeptor-Subtypen dar, aber auch M1-Rezeptoren und sogar M5-Rezeptoren wurden nachgewiesen [19, 20]. M2-Rezeptoren haben die Aufgabe, die über Beta3-Rezeptoren sympathisch vermittelte Detrusorrelaxation der Harnblasenspeicherphase für die Entleerungsphase „auszuschalten“ [21]. Damit ist ein geordnetes Zusammenspiel zwischen Blasenentleerungs- und Speicherphase erst durch die koordinierte Zusammenwirkung beider Rezeptor-Subtypen möglich (Abb. 1). Dies gilt umso mehr, als noch unklar ist, ob die Pathophysiologie einer überaktiven Blase ihren Ausgangspunkt von einer Störung der M2- oder M3-Rezeptoren nimmt. Denkbar wäre auch eine Pathophysiologie der überaktiven Blase, die von einer gestörten Detrusorrelaxation, also im sympathischen System von einer fehlenden beta3-adrenergen Stimulation ihren Ausgangspunkt nimmt. Es liegen auch Hinweise vor, dass eine überaktive Blase – im Ergebnis gleich – durch eine vorzeitige „Ausschaltung“ der Detrusorrelaxation durch defekte M2-Rezeptoren getriggert sein kann: Dies gilt der Literatur nach für eine Detrusorinstabilität infolge einer subvesikalen Obstruktion [22], für bestimmte idiopathische Formen [23] und besonders auch für die neurogene überaktive Blase [24].

Abb. 1. Koordiniertes Zusammenwirken von M2/M3-Rezeptoren und Beta3(b3)-Rezeptoren in der Entleerungs- und Speicherphase der Harnblase
In der Speicherphase wird der Harnblasendetrusor über adrenerge b3-Rezeptoren relaxiert. Wird die Miktion in Gang gesetzt und damit die Entleerungsphase eingeleitet, kommt es zu einer über muscarinerge M3-Rezeptoren vermittelten Detrusorkontraktion. M2-Rezeptoren schalten simultan die Detrusorrelaxation „aus“.
In letzter Zeit wurde unsere pathophysiologische Sicht auf die autonome Harnblasensteuerung durch die Entdeckung präsynaptischer und urothelständiger Muscarin-Rezeptoren erweitert: Präsynaptische M1-Rezeptoren fördern die Detrusorkontraktion [25], präsynaptische M2- und M4-Rezeptoren hemmen sie [26]. In menschlichem Urothel konnten Muscarin-Rezeptoren nachgewiesen werden. Es handelt sich in der Mehrzahl um M2-Rezeptoren [20]. Die Nähe dieser Rezeptoren zu afferenten Nervenfasern und die Fähigkeit des Urothels, Acetylcholin auf äußere Reize hin auszuschütten [27], lassen die Vermutung zu, dass das menschliche Urothel einen modulierenden Einfluss auf anatomisch benachbarte Detrusormuskulatur über M2-Rezeptoren nimmt. Auch dieser Mechanismus lässt einen pharmakologischen Zugriff, der allein auf M3-Rezeptoren abzielt, als – möglicherweise für eine Subgruppe von Patienten mit überaktiver Blase – zu kurz gegriffen erscheinen.
Kognition und cholinerges System
Im ZNS kommen alle fünf bisher bekannten Muscarin-Rezeptor-Subtypen vor [28, 29]. Das zentrale cholinerge System korrespondiert modulierend mit nahezu allen anderen Gehirnabschnitten [30]. Tierexperimentelle Untersuchungen legen nahe, dass es einer temporären Plastizität durch eine Expression des Rezeptors auf der Zelloberfläche oder im Zellinneren [31] unterliegt und sich auch entsprechend dem Alter des Individuums verändert [32]. Untersuchungen an Knock-out-Mäusen belegen zumindest für Tiere mit fehlender Expression von M1-, M2- und M5-Rezeptoren kognitive Defizite [28, 33]. Kognitive Leistungen vereinfachend als M1-Rezeptor-vermittelt darzustellen, wird damit der Komplexität des cholinergen Systems sicher nicht gerecht. Die 9fach stärkere Beeinflussung des M3-Rezeptor-Subtyps gegenüber dem M1-Rezeptor-Subtyp von Darifenacin als Schutz vor der Auslösung von ZNS-Nebenwirkungen darzustellen, muss damit zumindest als fraglich gelten.
Welche Rolle spielt die Blut-Hirn-Schranke bei der Vermeidung von ZNS-Nebenwirkungen?
Die heute zur Therapie der überaktiven Blase zur Verfügung stehenden Anticholinergika unterscheiden sich chemisch in einem wesentlichen Punkt: Während Darifenacin, Oxybutynin, Propiverin, Solifenacin und Tolterodin sich als so genannte tertiäre Amine lipophil verhalten, ist die einzige quartäre Amoniumverbindung Trospiumchlorid positiv geladen und damit hydrophil. Die Fähigkeit einer Substanz, die Blut-Hirn-Schranke mittels Diffusion oder aktivem Transport zu überwinden, hängt von ihrer Molekülgröße, der Ladung und dem Vorhandensein von spezifischen Transportproteinen ab [34, 35]. Geladene, hydrophile Substanzen wie die quartäre Ammoniumverbindung können – so die Theorie – nicht in nennenswertem Umfang durch die intakte Blut-Hirn-Schranke diffundieren. Die entscheidende Frage bei der Beurteilung der Stichhaltigkeit dieses Konzepts ist, ob sich die Barriere-Funktion der Blut-Hirn-Schranke unter bestimmten Bedingungen so verändert, dass der substanzeigene Vorteil des quartären Amins nicht mehr zum Tragen kommt. Tatsächlich wird mit dem sogenannten „Albumin-Permeabilitäts-Index“ für höheres Alter [36] (Abb. 2), für die Enzephalitis disseminata [37], Alzheimer-Demenz [38] und andere Demenzerkrankungen [39] sowie mittels Gadolinium-Magnetresonanztomographie bei Diabetes mellitus Typ 2 [40] eine gesteigerte Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke nachgewiesen.

Abb. 2. Permeabiltät der Blut-Hirn-Schranke im Albumin-Modell nach Pakulski [36], gemessen bei jeweils 20 Personen der verschiedenen Altersgruppen im Rahmen einer Spinalanästhesie
Der Albumin-Permeabilitäts-Index setzt die Konzentration von Albumin im Liquor und im Serum in Beziehung. Die Versuchung ist an dieser Stelle groß, dieses Albumin-Modell auf die Anticholinergika zu übertragen. Dies würde bedeuten, dass die quartäre Ammoniumverbindung Trospiumchlorid bei den genannten Risikogruppen (hohes Alter, Demenz, Encephalitis disseminata) den Vorteil der fehlenden Anflutung im Liquorraum verlieren und doch mit zentralen Muscarin-Rezeptoren interagieren und damit ZNS-Nebenwirkungen auslösen könnte. Doch sollten bei dem Vergleich von Albumin mit Anticholinergika methodische Zweifel angemeldet werden – beispielsweise aufgrund eines 180fachen Unterschieds in der Molekülgröße (Tab. 2).
Tab. 2. Molekülgewicht von Anticholinergika im Vergleich zu Albumin
Wirkstoff/Albumin |
Relative Molekülmasse [g/mol] |
Oxybutynin |
357 |
Tolterodin |
475 |
Solifenacin |
480 |
Darifenacin |
507 |
Trospium |
428 |
Albumin |
69 000 |
Dabei böte die systematische Messung der Konzentration der verschiedenen Anticholinergika im Serum und im Liquor bei Gesunden und Risikogruppen analog dem Modell des Albumin-Permeabilitäts-Indexes eine saubere methodische Aufklärung der hier entscheidenden Frage. Solche Untersuchungen liegen jedoch aus methodischen und letztlich finanziellen Gründen nicht vor: Während Albumin als körpereigener Stoff für eine solche Untersuchung nicht extern zugeführt werden muss, würde eine analoge Untersuchung mit Anticholinergika einen ungleich höheren Aufwand bedeuten. Zudem sind die Folgen einer erforderlichen Lumbalpunktion für Risikopatienten zu berücksichtigen (z. B. Meningitis, Tentoriumschlitzeinklemmung). Hinzu kommt, dass solche Untersuchungen nur schwer finanzierbar sind. Solange es aber solche Untersuchungen nicht gibt, müssen indirekte Hinweise auf das Gefährdungspotenzial von Anticholinergika im Hinblick auf ZNS-Nebenwirkungen genügen. Das Dilemma ist hier, dass es keine allgemein akzeptierten, einheitlichen klinischen Modelle für diese Fragestellung gibt. So müssen verschiedene Modelle herangezogen werden: EEG-Untersuchungen [11, 12], polysomnographische Tests [13, 14] und Untersuchungen zur Schlafqualität [41] konnten für die quartäre Ammoniumverbindung Trospiumchlorid keine ZNS-Nebenwirkungen belegen. Psychometrische Tests (z. B. Wortwiederholung, Gesichterwiedererkennung, Konzentrationstests) negieren für Darifenacin [42, 43] und für Trospiumchlorid [44] Einflüsse der Medikation auf die Testergebnisse. Demgegenüber belegt eine Fülle von Kasuistiken verschiedenste ZNS-Nebenwirkungen bei den anderen tertiären Aminen [10, 15, 45].
Eine weitere Frage stellt sich unter der Prämisse einer beispielsweise im Alter durchlässigeren Blut-Hirn-Schranke: Zwei Schutzmechanismen lassen nicht automatisch eine höhere Vulnerabilität für das ZNS annehmen: Zum einen ist aus Positronen-Emissions-Tomographie(PET)-Untersuchungen bekannt, dass die Muscarin-Rezeptor-Bindung im Alter pro Dekade um rund 7 % abnimmt [46, 47]. Zum anderen ist für Trospiumchlorid durch Versuche an Knock-out-Mäusen ohne ein Arzneimittel-Transportprotein belegt, dass die geringe Menge, die im Gehirngewebe nach Gabe der quartären Ammoniumverbindung im Gegensatz zum tertiären Amin nachweisbar ist (Abb. 3), durch das mdr-1-Transportprotein innerhalb weniger Stunden wieder eliminiert wird (Abb. 4) [48].

Abb. 3. Konzentrationen von Oxybutynin (tertiäres Amin) und Trospiumchlorid (quartäre Ammoniumverbindung) [ng/g Gehirnmasse] 2 Stunden nach intravenöser Gabe im Gehirngewebe bei Mäusen mit („Wildtyp“) und ohne mdr-1-Transport-Protein („mdr-1-knock-out“) [nach 48]
Trospiumchlorid gelangt in nicht nennenswertem Umfang in das Gehirngewebe und wird durch das mdr-1-Transportprotein schneller wieder eliminiert (Konzentration um den Faktor 1,8 niedriger)

Abb. 4. Konzentration von Trospiumchlorid im Gehirngewebe [ng/g Gehirnmasse] 2 und 12 Stunden nach intravenöser und 12 Stunden nach peroraler Gabe bei Mäusen mit („Wildtyp“) und ohne („mdr-1-knock-out“) mdr-1-Transport-Protein [nach 48]
Offenbar sind die Verhältnisse auch hier komplexer, als verkürzte Marketing-Botschaften es annehmen lassen.
Schlussfolgerungen
Die Anticholinergika-Therapie der überaktiven Blase bei hochbetagten multimorbiden Patienten mit einem hohen Risiko für eine kognitive Beeinträchtigung durch ihre Grunderkrankung (z. B. Diabetes mellitus, Demenz, Parkinson-Krankheit) und die „anticholinerge Last“ ihrer Medikation ist problematisch. Die damit verbundenen Fragen hinsichtlich eines eventuellen Gefährdungspotenzials verschiedener Anticholinergika sind noch nicht eindeutig beantwortet.
Während die Gruppe der sogenannten tertiären Amine als lipophile Substanzen liquorgängig ist und somit im ZNS anflutend mit zentralen Muscarin-Rezeptoren interagieren kann, ist die quartäre Ammoniumverbindung Trospiumchlorid als hydrophile Substanz bei intakter Blut-Hirn-Schranke nicht liquorgängig. Im Albumin-Modell liegen Hinweise darauf vor, dass die Blut-Hirn-Schranke im Alter sowie bei degenerativen und entzündlichen ZNS-Erkrankungen für Albumin durchlässiger wird. In Anbetracht alleine der unterschiedlichen Molekülgröße von Albumin und urologischen Anticholinergika muss jedoch zweifelhaft erscheinen, ob urologische Anticholinergika bei den genannten Risikogruppen ähnlich wie Albumin in den Liquorraum eindringen können. Da an der Kognition alle fünf muscarinergen Rezeptor-Subtypen beteiligt sind, muss darüber hinaus fraglich bleiben, ob die Rezeptor-Subselektivität von Darifenacin eine wirkliche Minimierung der Gefahr von ZNS-Nebenwirkungen durch urologische Anticholinergika darstellt.
Hier besteht angesichts der demographischen Entwicklung ein dringender Handlungs- und Klärungsbedarf.
Zu fordern ist so einerseits die Etablierung eines einheitlichen, experimentellen, für alle Anticholinergika anzuwendenden Ansatzes etwa analog dem Albuminmodell zur eindeutigen Klärung der Frage, in welchem Umfang Anticholinergika der verschiedenen Substanzklassen das Gehirn erreichen und wie lange sie dort verbleiben. Diese Frage müsste besonders auch für Patientengruppen mit besonderem Gefährdungspotenzial analysiert werden. Hierzu gehören alte Patienten, Kinder und Patienten mit neurologischen Erkrankungen.
Andererseits wäre die Festlegung auf einen aussagekräftigen klinischen Test oder eine solche Testbatterie, die die Frage klinisch messbarer Auswirkungen einer Anticholinergika-Therapie auf das ZNS beantwortet, nötig.
Bisher ist nicht klar, ob etwa EEG-Untersuchungen, Polysomnographien, psychomotorische Leistungstests oder Assessments zur Demenzdetektion hier ein geeignetes Instrument darstellen. An einem solchen als spezifisch für die Fragestellung der Erfassung von ZNS-Nebenwirkungen von Anticholinergika anerkannten Test-Armamentarium müssten „head to head“ alle Anticholinergika in verschiedenen Dosierungen und Applikationsformen verglichen werden. Solange dies nicht geschehen ist, ist für die nicht rezeptorselektiven Anticholinergika aus der Gruppe der tertiären Amine das höchste Risiko von ZNS-Nebenwirkungen anzunehmen.
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Dr. Andreas Wiedemann, Lehrstuhl für Geriatrie der Universität Witten/Herdecke, Urologische Abteilung, Evangelisches Krankenhaus im Diakoniewerk Ruhr, Pferdebachstr. 27–43, 58455 Witten, E-Mail: awiedemann@dwr.de
Prof. Dr. Ingo Füsgen, Lehrstuhl für Geriatrie der Universität Witten/Herdecke, Geriatrische Kliniken Wuppertal der Kliniken St. Antonius
Anticholinergic drugs for the treatment of overactive bladder and the blood-brain-barrier
Overactive bladder syndrome is an increasing medical, social and economic problem in the ageing population. Anticholinergic drugs which are administered to improve symptoms in patients with overactive bladder syndrome can cause adverse effects on the central nervous system – especially as a consequence of concomitant treatment with other pharmacologic agents with anticholinergic activity (anticholinergic load). Two drugs, the tertiary amine darifenacin and the hydrophile quaternary amine trospium chloride, may be associated with a lower risk of adverse effects on the central nervous system. Darifenacin is an antagonist of muscarinic receptors, predominantly of muscarinic receptor subtype 3 (M3), which is primarily responsible for bladder muscle contraction, compared to subtype 1 (M1), which is thought to play a role in cognition. But as cognitive impairment was also shown for missing expression of muscarinic receptor subtypes 1, 2 and 5 in animal experiments, this simplistic concept must be challenged. Trospium chloride as a hydrophile compound cannot penetrate the blood-brain-barrier because of its electrical charge and its molecular size/molecular weight. In case of impaired barrier function – like it was shown for dementia, diverse neurologic disease pattern and the elderly by determining the albumin permeability index – trospium chloride may possibly penetrate the blood-brain-barrier. But again this is questionable as active transport mechanism and elimination of trospium chloride from the brain tissue was recently detected, and as results from the albumin model might not be transferable on anticholinergic drugs.
The question, if there are differences in risk of adverse effects on central nervous system among anticholinergic drugs for the treatment of overactive bladder, could only be answered with the results of experiments determining the drug liquor concentrations or with the results of consistent tests showing cognitive function. As long as these data are not available, one should be aware of adverse effects on the central nervous system when treating overactive bladder with anticholinergic drugs.
Keywords: Anticholinergic drugs, muscarinic receptor (subtypes), overactive bladder, urinary incontinence, pharmacotherapy, older patients, central nervous system effects, blood-brain-barrier
Arzneimitteltherapie 2008; 26(11)