Dr. Susanne Heinzl, Reutlingen
Zwei im Juli 2008 in Europa aufgetretene Fälle von progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) wurden im Rahmen des Kongresses intensiv diskutiert. Die Experten waren sich jedoch einig, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Natalizumab als positiv angesehen werden kann. Bei der Anwendung von Natalizumab wird trotzdem eine erhöhte klinische Wachsamkeit gefordert. Sie ist der wichtigste Faktor für die Erkennung einer PML. Eine sorgfältige neurologische Untersuchung muss beim ersten Auftreten von neuen Symptomen und einer Verschlechterung der Symptome erfolgen. Kann eine PML durch die neurologische Untersuchung nicht sicher ausgeschlossen werden, muss eine Kernspintomographie (MRT) durchgeführt werden. Sind die klinischen Symptome oder die MRT-Ergebnisse verdächtig für eine PML, ist eine PCR-Analyse des Liquors auf JC-Viren erforderlich (siehe auch Stellungnahme der DMSG unter www.dmsg.de) [1].
Programme zur Überwachung
Bis Ende Juni 2008 wurden weltweit etwa 43300 Patienten mit Natalizumab behandelt, und zwar rund 13900 über mindestens 1 Jahr und 6600 über mindestens 18 Monate. Weltweit erhalten derzeit circa 31800 Patienten den Antikörper [2].
In den USA müssen alle Patienten in das TOUCH™-Programm (Tysabri® outreach: unified commitment to health) eingeschlossen werden, um die Anwendung und Verträglichkeit zu erfassen. Darüber hinaus wird in TYGRIS (Tysabri® global observation program in safety), einer weltweiten Beobachtungsstudie, die Langzeitverträglichkeit in der klinischen Praxis erfasst [2, 3].
STRATA (Safety of Tysabri® redosing and treatment) ist eine offene, multinationale, derzeit noch laufende Studie, in der die Langzeitverträglichkeit bei Patienten aus anderen Tysabri®-Studien (AFFIRM, SENTINEL, GLANCE) über vier Jahre weiter beobachtet wird. Derzeit vorliegende Daten geben keinen Hinweis auf ungewöhnliche schwere Nebenwirkungen [4].
Verminderte Krankheitsaktivität bis hin zur Remission
In der für die Zulassung entscheidenden Phase-III-Studie konnte für Natalizumab eine sehr gute Wirksamkeit gezeigt werden. Die jährliche Schubrate sank um 68% (relative Risikoreduktion), bei Patienten mit hoch aktiver Erkrankung sogar um 81%. Natalizumab reduzierte das relative Risiko für eine anhaltende Behinderungsprogression um 42 bis 54%, bei den schwerer kranken Patienten um 53 bis 64%. Die Anzahl der Gd+ Läsionen sank um relativ 92% [5].
Die Wirkung von Natalizumab auf die funktionelle Besserung der Behinderung bei Patienten mit einem Ausgangs-EDSS-Score ≥2 wurde in einer Post-hoc-Analyse untersucht [6]. Mit dem Antikörper betrug die Wahrscheinlichkeit für eine anhaltende Besserung der funktionellen Behinderung 29,6% und war damit signifikant höher (p = 0,006) als in der Plazebo-Gruppe mit 18,7%. Die Wirkung war bei den Patienten mit hoch aktiver Erkrankung noch besser, hier betrug die Chance auf anhaltende Besserung 35,5% (Plazebo 15,4%; p = 0,045).
In einer weiteren Post-hoc-Auswertung der AFFIRM-Studie konnte gezeigt werden, dass bei der Behandlung mit Natalizumab nach zwei Jahren noch 36,7% der Patienten klinisch und im MRT frei von jeder Krankheitsaktivität waren; in der Plazebo-Gruppe waren es 7% [7].
Weil die Schubrate bei Patienten der AFFIRM- und SENTINEL-Studie, bei denen noch Gd+ Läsionen nachweisbar waren, ebenfalls signifikant verringert wurde (Abb. 1), wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass Natalizumab die klinische Krankheitsaktivität modulieren kann. Natalizumab kann die Krankheitsaktivität in einen weniger aktiven oder weniger schweren Zustand verschieben und eine Remission induzieren [8].

Abb. 1. Jährliche Schubrate bei Patienten der AFFIRM-Studie mit Gd+ Läsion [nach 8]
Quellen
1. Gold R. Treatment of PML unfolding during monotherapy with natalizumab. World Congress on Treatment and Research in Multiple Sclerosis, 19. September, 2008, Montreal, Kanada
2. Panzara MA, Baldinetti F, Belcher G, Bozic C, et al. Natalizumab utilization and safety in patients with relapsing MS: updated results from TOUCHTM and TYGRIS. World Congress on Treatment and Research in Multiple Sclerosis, 17. bis. 20. September, 2008, Montreal, Kanada, Poster 488.
3. Stangel M, Soelberg-Sorensen P, Petersen T, Vermersch P, et al. Natalizumab utilization and safety in the TYGRIS program in the European Union and Canada. World Congress on Treatment and Research in Multiple Sclerosis, 17. bis. 20. September, 2008, Montreal, Kanada, Poster 516.
4. Polman CH Goodman AD, Kappos L, Lublin FD, et al. Safety and efficacy of natalizumab re-dosing and treatment in the STRATA study. World Congress on Treatment and Research in Multiple Sclerosis, 17. bis. 20. September, 2008, Montreal, Kanada, Poster 494.
5. Polman CH, O’Connor PW, Havrdova E, Hutchinson M, et al. A randomized, placebo-controlled trial of Natalizumab for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2006;354:899–910.
6. Munschauer F, Giovannoni G, Lublin F, O’Connor PW, et al. Natalizumab significantly increases the cumulative probability of sustained improvement in physical disability. World Congress on Treatment and Research in Multiple Sclerosis, 17. bis. 20. September, 2008, Montreal, Kanada, Poster 474.
7. Havrdova E, Bates D, Galetta SL, Giovannoni G, et al. Natalizumab increases the proportion of disease-free patients in relapsing multiple sclerosis. World Congress on Treatment and Research in Multiple Sclerosis, 17. bis. 20. September, 2008, Montreal, Kanada, Poster 62; Multiple Sclerosis 2008;14(Suppl 1):S47.
8. Bates D, Bartholomé E, Pace A, Hyde R, et al. Effect of natalizumab on relapses in patients with relapsing MS who experience MRI activity during treatment. World Congress on Treatment and Research in Multiple Sclerosis, 17. bis. 20. September, 2008, Montreal, Kanada, Poster 8.
Arzneimitteltherapie 2009; 27(02)