Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Das kolorektale Karzinom ist mit über 70000 Neuerkrankungen und etwa 30000 Todesfällen pro Jahr heute der häufigste maligne Tumor. Er entsteht meist über Adenome, die endoskopisch detektiert und abgetragen werden können, und ist somit für gezielte Vorsorgemaßnahmen sehr gut geeignet.
Adjuvante Chemotherapie nach Operation
Seit den 1990er Jahren gilt eine adjuvante Therapie als Standardbehandlung im Stadium III. Voraussetzung dafür ist die R0-Resektion des Primärtumors. Für die Stadienbestimmung sollen 12 oder mehr regionäre Lymphknoten untersucht werden. Eine Altersbeschränkung für die Durchführung einer adjuvanten Chemotherapie existiert nicht. Doch müssen allgemeine Kontraindikationen (schlechter Allgemeinzustand, Leberzirrhose Child B und C, schwere koronare Herzkrankheit bzw. Herzinsuffizienz, präterminale und terminale Niereninsuffizienz, eingeschränkte Knochenmarksfunktion, Unvermögen an regelmäßigen Kontrolluntersuchungen teilzunehmen) berücksichtigt werden.
Für die adjuvante Chemotherapie des Kolonkarzinoms im Stadium III sollte eine Oxaliplatin-haltige Therapie (FOLFOX: Fluorouracil /Folinsäure [VoriNa®] plus Oxaliplatin [z. B. Eloxatin®]) eingesetzt werden. Hintergrund für diese Empfehlung ist die MOSAIC-Studie (Multicenter International Study of Oxaliplatin/5-FU-LV in the Adjuvant-Treatment of Colon Cancer), in der die FOLFOX-Chemotherapie zu einer signifikanten Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens gegenüber der Fluorouracil/Folinsäure-Chemotherapie (73,3% vs. 67,4%; p = 0,003) führte. Bei Kontraindikationen gegen Oxaliplatin-haltige Regime wird eine Monotherapie mit Fluoropyrimidinen empfohlen, wobei orale Substanzen Infusionsschemata vorzuziehen sind. Bolusregime sollten wegen der höheren Toxizität nicht mehr verwendet werden.
Im Stadium II sollte in ausgewählten Risikosituationen (T4, Tumorperforation/-einriss, Operation unter Notfallbedingungen, Anzahl untersuchter Lymphknoten zu gering) eine adjuvante Chemotherapie erwogen werden, wobei Fluoropyrimidine als Monotherapie eingesetzt werden können.
Palliative Chemotherapie
Die Prognose von Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom im Stadium IV hat sich in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Ohne spezifische systemische Chemotherapie überleben diese Patienten im Mittel nur 5 bis 7,5 Monate. Durch Kombination moderner Chemotherapeutika wie Oxaliplatin, Irinotecan (Campto®) und Capecitabin (Xeloda®) sowie Einführung neuer molekularer Substanzen wie Bevacizumab (Avastin®) und Cetuximab (Erbitux®) können heute mittlere Überlebenszeiten von über 24 Monaten erreicht werden. Durch den Einsatz von Topoisomerasehemmern wie Irinotecan und Oxaliplatin zusätzlich zu Fluorouracil/Folinsäure werden die Ansprechraten deutlich verbessert und das mediane Überleben signifikant verlängert. Ein weiterer Fortschritt gelang durch sogenannte „targeted therapies“, die eine gezielte Hemmung der zellulären Signaltransduktion ermöglichen. Die Hemmung des EGF-Rezeptors durch Cetuximab und die Inhibition der Angiogenese durch Bevacizumab eröffnen vielfältige neue kombinierte Therapieoptionen.
Die Therapiestrategie mit solchen innovativen Kombinationen muss in Abhängigkeit vom Therapieziel und der individuellen Patientensituation gewählt werden. Durch Einteilung der Patienten in Subgruppen wird die Entscheidungsfindung erleichtert:
- Patienten mit primär resektablen Leber- oder Lungenmetastasen
- Patienten mit Indikation für eine intensivierte systemische Therapie:
- Patienten mit Leber- und/oder Lungenmetastasen, potenziell resektabel nach Ansprechen auf eine neoadjuvante Therapie, klinisch operable Patienten
- Patienten mit tumorbedingten Symptomen, Organkomplikationen und raschem Progress
- Patienten mit der Möglichkeit für eine weniger intensive Therapie, d. h. mit multiplen Metastasen ohne Option für eine Resektion nach Metastasenrückbildung, ohne tumorbezogene Symptome oder Organkomplikationen und/oder mit schwerer Komorbidität
Resektable Lungen-/Lebermetastasen bzw. tumorbedingte Symptome, Organkomplikationen, rascher Progress
Resektable Lungen- oder Lebermetastasen sollten reseziert werden. Eine neoadjuvante systemische Therapie resektabler Lebermetastasen kann in begründeten Ausnahmefällen ebenso erwogen werden, wie eine adjuvante Chemotherapie nach einer R0-Resektion synchroner oder metachroner Lebermetastasen. Hintergrund dieser Empfehlungen ist, dass trotz R0-Resektion von Lebermetastasen nur etwa 30% der Patienten langfristig rezidivfrei bleiben.
Das Prinzip einer systemisch adjuvanten Therapie nach Metastasenresektion basiert auf indirekter Evidenz, es ist abgeleitet von Studien, die die Wirksamkeit einer adjuvanten Chemotherapie bei kolorektalen Karzinomen im Stadium III belegen. Zur systemischen adjuvanten Therapie nach Metastasenresektion gibt es dagegen keine Plazebo-kontrollierten Studien, auch nicht zur neoadjuvanten Fragestellung. Bei Patienten mit potenziell resektablen Leber- und/oder Lungenmetastasen sollte immer eine systemische Chemotherapie begonnen werden mit dem Ziel, durch regelmäßige Evaluation eine mögliche sekundäre Resektabilität nach Remissionsinduktion zu erfassen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für die effektivste verfügbare systemische Kombinationstherapie. Nach einer retrospektiven Analyse kann auch bei solchen Patienten eine 5-Jahres-Gesamtüberlebensrate von etwa 50% nach einer neoadjuvanten Chemotherapie und anschließender Resektion erreicht werden. Dieses Ergebnis ist vergleichbar mit den Langzeitergebnissen nach primärer Resektion von Lebermetastasen.
Nach vorliegenden Studienergebnissen dürfte in dieser Situation FOLFOXIRI (Fluorouracil/Folinsäure plus Oxaliplatin plus Irinotecan) wirksamer sein als FOLFIRI (Ansprechrate 60% vs. 34%, p<0,001; R0-Resektionsrate 15% vs. 6%; p = 0,033). Auch die Kombination aus FOLFIRI und Cetuximab ist wirksamer als FOLFIRI allein (R0-Resektion 4,3% vs. 1,5%). Den größten Nutzen erreichen Patienten mit K-ras-Wildtyp-exprimierendem Tumor.
Bei Patienten mit potenziell resektablen Lebermetastasen müssen aber auch die Chemotherapiefolgen auf das gesunde Lebergewebe bedacht werden. Nach neueren Untersuchungen korreliert die postoperative Morbidität mit der Dauer der präoperativen Chemotherapie. Die Therapie mit Oxaliplatin führt häufiger zu sinusoidaler Obstruktion im nicht befallenen Lebergewebe, ohne dass dadurch die Mortalität wesentlich erhöht wird. Eine Irinotecan-haltige Therapie ist häufiger mit einer Steatohepatitis assoziiert, was mit einer höheren 90-Tage-Mortalität einhergeht.
Aber nicht nur Patienten mit potenziell resektablen Lebermetastasen, sondern alle Patienten mit tumorbedingten Symptomen, Organkomplikationen oder raschem Progress sollten unter Berücksichtigung des Allgemeinzustands eine möglichst effektive Kombinationstherapie erhalten.
Multiple Metastasen ohne Option zur Resektion
Patienten mit multiplen Metastasen ohne Option für eine Resektion nach Metastasenrückbildung und ohne tumorbezogene Symptome oder Organkomplikationen und/oder schwerer Komorbidität erfordern eine weniger intensive Therapie.
Primäres Therapieziel ist weniger die Remissionsinduktion als eine Verlängerung des progressionsfreien und des Gesamtüberlebens bei geringer Toxizität und guter Lebensqualität. Ob in solchen Situationen zunächst nur eine Monotherapie oder primär eine Kombinationstherapie eingesetzt werden sollte, muss individuell entschieden werden. Grundsätzlich sollte als Erstlinienbehandlung zwar eine möglichst aktive Therapie durchgeführt werden, eine Fluorouracil-Monotherapie mit nachfolgender Kombinationstherapie kann aber in bestimmten Fällen eine vertretbare Alternative sein. Eine sequenzielle Monotherapie kann jedoch nicht empfohlen werden. Falls eine Fluoropyrimidin-Monotherapie gegeben wird, sollte eine orale der intravenösen Fluorouracil-Gabe vorgezogen werden.
Wird eine Kombinationstherapie gewählt, so sind Oxaliplatin plus Fluorouracil/Folinsäure und Irinotecan plus Fluorouracil/Folinsäure gleichwertige Alternativen, so dass für die Wahl der Substanz das Toxizitätsspektrum entscheidend sein dürfte.
Für Patienten, bei denen ein Oxaliplatin- oder Irinotecan-haltiges Protokoll nicht in Frage kommt, ist die Kombination Fluorouracil/Folinsäure plus Bevacizumab eine geeignete Kombination. Die Ergebnisse einer vergleichenden Studie zeigten eine signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens in der Kombination mit Bevacizumab im Vergleich zu einer reinen Fluorouracil/Folinsäure-Monotherapie (9,2 Monate vs. 5,5 Monate; p = 0,002). Eine Kombination mit Cetuximab ist nur bei Patienten mit K-ras-Wildtyp-exprimierenden Tumoren sinnvoll. Es gibt bisher keine ausreichende Evidenz, dass ein Absetzen einer einmal begonnenen medikamentösen Therapie bis zum erneuten Progress gerechtfertigt ist. Nach dokumentiertem Progress sollten die eingesetzten Substanzen nicht weiter appliziert werden, mit Ausnahme von Fluoropyrimidinen oder der Gabe von Irinotecan in Kombination mit Cetuximab.
Fazit
- Das Standardregime für die adjuvante Chemotherapie des Kolonkarzinoms im Stadium III ist FOLFOX (Fluorouracil, Folinsäure, Oxaliplatin), soweit keine Kontraindikation oder Unverträglichkeit für Oxaliplatin besteht.
- Im Stadium II sollte bei Vorliegen bestimmter Risikofaktoren eine adjuvante Chemotherapie in Erwägung gezogen werden.
- Primär resektable Metastasen sollten operiert werden; eine neoadjuvante oder adjuvante Chemotherapie ist bisher nicht evidenzbasiert, kann jedoch in Einzelfällen in Erwägung gezogen werden.
- Bei potenziell resektablen Metastasen besteht die Indikation für eine hochaktive Kombinationstherapie, wobei aus Gründen der Verträglichkeit eine Kombination aus Oxaliplatin, Irinotecan und einer niedermolekularen Substanz eingesetzt werden sollte.
- Die Gabe von Cetuximab ist nur bei K-ras-Wildtyp sinnvoll.
- Eine hochaktive Antikörper-basierte Kombination sollte auch bei Patienten mit hoher Tumorlast, vielen Metastasen, einer raschen Tumorprogression oder tumorbedingten Symptomen angewendet werden.
- Bei Patienten mit wenig aggressiver Tumorbiologie, fehlender Option auf Resektion und erhöhten Komorbiditäten ist eine sequenzielle Therapie nach dem FOLFOX- oder FOLFIRI-Schema sinnvoll. In Einzelfällen ist auch eine Monotherapie mit Fluorouracil bzw. einem oralen Fluoropyrimidin vertretbar.
Quellen
Schmiegel W, et al. S3-Leitlinie „Kolorektales Karzinom“. Z Gastroenterol 2008;46:799–840.
Prof. A. Reinacher-Schick, Bochum. Vortrag zum Thema „Update der S3-Leitlinien – Neue Behandlungsoptionen für das kolorektale Karzinom“, anlässlich des Pfizer Oncology Symposiums „Individualisierte Konzepte zur Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms“, veranstaltet von Pfizer Pharma GmbH, im Rahmen der 63. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), Berlin, 2. Oktober 2008.
Arzneimitteltherapie 2009; 27(02)